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Keine Bühne für Pawel Filatjew? Feldzug gegen das Tätervolk 2.0

Das Altonaer Theater in Hamburg hat den Bericht eines russischen Deserteurs auf die Bühne gebracht – und sieht sich Protesten ausgesetzt

Wenn da mal keine Wünsche nach Zensur aufkommen: Tobias Dürr verkörpert einen ehemaligen russischen Berufssoldaten.
Wenn da mal keine Wünsche nach Zensur aufkommen: Tobias Dürr verkörpert einen ehemaligen russischen Berufssoldaten.

Zum 1. Mai findet sich eine rund 50-köpfige Demonstrantenschar am beschaulichen Platz der Republik ein. Hieß es also wieder heraus zum Arbeiterkampftag in Hamburgs ehemals proletarisch geprägtem Westen? Keineswegs. Der Protest richtete sich gegen das Altonaer Theater, das an diesem Tag zur Premiere geladen hatte. Nicht gerade ein alltäglicher Fall, wenn einer Bühne die zweifelhafte Ehre solcher Aufmerksamkeit zuteil wird.

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Der Theaterabend firmiert unter dem Titel »ZOV – Der verbotene Bericht« und beruht auf dem gleichnamigen autobiografischen Sachbuch von Pawel Filatjew, das im Dezember 2022 in deutscher Übersetzung und mit dem vielsagenden Untertitel »Ein russischer Fallschirmjäger packt aus« erschienen ist. Der Autor, 1988 in der Sowjetunion geboren, war Berufssoldat und als solcher unter anderem am Angriff auf die Ukraine am 24. Februar vergangenen Jahres beteiligt. Zwei Monate kämpfte er an der Front, wurde verwundet, entsagte dem Soldatentum und lebt jetzt in Frankreich, wo man ihm Asyl gewährt.

Worum geht es nun in dem »Bericht«, der etwas reißerisch als ein verbotener beworben wird? Filatjew führt en détail aus, in welch desolatem Zustand sich das russische Militär derzeit befindet, berichtet von Kriegsverbrechen und hält mit seiner Meinung zur »Spezialoperation« keineswegs hinterm Berg. Der Ex-Soldat hatte seinen Text zunächst, im August 2022, auf Russisch im Internet veröffentlicht. Schnell hat der Verlag Hoffmann und Campe eine deutsche Übersetzung auf den Weg gebracht. Nicht minder schnell hat sich offenbar das Altonaer Theater entschieden, das Buch für die Bühne zu adaptieren. Regie führte der vor allem als Schauspieler bekannte Kai Hufnagel, als Darsteller muss Tobias Dürr vor Publikum den Monolog bewältigen.

An der literarischen Qualität von Filatjews Ausführungen darf man zweifeln, auch die Eignung der Vorlage für eine szenische Aufbereitung kann und muss man infrage stellen. Aber wer kann gegen einen solchen Theaterabend derartig tiefgreifende Einwände haben, die ihn zum Demonstrieren verleiten? Handelt es sich um die letzten Getreuen Putins in der Bundesrepublik? Weit gefehlt. Sogenannte proukrainische Aktivisten aus dem Umfeld des »Vereins für Deutsch-Ukrainische Zusammenarbeit« haben Anstoß am Spielplan genommen und möchten nun im Gestus moralischer Überlegenheit oberste Zensurbehörde spielen.

Beistand haben die Protestler aufschlussreicherweise vom Generalkonsulat der Ukraine in Hamburg erhalten. In einer Welt, in der Diplomaten, je nach Charakterzug, es als ihre Hauptaufgabe betrachten, um Waffen zu bitten oder diese auch zu fordern, die Reaktionen darauf zu loben oder zu verurteilen, sehen Konsulate sich offenbar auch dazu befähigt, Urteile über die Spielplangestaltung eines hanseatischen Privattheaters abzugeben. Ein zumindest bemerkenswerter Vorgang. Denn um einen klassischen konsularischen Belang handelt es sich wohl kaum.

So ließ das Generalkonsulat verlautbaren, es (sic!) sei empört über die Absichten des Theaters. Dort popularisiere man einen russischen Soldaten – was freilich einen recht affirmativen Ansatz der Inszenierung voraussetzt, die man zum Zeitpunkt der Veröffentlichung allerdings noch nicht gesehen haben kann. »Die Inszenierung der Ideen des Buches ist nichts anderes als ein Versuch, die Grenzen zwischen Gut und Böse zu verwischen, Vergewaltiger und Mörder mit den Opfern gleichzusetzen und Handlungen zu rechtfertigen, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden«, heißt es weiter.

