- Berlin
- Geflüchtete
Erstaufnahme im Alleingang abgewickelt
Koalitionspartner und Opposition halten Umgang des CDU-Innenministers mit Standort Doberlug-Kirchhain für falsch
Die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in einer alten Kaserne von Doberlug-Kirchhain liegt abseits im Wald und ist alles andere als ideal, um dort Menschen unterzubringen, die sich in die Gesellschaft einfügen wollen und sollen. Aber sie ist allemal besser als ein Containerdorf. Darum ist es für die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) »ein Stück aus dem Tollhaus«, dass Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) diese Einrichtung zu Ende Juni aufgibt und für 15 Millionen Euro Ersatz in Containern schafft. Das sind nach ihrer Rechnung 15 Millionen für unter dem Strich 90 Plätze weniger Erstaufnahme-Kapazität im Bundesland.
Nach Darstellung von Minister Stübgen ist diese Berechnung allerdings »schlichtweg falsch«. Man schaffe 1900 Plätze und 900 fallen weg. Es seien also effektiv 1000 Plätze mehr. »Sie wollen es vielleicht nicht verstehen, oder Sie können es nicht«, hält Stübgen der Abgeordneten vor. Ein einzelner Platz sei in Doberlug-Kirchhain doppelt so teuer wie an den anderen Standorten der Erstaufnahme. Die Fixkosten seien einfach zu hoch mit 12 Millionen Euro pro Jahr, unabhängig davon, ob die Erstaufnahme voll oder nur zur Hälfte belegt sei, so Stübgen. Und der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher assistiert: Johlige vergleiche einmalige Aufwendungen für die Container mit laufenden Kosten für Doberlug-Kirchhain, und dies sei nicht seriös.
Andrea Johlige lässt sich aber ungern vorhalten, sie sage nicht die Wahrheit, und zitiert aus Antworten auf eine parlamentarische Anfrage, denen zufolge der Standort Wünsdorf insgesamt und pro Platz teurer gewesen sei als der in Doberlug-Kirchhain. Außerdem baue der Minister auch in Eisenhüttenstadt noch Plätze ab, erinnert sie.
Nur 62 Geflüchtete sind gegenwärtig noch in Doberlug-Kichhain untergebracht. 120 Mitarbeiter waren da einmal beschäftigt, beim Wachschutz, in der Reinigung, in der Küche, als Sozialarbeiter. 65 davon waren beim Deutschen Roten Kreuz angestellt. Wegen Perspektivlosigkeit suchten sich viele beizeiten etwas anderes. Die Verbliebenen erhielten ihre Kündigung. »Es wurden engagierte Fachkräfte ohne fachlichen Grund auf die Straße gesetzt«, beschwert sich Johlige. Man bräuchte das Personal und werde es nicht so leicht wiederbekommen, argumentiert sie.
Am Freitag startete die Linksfraktion ihren letzten Versuch, die Schließung noch abzuwenden. Die Freien Wähler – in der Asylpolitik sonst anderer Ansicht als Johlige – stimmten für diesen Vorstoß. Das Vorgehen in Doberlug-Kirchhain »erschließt sich weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick«, findet ihr Abgeordneter Matthias Stefke. »Eine Entscheidung zurückzunehmen, die sich als falsch erwiesen hat, wäre klüger, als mit aller Sturheit daran festzuhalten.« Dies würde man dem Innenminister gewiss nicht als Schwäche auslegen.
Das Außergewöhnliche an diesem Vorgang: Auch die Koalitionspartner SPD und Grüne sind mit der Handlungsweise des Ministers nicht einverstanden und sagen das in aller Offenheit. Die SPD habe »zur Kenntnis genommen«, wie Stübgen hier in seinem Zuständigkeitsbereich vorgegangen ist, und halte das nicht für einen Beitrag zur Problemlösung, erklärt der SPD-Abgeordnete Ludwig Scheetz. Im Politikersprech bedeutet diese Formulierung verblümt große Missbilligung. Aber die Zeit, wo man das Asylheim doch noch hätte offen halten können, sei verstrichen, bedauert Scheetz. Es seien bereits Fakten geschaffen. Letztlich nur darum und aus Treue zur Koalition lehnt die SPD den Antrag der oppositionellen Linksfraktion ab.
Für die Abgeordnete Marie Schäffer (Grüne) bleibt ein »unschöner Beigeschmack«. Sie kann ihre Unzufriedenheit mit Stübgen und ihre Sorgen noch schwerer verhehlen als die Sozialdemokraten. Jetzt müsse man nach vorne schauen, meint Schäffer.
Die AfD provoziert. Man könne sich Doberlug-Kirchhain nicht weiter als Erstaufnahme, sondern nur als Abschiebezentrum mit Abschiebehaftanstalt vorstellen, sagt die Abgeordnete Lena Kotré. Angewidert schüttelt CDU-Politiker Lakenmacher den Kopf, ebenso Andrea Johlige. Da zumindest sind die beiden sich einig.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.