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Berliner Wohnungsmarkt: Nicht nur Arme finden nichts
Studie: Berliner Wohnungsmarkt auch für Durchschnittsverdiener eingebrochen
Die Wohnungsnot in Berlin trifft zunehmend die Mittelschicht. Das ist das Ergebnis einer Datenauswertung, die der RBB zusammen mit dem Forschungsinstitut Empirica am Mittwoch vorgelegt hat. Demnach ist das Angebot an bezahlbaren Wohnungen innerhalb von zehn Jahren um rund ein Drittel gesunken. Wurden 2012 noch etwa 75 000 Mietwohnungen für sogenannte mittlere Haushaltseinkommen zur Neuvermietung angeboten, waren es 2021 nur noch rund 50 000. Das mittlere monatliche Haushaltsnettoeinkommen der Berliner lag im Jahr 2022 bei 2550 Euro.
Zwar können sich nach Angaben von Empirica deutlich mehr Menschen in Berlin Mieten von zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter leisten, weil die Einkommen in den vergangenen Jahren gestiegen sind. Doch schon in diesem Bereich fehlten Angebote auf dem Wohnungsmarkt, so Reiner Braun von Empirica. »Die Knappheit ist so groß, dass sogar Gutverdiener inzwischen in Bedrängnis kommen«, sagte er dem RBB. Insgesamt werde zu wenig gebaut, wobei die gestiegenen Baukosten die Situation noch verschärften. Zuvor habe sich die Situation verbessert, so Braun: »In der weiten Ferne war Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Aber dieses Licht ist mittlerweile wieder ausgegangen.«
Laut Empirica hat sich die Wohnungsbauförderung des Landes Berlin zu stark auf Geringverdiener konzentriert. Zu dieser Einschätzung kommt auch die Investitionsbank Berlin (IBB), die deshalb ein Sofortprogramm für Menschen mit mittleren Einkommen fordert. Hinrich Holm, Vorstandsvorsitzender der IBB, plädierte gegenüber dem RBB für ein »ein drittes Fördermodell, wo wir dann Sozialwohnungen mit Mieten zwischen zehn und zwölf Euro haben«. Die bisherige Förderung habe sich zu sehr auf Sozialmieten bis zu 6,60 Euro pro Quadratmeter konzentriert.
Aufgrund der zunehmenden Wohnungsnot unterstützt unterdessen der Deutsche Mieterbund Vorschläge zum Recht auf einen Wohnungstausch zwischen Älteren und Familien. »Die Idee, im Mietrecht eine Option zum Wohnungstausch für Senioren und junge Familien zu verankern, ist zu begrüßen und wird auch vom Deutschen Mieterbund seit längerem in ähnlicher Form gefordert«, sagte Verbandspräsident Lukas Siebenkotten dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwochsausgaben). Er folgte damit einem Vorschlag der Linken, im Mietrecht eine Option auf Wohnungstausch zu verankern, damit Senioren in eine kleinere Wohnung und Familien dafür in eine größere ziehen können, ohne dass letztlich mehr Miete gezahlt wird.
Bereits heute seien die Portale großer Immobilienbörsen mit zahlreichen Tauschwohnungen bestückt, was allerdings zahlreiche rechtliche Risiken berge, sagte Siebenkotten dazu. Das zuständige Justizministerium »könnte hier Abhilfe schaffen«, indem es einen Anspruch auf Tausch von Wohnraum zu den jeweils bestehenden Mietpreisen gesetzlich etabliere.
Am Montag hatte die wohnungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Caren Lay, einen entsprechenden Vorschlag ins Spiel gebracht. Am selben Tag hatte sie eine Studie vorgestellt, der zufolge der Mangel an bezahlbarem Wohnraum zunehmend dramatische Folgen für Rentnerinnen und Rentner hat. Lay forderte in dem Zusammenhang auch einen Neustart im sozialen Wohnungsbau »nach Wiener Vorbild«. Dafür brauche es deutlich mehr Geld. »Statt der bisher knapp drei Milliarden Euro Förderung im Jahr sind mindestens 15 Milliarden Euro nötig, um Wohnungen für Gering- und Durchschnittsverdiener zu schaffen.«
Auf der Baumesse in München wurde am Dienstag zudem auf das Problem verwiesen, dass aktuell bereits 2,2 Millionen altersgerechte Wohnungen fehlen. Dies sei insbesondere deshalb ein Problem, weil in naher Zukunft die geburtenstarke Generation der Babyboomer in Rente gehe, sagte der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther, auf der Messe in München. Zugleich dürften künftig viele Rentner die steigenden Mieten und Wohnkosten kaum mehr bezahlen können. Deutschland sei auf dem Weg in eine »graue Wohnungsnot«. In den kommenden 20 Jahren werde die Altersgruppe »67 plus« um 3,5 Millionen auf 21 Millionen Menschen anwachsen.
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