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Wuhlheide-Räumung: Die neue Berliner Linie
Nach Auflösung des Protest-Camps im Osten der Stadt wächst die Kritik an Senat und Polizei
Am Ende ging es dann doch ganz schnell. Wenige Tage, nachdem Umweltaktivist*innen am Samstagabend ein Waldstück in der Wuhlheide besetzten, um gegen ein umfangreiches Straßenbauprojekt zu protestieren, wurde das Camp am Mittwoch geräumt. Nun ist der Gesprächsbedarf groß: Stimmen aus der Opposition sehen den Einsatz als unverhältnismäßig an, kritisieren mangelnde Dialogbereitschaft des Senats. Dass die Polizei die Räumung bereits begonnen hatte, noch bevor die Gerichtsentscheidung feststand, sorgt ebenfalls für Diskussionen – genauso wie Teile der Urteilsbegründung.
»Das Verbot und die Räumung unseres legitimen Protests war unrechtmäßig und unverhältnismäßig brutal«, teilen die Aktivist*innen am Donnerstag mit. Die Punkte, die das Berliner Verwaltungsgericht in seinem Urteil anführt, weisen sie zum Teil von sich: Weder habe die Besetzung eine Gefährdung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit von Unbeteiligten dargestellt noch seien die Bäume zu Schaden gekommen. Auch eine Gefährdung des Wasserschutzgebietes weisen die Protestierenden von sich. »Die Besetzer*innen haben Baumhäuser baumschonend eingebunden, kletternde Personen waren gesichert, sanitäre Anlagen waren bereits in Besorgung. Hindernisse wurden markiert«, heißt es in der Erklärung. Man sei wütend und enttäuscht, triumphiere aber dennoch.
Kritik am Senat äußern auch die Grünen. »Wer ein Plakat, das den kleinen Maulwurf zeigt, als Einschüchterung wahrnimmt, verkennt eindeutig die Realität«, sagt Vasili Franco (Grüne), innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus. Wer vor Ort gewesen sei, der habe gesehen, dass die öffentliche Sicherheit durch die Besetzer*innen in der Wuhlheide nicht gefährdet wurde. Das Versammlungsrecht gestehe Demonstrant*innen zu, sich auf halboffenen Flächen zu versammeln, auch ein konkreter Sachzusammenhang sei gegeben. Genau dort, wo die Besetzer*innen ihr Camp errichteten, sollen rund 15 Hektar Wald einer vierspurigen Straße weichen. »Das wird von der Letzten Generation ja immer eingefordert. Eigentlich haben sie doch alles richtig gemacht«, sagt Franco. »Wer sich Sorgen ums Urinieren im Wasserschutzgebiet macht, kann sich ja genauso fragen, wie viel Schaden die Bäume beim Straßenbau nehmen werden.«
Ein deutlich anderes Bild als Franco zeichnet Innensenatorin Iris Spranger (SPD). »Was wir dort sehen, weicht in weiten Teilen von dem friedlichen Charakter einer Versammlung ab«, verteidigte sie die Räumung am Mittwoch. »Das Protestcamp ist mit seinen Barrikaden und den Aushebungen, die fast schon an Fallgruben erinnern, sowie den daraus erwachsenden Gefahren auf längerfristigen Widerstand ausgerichtet.« Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hielt derweil der Polizei den Rücken frei und verwies auf das Prinzip des Rechtsstaats: »In Berlin gelten Gesetze und Regeln, an die sich alle halten müssen.«
Am selben Tag pflichtet ihnen CDU-Fraktionschef Dirk Stettner bei. Er macht sich für den »überfälligen Bau« der sogenannten Tangentialverbindung Ost (TVO) durch die Wuhlheide stark. »Ausgewogene Verkehrs- und Klimapolitik bedeutet für uns auch das Verhindern von Staus und die Verbesserung der Lebensqualität für die Menschen in unserer Stadt«, heißt es in einer Erklärung Stettners. Hierzu gehöre auch, Wohngebiete durch die Verhinderung von Durchgangsverkehr zu entlasten. »Die betroffenen Bürger vor Ort wurden im Rahmen einer Bürgerbeteiligung intensiv befragt, die TVO genießt eine hohe Zustimmung.«
Zum Gespräch mit den Besetzer*innen zeigte sich die Große Koalition in den vergangenen Tagen allerdings nicht bereit, bevor sie zur Tat schritt. Etwa 40 Menschen wurden gezwungen, das Protestcamp zu verlassen. Sie hatten sich in fünf Baumhäusern und 20 Zelten am Boden verschanzt, die die Polizei durch rund 400 Einsatzkräfte räumen ließ. Die Beamt*innen rückten mit mehreren Mannschaftswägen und schwerem Gerät wie etwa Hebebühnen an. Der Einsatz, bei dem Polizist*innen mit Kletterausrüstung in die Bäume steigen mussten, zog sich über mehrere Stunden hin. Mindestens 14 Besetzer*innen wurden mit Platzverweisen und Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Demonstrationsgesetz bedacht.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen durch die Demonstrant*innen eingereichten Eilantrag wollte die Berliner Polizei dabei nicht abwarten. Niklas Schrader, Innenpolitik-Experte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, hält unter anderem dies für einen Fehler. »Wenn die Innensenatorin schon vorgibt, den Rechtsstaat in Berlin mit aller Konsequenz durchzusetzen, dann sollte man auch die Größe haben, die rechtsstaatlichen Mittel der anderen Seite abzuwarten«, sagt er zu »nd«. Auch wenn der Eilantrag aus juristischer Sicht keine aufschiebende Wirkung nach sich zog, kritisiert der Linke-Politiker die Entscheidungsträger*innen dafür, auf Deeskalation verzichtet zu haben. »Der Ermessensspielraum ist da und wenn auch der Wille da gewesen wäre, hätte man den Dialog gesucht.«
Letzten Endes, findet Schrader, passt das Agieren in der Wuhlheide zur Linie des neuen Senats. Das Agitieren gegen die Klimademonstrant*innen der Letzten Generation und die jüngst geforderte Ausweitung des Präventivgewahrsams auf fünf Tage zeigten deutlich, wohin der Weg führe. »Ich rechne damit, dass wir noch sehr heftige innenpolitische Debatten in den nächsten Jahren führen werden«, sagt Schrader. Auseinandersetzungen mit der Linksfraktion, aber auch mit der Zivilgesellschaft, seien unumgänglich.
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