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Edward Berger: »Die Kriegsschuld bleibt«
Am Freitagabend wird der Deutsche Filmpreis verliehen. Edward Bergers Kriegsfilm »Im Westen nichts Neues« ist mit dabei. Ein Gespräch
»Im Westen nichts Neues« schildert das Grauen des Ersten Weltkrieges aus der Sicht des Soldaten Paul Bäumer, der an der Westfront eingesetzt wird. Wie historisch korrekt waren Sie bei der Umsetzung des Filmes?
Alles, was wir in diesem Film dargestellt haben, ist nach bestem Wissen und Gewissen akkurat. So haben wir auf originalgetreue Uniformen geachtet. Die Panzer, Flammenwerfer und Infanterie, die wir zeigen, wurden ebenfalls im Krieg eingesetzt. Natürlich nehmen wir uns aber auch Freiheiten. Ob die Infanterie nun ein wenig früher oder später den Panzern hinterherzieht, ist in unserem Falle völlig nebensächlich. Wichtig ist, dass das Gefühl der Protagonisten stimmt. »Im Westen nichts Neues« ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm.
Edward Berger wurde 1970 in Wolfsburg geboren. Er studierte Regie an der Tisch School of the Arts der New York University und arbeitete anschließend bei der New Yorker Produktionsfirma Good Machine.1997 zog er nach Berlin, wo er seinen ersten Spielfilm »Gomez – Kopf oder Zahl« drehte. 2012 wurde sein Fernsehfilm »Ein guter Sommer« mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Seine Kinofilme »Jack« (2014) und »All My Loving« (2019) feierten auf der Berlinale Premiere.Sein Netflix-Film »Im Westen nichts Neues« wurde dieses Jahr mit vier Academy Awards ausgezeichnet: für die Kamera, die Musik, das Szenenbild sowie als Bester internationaler Film.
Zum Zeitpunkt des Drehs war Felix Kammerer 24 Jahre alt, seine Filmfigur Paul Bäumer ist 18. Warum haben Sie sich für einen älteren Schauspieler entschieden?
Ich habe praktisch alle 18-jährigen Schauspieler im deutschsprachigen Raum gesehen, da es mir selbst immer auffällt, wenn die Darsteller deutlich älter sind als ihre Figuren. Aber ich habe ganz schnell gemerkt, dass ein junger Mann von 18 Jahren den Bogen des Charakters nicht zu spielen vermochte. Die Rolle von Felix reicht von enthusiastischer Jugendlichkeit eines Abiturienten bis hin zu einem vor seiner Zeit gealterten Menschen, der seine Seele im Krieg verloren hat und in dessen Augen sich der Tod spiegelt. Mit 24 steht man bereits auf eigenen Beinen und wurde mit ziemlicher Sicherheit auch schon einmal enttäuscht. Vielleicht hat einen die Freundin oder der Freund verlassen, vielleicht ging es den Eltern schlecht. Irgendetwas wurde in uns schon einmal gebrochen, und diese Erfahrung spiegelt sich in den Augen wider.
Felix Kammerers Gesicht ist oft schlammverschmiert. Durch die Maske ist es extrem schwer, Emotionen darzustellen. Was hat Kammerer qualifiziert, diese schwierige Rolle zu tragen?
Felix hat schon beim Casting mit einer großen Offenheit, Wahrheit und Purheit gespielt. Wir haben ihn fünfmal zu uns eingeladen, und er wurde von Mal zu Mal gelöster. Felix war so wissbegierig und sensibel. Als wir ihm beim Casting zum ersten Mal eine Uniform angezogen haben, wuchs er sofort in diese hinein. Er hatte noch nie einen Film gemacht und war noch nirgendwo bekannt. Das war aber nicht wichtig, denn wir wussten: Er ist es.
In Erich Maria Remarques Roman »Im Westen nichts Neues« fällt Bäumer beiläufig vor Kriegsende, dieses Ereignis war auch titelgebend für den Roman. Bei Ihnen zieht Bäumer in eine neue, letzte Schlacht. Ist dieser Tod von Bäumer eine Art Buße?
