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Slavoj Žižek und der Witz des Marxismus
Slavoj Žižek ist der angeblich »gefährlichste Philosoph der Welt«. Zum Fürchten ist seine Mischung aus Postmarxismus und Kulturwitzen trotzdem nicht
Am 19. April 2019 hätte der rechte Kulturkampf final zurückgeschlagen werden können: In Toronto trafen der slowenische Philosoph Slavoj Žižek und die kanadische Gallionsfigur der bürgerlichen Neurechten, Jordan B. Peterson, zur »Debatte des Jahrhunderts« zusammen. 3000 Zuschauende in der ausverkauften Halle, mehrere Tausend per bezahltem Stream zugeschaltet und alle in der Erwartung eines historischen Moments. Žižek hatte zuvor Petersons Verschwörungsgläubigkeit verhöhnt, weil dieser gegen Diversität und die #MeToo-Bewegung als Untergang der westlichen Welt agitierte. Und nun sollte dieses Schreckgespenst Kulturmarxismus, der ewige Trick der Rechten, im Duell gestellt werden. Wer sollen denn diese Marxisten sein, die mit dem trojanischen Pferd der Minderheitenrechte an der Apokalypse tüftelten, fragte Žižek. Und Peterson stammelte vor sich hin. Das Urteil fiel eindeutig aus: Žižek war haushoch überlegen.
Destruktiver Kapitalismus, bedrohte Demokratie, Aufstieg der Rechten: Die Gesellschaft steckt in der Krise. Und was sagt die kritische Gesellschaftstheorie dazu? Die Reihe »Populäre Theorie« stellt aktuelle Positionen vor – so kritisch, wie diese selbst sein sollten. Alle Texte unter dasnd.de/poptheorie
Das Manöver, das Žižek zur Überrumpelung des neurechten Sachbuchautors anwendete, war jedoch ein unfreiwilliges Eigentor. Tatsächlich: Wer sind denn jene Marxisten, vor denen die bürgerlichen Kräfte heute wirklich noch Angst haben müssten? Die traurige Wahrheit hinter dem gefeierten Sieg des marxistischen Philosophen ist ja, dass der Marxismus genau deshalb zur Wahnvorstellung taugt, weil er real so harmlos ist. Der Kulturmarxismus ist ein schlechter Scherz und in gewisser Weise ist Žižek dieser Witz in persona, der von der Menge bejubelte traurige Clown des Marxismus.
Entsprechend kennen und lieben viele Fans des »Elvis der Kulturtheorie« und des angeblich »gefährlichsten Philosophen der Welt« vordergründig seine obszönen Gags, die Erklärung der Philosophietraditionen mittels Toilettenschüsseln, seine ideologiekritischen Verrisse über Filme, die er bekennender Weise nicht einmal gesehen hat oder seine Seitenhiebe gegen den Postmodernismus wie »Ein Yuppie liest Deleuze«. Aber Žižek beansprucht für sich auch eine ernst zu nehmende Seite. Er verschreibt sich der »Idee des Kommunismus«, zu der er etwa drei internationale Tagungen ausrief und in Sammelbänden dokumentierte. In durchaus schlauen Analysen und Essays zu etwa Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine interveniert Žižek immer wieder gegen den Zeitgeist – auch innerhalb der Linken.
Ein postmoderner Adorno?
Wofür steht nun eigentlich Žižeks Werk? Für Kohärenz jedenfalls ist er nicht berühmt. Ein Großteil der Anziehungskraft seiner Theorie dürfte genau darin liegen, dass sein Werk ein loses Netz aus Thesen und Pointen bildet, die für sich genommen und trotz anspruchsvoller Theorieanleihen leicht konsumierbar sind. Ein klassisches Žižek-Buch ist eine unterhaltsame Lektüre, die den Nimbus radikaler Kritik, philosophischer Tiefe und von Renegatentum liefert. Am Ende aber kann man kaum sagen, worum es eigentlich ging.
Dieses Schema betrifft nicht nur die kürzeren politischen Interventionen, Streitgespräche oder Filme wie »A Pervert’s Guide to Ideology«. Selbst sein 1400 Seiten starkes Hegel-Buch »Weniger als Nichts« (2014, im englischen Original 2012) oder seine Verteidigung des dialektischen Materialismus »Absoluter Gegenstoß« (2016, im englischen Original 2014) bleiben merkwürdig substanzlos. Getragen ist alles vom berühmt-berüchtigten Stil des slowenischen Philosophen, popkulturelle Referenzen, dreckige Witze oder ikonische Filmszenen mit Versatzstücken schwerer Theorie zu vermischen, vom Deutschen Idealismus Hegels oder Schellings bis zum französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan. Dies gipfelt dann schon einmal in sowas wie der Provokation, dass »Hegel der erste Post-Marxist war«.
