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Der Mann, der sich selbst zur Welt bringt
Der Dichter Gerd Adloff erfindet Geschichten, aber er lügt nicht. »Ist die Musik zu laut?« heißt sein neuer Lyrikband
Transparenzhinweis vorweg: Mit dem Berliner Dichter Gerd Adloff bin ich gut bekannt. Alle paar Jahre laufen wir uns in Berlin über den Weg, meist in der Kaufhalle am Senefelder Platz. Und lange Zeit habe ich gedacht, er sei Fotograf, haben wir uns doch 1995 kennengelernt, beim »Open Mike« der Literaturwerkstatt Berlin, die seinerzeit noch im Majakowski-Ring residierte, draußen in Pankow. Und dieser freundliche Herr mit dem schon damals graumelierten Bart lief bei dem Wettlesen mit einem Fotoapparat herum, weshalb ich dachte: Alter, den wirst du brauchen, wenn ich hier gleich zum Sieger erklärt werde. Erst Jahre später bekam ich mit, dass dieser Gerd Adloff zuallererst ein Lyriker ist. Aus der Edition »Poesie schmeckt gut« besitze ich ein Heft von ihm. Darin ist das Gedicht »CT« zu finden, das ich selbst gerne geschrieben hätte: »Das/was mir/wirklich gefährlich ist /in meinem Kopf /werden sie so nicht finden«. Der mittlerweile 71jährige Adloff kommt mit wenigen Worten aus.
Ein anderer Dichter – immerhin ein Bachmann-Preisträger! – wusste mir zu berichten, dass dieser Adloff im Supermarkt meist das billige Gemüse kaufe, Mohrrüben etwa, über die er dann draußen Blumenerde vom Beet streue, um seiner Frau zu erzählen, das da seien teure Bio-Karotten. Auf diese Weise blieben pro Einkauf drei, vier Euro übrig; auf den Monat gerechnet reiche das, um an ein, zwei Abenden allein in den Jazz-Club zu gehen und gute Musik zu hören, bei einem Glas Whisky, Single Malt versteht sich. Und so kam es: In den folgenden Jahren war Gerd Adloff für mich der Schriftsteller, der seine Frau belügt. Wenn wir beide uns in der Kaufhalle trafen, starrte ich immer auf seinen Einkaufswagen. »Na, kaufste wieder Gemüse?«
Irgendwann aber erzählte ich ihm davon, woraufhin Adloff alles, aber wirklich alles bestritt. Der Kollege habe sich das ausgedacht, und zwar komplett. Die Story war aber auch zu schön, zu glatt. Dergleichen passiert wohl öfter, gehört zu den Risiken und Nebenwirkungen des Poetendaseins. Manche Schriftsteller erfinden auch im richtigen Leben Geschichten, die sie irgendwann selbst glauben und für echt halten, erinnert sei nur an Stephan Hermlin. Der Drang, zu erzählen und auszuschmücken, ist in ihnen einfach zu stark. Wir alle wollen geliebt werden; einige aber brauchen solche Bestätigung mehr als andere, was zur Folge haben kann, dass der Betreffende als Autor weiterhin geschätzt, jedoch als Mensch nicht mehr ernst genommen wird.
Über das richtige Verhältnis von Dichtung und Wahrheit haben sich schon andere den Kopf zerbrochen. Gute Literatur kommt der Wahrheit näher als jeder Tatsachenreport. Doch vielleicht sollte ein Dichter in seinem Werk erst einmal sich selbst neu erfinden und nicht die anderen. Gerd Adloff jedenfalls bringt sich sogar selbst zur Welt! In seinem neuen Gedichtband »Ist die Musik zu laut« finden wir uns im Kreißsaal wieder. »Ein blutjunges Mädchen schreit Mama. Haste nach der/gerufen als ihr das Kind gemacht habt, blafft die Schwester.« Kein Vergnügen, auf die Welt zu kommen, 1952 in der Universitätsfrauenklinik Tucholskystraße – »und so konnte es/ja eigentlich nur besser werden«.
Auch Gerd Adloff erfindet Geschichten, aber er lügt nicht. Und eigentlich schreibt er Gedichte wie dieses hier: »Brennende Vögel stürzen vom Himmel/setzen das Gras in Brand der Weg ist versperrt./In den Bäumen sitzen singend die Engel.« Ist das schon Kitsch? Man meint, hier ein wenig den Biermann rauszuhören. Und immer wieder stellt sich die Frage: Wie viel Glück darf der einzelne Mensch von der Gesellschaft einfordern? »Gehe nicht zu den Häusern, wo du Kind warst/die Straße ist nicht mehr dieselbe/ (…) damit du verstehst, es gibt keine Erlösung/es gibt kein Zurück.«
Die Illustrationen lieferte der Künstler Kay Voigtmann: eine Art Rorschachtest, der diesen wunderbaren Gedichten beigefügt ist, wie praktisch! Im Übrigen hat Gerd Adloff beim »Open Mike« damals keine Fotos von mir gemacht. Irgendeine Julia Franck hat gewonnen; Fehlurteile der Kritik gibt es immer wieder.
Gerd Adloff: Ist die Musik zu laut? Gedichte, mit Zeichnungen von Kay Voigtmann, Corvinus Presse. 54 S., japanische Bindung, 20 €.
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