Das kann sein. Daran habe ich aber noch nie gedacht. Es steht dem Publikum offen, das so zu interpretieren. Ich würde mich dieser Interpretation durchaus nicht verwehren.
Und diese Trauer, Scham und Gram übertragen sich von Generation zu Generation …
Die Kriegsschuld bleibt. Das ist unser Trauma. Mittlerweile ist es auch nachgewiesen, dass sich traumatische Erfahrungen über unsere DNA vererben. Als ich mit meiner 21-jährigen Tochter zu den Oscars gefahren bin, habe ich sie gefragt, ob sie glaubt, dass Remarques Roman eine andere Wirkung auf sie hat, weil sie in Deutschland aufgewachsen ist und nicht in Frankreich oder England beispielsweise. Sie ist sich sicher, dass dem so ist, denn wir lesen unweigerlich mit, dass der Krieg von Deutschland ausging. Dieses Gefühl der Verantwortung hat alle Entscheidungen beeinflusst, in welcher Form wir den Film gemacht haben. Mir ging es immer darum, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer in die Person von Paul Bäumer versetzen können. Im Zuge dessen habe ich unendlich viele Tagebücher und Briefwechsel mit der Front gelesen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Menschen dort empfunden haben.
Waren Sie als Regisseur komplett distanziert, als Sie die brutalen Szenen in der Schlacht drehten?
Es gibt eine Szene in einem Krater, in der Paul Bäumer einen Franzosen ersticht. In dieser Szene merkt er selbst, dass er zu einer Tötungsmaschine verkommen ist. Die Szene ist mir selbst auch nahegegangen. Zum einen, weil Felix sie so intensiv gespielt hat, immer und immer wieder in voller Länge und mit kompletter Hingabe. Zum anderen, weil sie so unglaublich schwer zu drehen und ich einfach erschöpft war. Aber generell hat man bei den Dreharbeiten so viel zu beachten. Man versucht einfach, den Tag zu schaffen, und konzentriert sich bei jeder Einstellung auf Perfektion. Deshalb drücke ich beim Dreh meine Emotionen eher weg. Als der Film schlussendlich fertig war, habe ich den Druck jedoch mit voller Wucht gespürt. Während des Schnitts musste ich jeden Abend im See schwimmen gehen, um den Dreck der Bilder abzuwaschen.
Es ist in der Tat schwer, den Film zu sehen. Haben Sie zuvor andere künstlerische Ansätze diskutiert?
Als ich von meinem Freund und Produzenten Malte Grunert gefragt wurde, ob ich diesen Film machen möchte, war die Antwort für mich klar: Das war meine Möglichkeit, dieses Gefühl der Schuld und dieses Trauma, das wir alle mit uns herumschleppen, in einen Film zu stecken. Das musste so drastisch wie möglich dargestellt werden. Krieg ist nun einmal ein Grauen. Alles andere wäre Propaganda.
Braucht das heutige Kinopublikum drastischere Bilder, weil schon so viele Gewaltdarstellungen existieren?
Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie ich das Publikum kalkuliert erreichen kann. Wenn ich einen Film mache, kann ich immer nur von mir ausgehen: Bei heftiger Brutalität in anderen Filmen muss ich selbst vielleicht auch wegschauen, aber dafür schlägt sie mir mit voller Wucht in die Magenkuhle und zieht mich in die Handlung hinein. Dieses physische Erlebnis wollte ich mit unserem Film auch erreichen. Trotzdem ist es wichtig, in diesem riesigen Schlachtengetümmel intim zu bleiben.
Könnten Sie sich vorstellen, wieder einen Kriegsfilm zu drehen?
Erst einmal nicht. Warum sollte ich das tun? Ich habe jetzt zu dem Thema gesagt, was ich zu sagen habe, und das soll dann auch reichen. Wobei ich mir immer wieder vorstellen kann, Filme zu machen, die die Figuren in extreme Umstände stürzen. Da stecke ich dann wieder in der gleichen filmischen Hölle.
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