Eine von Žižeks berühmten Marx-Anleihen stammt aus dem »Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte«, wo Marx von der Wiederholung der Geschichte »das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce« schreibt. Vielleicht muss man Žižek selbst als eine solche schlechte Wiederkehr verstehen: Macht ihn seine ungreifbare Philosophie und der dissidente Marxismus nicht zu so etwas wie der Wiederholung der Kritischen Theorie? Zu einem postmodernen Adorno? Vom dogmatischen Marxismus abtrünnig, wendet sich auch Žižek den philosophischen Grundlagen des zur Weltanschauung degenerierten historischen Materialismus zu, kehrt zu Hegel zurück und benutzt die neue Tiefe zu einer differenzierten Analyse des Überbaus, der Kultur und Ideologie – der philosophischen Wendung und den Kulturindustriethesen der Kritischen Theorie nicht unähnlich. Um die Subjektivierungsweisen eines postmodernen Kapitalismus zu erklären, bedient er sich ebenfalls der Psychoanalyse, wenn auch einer französisch aktualisierten: Statt Sigmund Freuds Thesen zur patriarchalen Gesellschaft – zu der schon Max Horkheimer und Herbert Marcuse feststellen mussten, dass die Vaterautorität nicht mehr zeitgemäß ist –, spricht er mit Lacan von einer postödipalen Gesellschaft.
Selbst die Inkohärenz seines Werkes ließe sich mit Adorno und dessen Bemühen um eine »nichtsystematische Theorie« vergleichen. Hatte dieser doch schon festgestellt, dass das Denken im System nur das schlechte Produkt einer Welt ist, in der das System total herrscht. Adornos Konsequenz war, den Essay als die bestmögliche Form der Philosophie zu bestimmen, welche die Dinge nicht im Begriff festgenagelt, sondern in der Konstellation umstellt. Žižeks Ausdruck wirkt wie eine Radikalisierung dieses Gedankens, seine Form wäre allerdings der Tweet: eine kondensierte Pointe, die sich von selbst tragen muss, eben weil kein Gerüst sie aufrecht hält. Und während Adorno Zeit seines Wirkens mit dem Nichtidentischen und einer negativen Dialektik rang, liegt Žižeks Ausgang im »Verweilen beim Negativen«, wie eines seiner Bücher zum Deutschen Idealismus von 1993 heißt.
Was diese Wiederholung jedoch zur Farce werden lässt, ist, dass Žižek das originelle Problem des Marxismus schon durch seine Lösung ersetzt hat. Die Kritische Theorie ging von einer Frage aus, Žižek hingegen von einer Annahme. Seit über 30 Jahren baut seine ungeheure Materialfülle auf der Annahme einer »traumatischen Leere« und radikalen Negativität auf. Sie verspricht ihm einen Neuanfang ohne Rücksicht auf allzu große Strenge oder Pfadabhängigkeiten, um so einen siegreichen Marxismus zu bauen. Ein Gestus der Befreiung, den Žižek als Vertreter erster Stunde eines sogenannten Postmarxismus stark machte.
Postmarxistische Ideologiediskussion
Konsequenterweise ist eines von Žižeks wichtigsten Werken zugleich auch eines seiner ersten. 1989 schaltete er sich mit »Das erhabene Objekt der Ideologie« (die deutsche Übersetzung kam erst 2021) in die Diskussion um den Ideologiebegriff ein. Der Streit um das berüchtigte »notwendig falsche Bewusstsein« war zu jener Zeit bereits ein alter Hut. Schon Marx hatte sich ja mit der Frage herumgeschlagen, »ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme«, wie er in den Feuerbachthesen formulierte. Spätestens seit der Oktoberrevolution entfachten gerade die historischen Niederlagen der Linken neue Konjunkturen des Nachdenkens über revolutionäres Bewusstsein und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die es verhindern.
Mindestens genauso oft wurde der Ideologiebegriff auch schon verabschiedet, auf ihn versammeln sich seit jeher so gut wie alle antimarxistischen Ressentiments. Die Vorwürfe reichen vom besserwisserischen Unterton eines »richtigen Bewusstseins« über ökonomischen Reduktionismus angeblich verblendeter Massen bis hin zur Abwertung von Kulturphänomenen zu Nebenwidersprüchen des Überbaus. Zum Ende der 1980er Jahre bekam die Diskussion darum allerdings neues Gewicht. Mit der Sowjetunion bröckelte schließlich nicht nur die Blockkonfrontation, sondern auch die Möglichkeit, eine Alternative zum Kapitalismus vorzustellen. Das berühmte »Ende der Geschichte« mit dem Sieg des Liberalismus benannte diesen Umstand präzise und wurde nicht umsonst zu einem postideologischen Zeitalter weitergedeutet.
