• Politik
  • Menschenrechte in Armenien

Kleines Land mit Gewaltproblemen

Armenien macht zwar Fortschritte, hat aber immer noch erhebliche Defizite bei den Menschenrechten

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.

Armenien scheint auf dem richtigen Weg zu einem Land mit einer freien Gesellschaft zu sein. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man sich internationale Rankings anschaut. Im Human Freedom Index des Cato-Instituts landete die kleine Südkaukasusrepublik mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern im vergangenen Jahr auf Platz 26 und verbesserte sich damit gegenüber 2021 um acht Positionen. Der Human Development Index der Vereinten Nationen fixiert Armenien auf Platz 85 mit aufsteigender Tendenz. Auch Reporter ohne Grenzen sieht große Fortschritte in der Pressefreiheit, listet das Land im Jahr 2022 auf Platz 51 (2021: Platz 63) und damit als freiestes in der Region.

Trotz dieser Fortschritte gibt es in vielen Bereichen weiterhin große Probleme. Amnesty International warnt etwa vor einer »kontinuierlichen Aushöhlung der Menschenrechte«. Noch immer leidet Armenien unter den Folgen des verlorenen Krieges 2020 gegen Aserbaidschan um die Region Bergkarabach. Im September 2021 erklärte der damalige Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Arman Tatojan, dass zwar über 100 Kriegsgefangene aus aserbaidschanischer Haft zurückgekehrt seien, der aggressive Nachbar aber immer noch über 40 Menschen als Geiseln hält, darunter auch Zivilisten. Bis heute sind die Menschen im Grenzgebiet in ständiger Gefahr, da noch Minen aus dem Krieg im Boden liegen und Bakus Truppen beinahe täglich Armenien beschießen.

Während sich Jerewan über die Aggressivität und die Kriegsverbrechen Aserbaidschans beklagt, hat es selbst keine Schritte unternommen, Verbrechen eigener Soldaten zu verfolgen. Auch Suizide in der armenischen Armee werden nicht untersucht, sondern vertuscht. Die politische Krise nach dem Krieg führte zu heftigen öffentlichen Debatten, bei denen Abgeordnete und andere Offizielle gegen Menschenrechtler und Aktivisten hetzten. Versuche der Regierung, solche Aussagen rechtlich einzudämmen, scheiterten.

Menschenrechtler beklagen, dass die Gewalt in Armenien in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Die Helsinki Citizens’ Assembly-Vanadzor spricht davon, dass Polizeibeamte von Jahr zu Jahr unberechenbarer werden. Zählte die Nichtregierungsorganisation 2020 noch 80 bekannte Fälle von Polizeigewalt, waren es 2022 bereits 199. Besorgniserregend für die Menschenrechtler: Immer häufiger treten Polizisten bei Veranstaltungen vermummt und ohne Erkennungszeichen auf, sie gehen vor allem gegen Jugendliche brutal vor. Gewalt gibt es auch gegen Journalisten. Laut dem Komitee zur Verteidigung der Meinungsfreiheit kam es 2022 zu mindestens 14 tätlichen Angriffen gegen Medienschaffende.

Human Rights Watch sieht die Gewalt in Armenien als strukturelles Problem. Behörden haben immer noch kein Verständnis für häusliche Gewalt, schreibt die Organisation in ihrem Jahresbericht. Ein Gesetz aus dem Jahr 2017 ist deshalb bis heute nicht umgesetzt, auch die Istanbul-Konvention wurde nicht ratifiziert. Für Frauen, die vor der Gewalt fliehen, gibt es kaum sichere Räume.

Rechtlichen Schutz gibt es auch nicht für sexuelle Minderheiten. LGBT begegnen immer noch Beleidigungen, Diskriminierung und Gewalt. Für sie kommt erschwerend hinzu, dass Taten wegen sexueller Orientierung oder Geschlechteridentität nicht als erschwerende Umstände bei Hassverbrechen angesehen wird. Aus Angst melden viele Opfer die Taten nicht. Die Organisation Pink Armenia hat zwischen Januar und August 2021 zwölf Angriffe gezählt, dazu acht Aufrufe zu Taten gegen LGBT, viele davon von eigenen Familienmitgliedern. Lediglich in vier Fällen haben sich die Opfer an die Polizei gewandt, die jedoch keine Verbrechen erkennen wollte.

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