Die Ukrainer, die in Deutschland Schutz vor dem Krieg gefunden haben, sähen darin einen Versuch, die Heldentaten der ukrainischen Verteidiger zu schmälern. Kein Wort wird darüber verloren, dass auch Filatjew derzeit ein Schutzsuchender ist. Für Nuancen bleibt offenbar kein Raum. Das würde auch nur das Phantasma vom Kriegshelden stören. Dazu wartet man noch mit der Verschwörungstheorie auf, das Buch sei »Teil einer Propagandaoperation russischer Geheimdienste zur Verharmlosung russischer Kriegsteilnehmer«.

Das Altonaer Theater reagiert auf Anfragen überaus bedeckt, um nicht zu sagen: devot bis zur Selbstaufgabe. Die Pressestelle ließ wissen, dass die Bühne, ihre Mitarbeiter und Künstler das Versammlungs- und Demonstrationsrecht als ein hohes demokratisches Gut achteten und respektierten. Man gehe davon aus, dass künstlerische Freiheit und die Ausübung des Demonstrationsrechts sich nicht ausschlössen und friedlich nebeneinander bestehen könnten.

Das ist durchaus nobel. Die Protestierenden sahen das offenbar anders. Noch bleibt die Inszenierung zwar auf dem Spielplan, aber die vehemente Verteidigung künstlerischer Arbeit sieht anders aus. Auch die Bitte um Zusendung der Textfassung – ein durchaus üblicher Wunsch eines Theaterkritikers, dem im Normalfall entsprochen wird – wurde zurückgewiesen. Nicht ohne den Verweis auf enge rechtliche Grenzen. Über die wüsste man allerdings gerne Genaueres.

Aufrichtiger als die Ausführungen aus dem Generalkonsulat wirkt einer der per Plakat in die Welt getragenen Slogans: »#CancelRussianCulture«. Die dieser Tage vielfach thematisierte Gegenoffensive beschränkt sich eben nicht nur auf die innerukrainische Front, sondern betrifft auch Bibliotheken, Konzerte, Festivals, Sportereignisse und Theaterbühnen.

Ein anderes Plakat stellte in assoziativem Überschwang fest: »What’s next? Putins mein Kampf«. Nun hat man allerdings nicht Putin das Wort auf der Theaterbühne geredet, sondern einem Soldaten Gehör verschafft, der des Krieges überdrüssig ist. Die Gleichsetzung von Putin und Hitler mag in der Ukraine medial bereits vollkommen durchgesetzt sein, aber hierzulande mutet dergleichen – aus den besten Gründen! – befremdlich an. Der in Hamburg skandierte Spruch »Keine Bühne für Täter!« reiht sich ein in die aktivistische Verklärung, jeder Russe, ganz gleich, wie er zum Krieg steht, sei ein ebensolcher Täter. Da ist es nicht mehr weit, bis man ein neues »Tätervolk« ausmacht. Freuen wird das auch diejenigen, die schon lange Schluss machen wollen mit dem »deutschen Kult« um die lästige Geschichtsaufarbeitung.

Der simplifizierte Dualismus, wonach jeder Russe ein Feind, jeder Ukrainer ein Held ist, sollte uns misstrauisch machen. Mag sein, dass Pawel Filatjew große Schuld auf sich geladen hat. Aber wenn es in einem Krieg wirkliche Helden gibt, dann sind es die Menschen, die ihm entsagen, die vor ihm fliehen, die Schutzbedürftigen und Wehrpflichtigen bei der Flucht helfen. Am Krieg gibt es nichts Glorreiches. Dass Putins Angriffskrieg verbrecherisch ist, steht außer Frage. Dass ein Verteidigungskrieg nur ein Akt des Humanismus ist, ist eine unzulässige Vereinfachung, die uns blind macht für andere Verbrechen. Man darf sich von einer kritischen Öffentlichkeit, zu der die Theater unbedingt dazugehören, wünschen, dass sie in diesen Fragen Aufklärung stiftet.

Nächste Vorstellungen: 9., 10. und 23. Mai
www.altonaer-theater.de

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