Vor diesem Hintergrund ist Žižeks »Das erhabene Objekt der Ideologie« eine theorie-politische Intervention, die sich sowohl gegen den bürgerlichen Antimarxismus wie gegen den dogmatischen Marxismus selbst stellte. In guter dialektischer Manier wies er diese beiden falschen Alternativen als Teil des gesellschaftlichen Problems zurück. Mit Hegel argumentierte er, dass der Widerspruch, in den eine Linke mit dem Ideologiekonzept geriet – falsches Bewusstsein zu behaupten, ohne das wahre Bewusstsein liefern zu können –, auf höherer Ebene aufgehoben werden müsse. Diese Aufhebung, so Žižeks zentrale Kritik, sei aber missverstanden worden, wortwörtlich als die Überwindung des gesellschaftlichen Antagonismus in eine widerspruchsfreie Erzählung. Nicht nur liberale Theorien tendierten zu solcher Bereinigung der Widersprüche, auch marxistische Ansätze träumten von der befreiten Gesellschaft, in der endlich einmal gut sei mit den gesellschaftlichen Widersprüchen.
Žižek wählte einen anderen Weg in seiner Kritik, den vermeintlich radikalsten: Er erkannte im Widerspruch selbst ein ontologisches Prinzip, also eine Wesenheit, die allen gesellschaftlichen Erscheinungen zugrunde liege. Der Antagonismus, so seine Annahme, ist nichts historisch Spezifisches, das es zu überwinden gelte, sondern Klassenkampf und Kapitalismus seien nur eine bestimmte Ausformung der Dynamik menschlicher Triebkräfte, der »Leere unseres Begehrens«, wie er es mit Lacan formulierte. Dieser radikalen Dimension des Widerspruchs müsse sich die Theorie stellen, statt sie zu verdrängen oder zu »vernähen«. Denn darin liege das eigentliche »ideologische Phantasma«, das »einen unerträglichen, realen, unmöglichen Kern maskiert (…): eine traumatische gesellschaftliche Spaltung, die nicht symbolisiert werden kann«.
Banaler formuliert ist damit die eigentliche Ideologie jene, die vorgibt, es könne ein nicht-ideologisches Bewusstsein geben. Im Umkehrschluss muss diese radikalisierte Ideologietheorie aber mit dem Problem umgehen, dass damit eigentlich alle Bewusstseinsprodukte und alles Denken Ideologie sind. Aus dieser Not hat eine ganze Theoriebewegung versucht, eine Tugend zu machen: jener Postmarxismus, der sich vor allem mit den Namen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe verbindet. Diese hatten 1987 ihr Hauptwerk »Hegemonie und radikale Demokratie« vorgelegt, eine Dekonstruktion des Marxismus, die Žižek als »endgültige Antwort auf diese entscheidende Frage der Ideologietheorie« auffasste. Aus der Krise der organisierten Linken, die in den Achtzigerjahren in bloße soziale Bewegungen zerfiel, wollten sie eine theoretische Hoffnungsbotschaft ableiten: Wenn wir die radikale Dimension (sie nannten es ontologische Kontingenz) anerkennen, dass die Gesellschaft auf einem großen Nichts und fundamentaler Unbestimmtheit aufbaut, dann können wir jederzeit dafür kämpfen, dass es anders wird. Der Kapitalismus habe damit endlich jede Notwendigkeit verloren, die Hegemonie kann angegriffen, die Deutungen umgedeutet werden, aus der sozialen Bewegung kann eine soziale Revolution werden.
Kulturtheoretisierung
Vor dem Hintergrund ergibt es Sinn, dass sich diese Stoßrichtung postmarxistischer Theoriebildung vor allem im Bereich der Kulturtheorie ausbreitete. Schließlich konnten dort die Kämpfe um Deutungshoheit und Hegemonie geführt werden. Die Hoffnungen auf ein solches sozialistisches Projekt – als genau das wollten Laclau und Mouffe den Postmarxismus verstanden wissen – teilte Žižek nur bedingt. Zwar trat er in den Neunzigerjahren vehement für jene radikale Demokratietheorie ein, enthielt sich aber in Bezug auf die allzu naheliegenden politischen Implikationen. Er blieb eine Art Trittbrettfahrer des Aufstiegs der Cultural Studies, also der Verschiebung in der Wissenschaft zur Kulturtheorie besonders im englischsprachigen Raum.
Vor allem widmete sich Žižek der theoretischen Grundannahme einer ontologischen Kontingenz, an der er weiter tüftelte. Gewissermaßen bildete sie die Basis seiner subjekttheoretischen Überlegungen, zu denen ihn der Ideologiebegriff fast automatisch brachte. Insgesamt waren die Debatten der Neunzigerjahre stark vom Subjektbegriff geprägt, nicht zuletzt durch feministische Theorien wie Judith Butlers »Das Unbehagen der Geschlechter«. Žižek teilte das Interesse, wie diese Subjekte eigentlich zustande kommen, die Träger bestimmter Ideologien werden. Ideologie sei dabei eben nicht nur eine politische Verblendung oder kognitive Verzerrung, sondern gewissermaßen die Existenzbedingung des Subjekts: »buchstäblich unsere einzige Substanz, die einzig positive Stütze unseres Seins«, wie er in seinem Ideologiebuch schreibt. Warum? Weil die traumatische Spaltung, die Žižek am Grunde der Gesellschaft sah, auch dem Subjekt zugrunde liegen müsse. Dieses ist, mit Lacan gesprochen, ein Subjekt des Mangels, dessen psychische Triebdynamiken beständig darauf gerichtet sind, den konstitutiven Mangel an positiver Fülle zu überdecken, und zwar durch eine komplexe Beziehung zum Anderen.
Žižek buchstabierte diese Dynamiken und die Lacansche Psychoanalyse immer wieder aus, wandte sie auf die Populärkultur und das Kino an und widmete sich auch ernsthafter einer Subjekttheorie, etwa in seinem 1999 erschienenen weiteren Hauptwerk »Die Tücke des Subjekts« (im Deutschen 2001). Im Grunde handelt es sich aber bei allem um Variationen jener grundlegenden These von der ontologischen Kontingenz, des Mangels und der Differenz, die er gegen den falsch verstandenen Relativismus der Postmoderne retten wollte.
Entlang genau dieser These jedoch entstand zur Jahrtausendwende ein Bruch im Werk Žižeks, der sich vor allem mit seinem alten Weggefährten Laclau vollzog. Im Jahr 2000 veröffentlichten Laclau, Žižek und Butler einen Debattenband über »Kontingenz – Hegemonie – Universalität« (im Deutschen 2013), indem Žižek bereits eine andere Auslegung der Kontingenzhypothese andeutete. Statt zum kulturellen Stellungskrieg, den Laclau mit seiner sozialistischen Strategie führen wollte, oder zur Dekonstruktion der (sexuellen) Matrizen, die Butler vorschwebte, drängte Žižek zur Revolution. Er widersprach Laclau in seinem hegemonietheoretischen Populismus, sah sich aber gleichzeitig genötigt, eine andere politische Konsequenz aus dem Differenzdenken zu ziehen als die Kritik von Überbauphänomenen. Einen Ausweg aus der Sackgasse der Kulturtheorie bot ihm ein weiterer wichtiger Einfluss: der französische Theoretiker Alain Badiou.
Die Wahrheit des Kommunismus
Žižeks eigene Auseinandersetzung mit dem Postmarxismus ist im Grunde ein Spiegelbild der Debatten zur Jahrtausendwende, vor allem einer anglo-amerikanischen Linken. Hinter die These einer grundlegenden Unbestimmtheit des Sozialen ließ sich nicht mehr zurücktreten, dort schien nur der verhasste ökonomische Determinismus der dogmatischen Marxismen zu lauern. Aber zugleich wurden die unbefriedigenden politischen Konsequenzen bis hin zum zynischen Relativismus immer offenkundiger. Žižek widmete sich daher der Frage, wie sich die Kontingenzthese mit einer »Politik der Wahrheit« (so der Titel eines Diskussionsbands zwischen den französischen Philosophen Jacques Rancière und Alain Badiou) verbinden ließe.
Stichwortgeber dafür war ihm der Maoist und Philosophieprofessor Alain Badiou, dessen Subjekttheorie aus den Achtzigerjahren bereits Eindruck auf Žižek gemacht hatte. Badious Hauptwerk widmete sich dem »Sein und Ereignis« und auf letzteres Konzept kam auch Žižek immer wieder zu sprechen. Denn es bot einen Ausweg aus dem Dilemma, dass die Linke alle Notwendigkeit der historischen Entwicklung bestritten hatte und trotzdem auf eine notwendige Transformation drängen muss. Die Antwort war: Es brauche eine Treue zur Idee, eine Glaubensbeziehung zur Wahrheit des Kommunismus.
Dieser Badiousche Platonismus passte Žižek hervorragend. Denn er ließ sich gegen jene Linken wenden, die sich vor lauter Dekonstruktion dem Liberalismus an den Hals geschmissen hatten und ständig beteuerten, nicht dogmatisch, nicht reduktionistisch und damit vor allem nicht klassenkämpferisch zu sein. Žižek polemisierte gegen den Totalitarismusvorwurf, den Linke schon vorauseilend internalisiert hätten und argumentierte gegen eine falsch verstandene Political Correctness sowie die Angst der Linken, mit berechtigter Kritik etwa am Islamismus als rassistisch zu gelten. Seine Devise lautete: Man darf sich vom politischen Gegner nicht die Waffen in die Hand geben lassen. Schließlich verstieg er sich 2008 in »Auf verlorenem Posten« (im Deutschen 2009) zur Affirmation eines jakobinischen Terrors als Mittel der Wahl einer Diktatur des Proletariats.
Diese Denkrichtung Žižeks war von Anfang an als Verlegenheitslösung erkennbar, entsprechend steuerte er später auch dagegen, relativierte seine Terroranspielungen – auch unter dem Eindruck islamistischen Terrors wie in Frankreich 2015 – und kehrte, wie er es bei Lenin als Vorbild abzuschauen glaubte, nach dem Scheitern seiner Ansätze zur Hegellektüre zurück. Übrig blieb dabei die Lektion, dass die These der grundlegenden Unbestimmtheit der Gesellschaft jede bestimmte Veränderung der Verhältnisse eigentlich zum Fanatismus tendieren ließ. Um kein Fanatiker sein zu müssen, blieb Žižek daher nur die Revision der Kontingenzthese – oder der Ausweg, alles nur halb ernst zu meinen und damit den Clown zu spielen.
Alles bleibt im Überbau
In den letzten fünf bis zehn Jahren gab es daher keinen großen Wurf des marxistischen Philosophen mehr, im Guten wie im Schlechten. Seine politisch-theoretischen Kommentare zur Bedrohung durch den Klimawandel, die Pandemie oder den Niedergang der liberalen westlichen Staaten sind eben nicht mehr oder weniger als das: Kommentare eben. Immer noch spricht Žižek vom Kommunismus, vom »Mut der Hoffnungslosigkeit« und wagt sich als Linker aus der Deckung, wie ein Buch von 2021 heißt. Aber alles das bleibt konsequenterweise zahnlos, so radikal es auch daherkommen will. Und dies führt auf seine ureigene Ausgangsthese zurück: Die ersatzlose Streichung der ökonomischen Basis aus der marxistischen Theorie – und zwar als Setzung, nicht als analytische Erkenntnis – verlagerte alle Auseinandersetzung in den Überbau. Darin lag das Versprechen der Freiheit, sich von keinerlei determinierenden Instanz das Denken vorgeben zu lassen, zugleich aber auch die Unmöglichkeit, Determination als ein gesellschaftliches Verhältnis zu denken.
Žižeks Festhalten an der ontologischen Kontingenzthese machte ihn gewissermaßen vogelfrei: frei, alles zu sagen und dafür bejubelt zu werden, ob er nun witzelt oder todernst den Kommunismus (selbst mittels stalinistischem Terror) fordert. Wie zum Beweis der Beliebigkeit finden sich in seinen Büchern immer wieder ähnliche Passagen bis hin zu seitenweise Eigenplagiaten, die höchstens neu angeordnet werden. Und nicht umsonst eignete sich der Pop-Philosoph hervorragend für das KI-Experiment »The Infinite Conversation«, eine künstliche Unterhaltung zwischen ihm und dem Regisseur Werner Herzog. Schier unendlich kann der Algorithmus ein Gespräch aus zufallsgenerierten Zitaten simulieren, das beinahe so erkenntnisreich ist wie ein Buch von Žižek selbst.
Diese Tragik muss man Žižek nicht als persönliches Versagen anlasten, man muss es nicht einmal gegen seine Bücher in Stellung bringen, die genau das sein dürfen, was sie sind: gute kulturindustrielle Produkte. Sein clownesker Marxismus ist ein Symptom des »Living in the End Times«, des Lebens in der Endzeit, wie ein Buch von 2010 betitelt ist. Wenn man daran noch etwas ernstnehmen will, dann doch, dass eine Revolutionstheorie eben nicht nur Kritik, den Glauben an die Idee und die Hoffnung braucht, alles könnte anders sein. Sondern sie braucht auch eine Erkenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit – aber dafür sind Clowns nicht verantwortlich.
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