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Nick Land: Kybernetik auf Amphetamin
Nick Land ist ein Philosoph der digitalen Entgrenzung, interessant für Reaktionäre wie Progressive
Der Philosoph Nick Land steht in der Tradition einer britischen Okkultismuswelle der späten 1970er-Jahre, die von Aleister Crowley, Punk und dem Horrorschriftsteller H.P. Lovecraft beeinflusst war. Diese »Chaosmagier« experimentierten mit Drogen, Sexualmagie und ad-hoc-Ritualen. Mit einer Verbindung von Wissenschaft und Magie wollten sie in jene »nicht-euklidischen« Abgründe vordringen, die von Lovecrafts archaischen Geschöpfen bevölkert waren. So glichen auch Nick Lands Philosophie-Vorlesungen an der Warwick-Universität (1987–1998) bisweilen ritualistischen Beschwörungen: Angetrieben von Jungle-Beats und Amphetamin, philosophierte sich Land, der kurzfristig in Aleister Crowleys altem Wohnhaus residierte, in die drogeninduzierte Psychose.
Er gilt als »Vordenker des digitalen Informationskapitalismus«, wie der Verlag Matthes & Seitz eine Sammlung seiner Texte bewirbt, die Dietmar Dath und Philipp Theisen unter dem Titel »Okkultes Denken« herausgegeben haben.
Land ist ein komplexer Autor, der ohne philosophische Kenntnisse kaum zu entschlüsseln ist. Seine performative Philosophie treibt das Denken an die Ränder der Verausgabung, sondiert die Abgründe der Logik des Realen und kehrt mit Zerstörerischem zurück. Wie Georges Bataille, über den Land seine einzige Monographie verfasst hat, ist Land ein Philosoph der Entgrenzung. Performativ zerstört seine Sprache Normatives, bis sie sich selbst in Phoneme zerlegt, in Zahlen zersplittert. Land ist poetologisch besser zu fassen als philosophisch. Er denkt trans-rational, verbindet Techno-Science und Mystizismus, Nummerologie und Science Fiction.
Dabei interessiert er sich wenig für Dialektik, Syllogismen, Ockhams Rasiermesser o.Ä. Wie William S. Burroughs, dem er viel zu verdanken hat, sieht er die Sprache als Gefängnis, aus dem es auszubrechen gilt: »Exit« ist bei Land ein zentraler Begriff. Er setzt sich von Bedeutungen ab, argumentiert mit Dichtern wie Arthur Rimbaud, Georg Trakl oder Antonin Artaud: Es ist der Sound, der zählt, nicht die Musik.
Seine frühen Texte sind als Mix aus Cut-Ups, poststrukturalistischem Duktus und Neologismen fast unlesbar: Beschwörungen eines Schamanen auf Amphetamin, die Dirk Höfer kongenial übersetzt hat. Land versucht mit manischen Operationen negative Energie zu erzeugen, um verkrustete Verhältnisse aufzubrechen. Mit komplexen Zahlenspielereien, von der Kabbala zum I Ching, hofft er, auf eine Ebene immanenter Materialität der Zahlen vorzudringen, die von den Machtstrukturen der Bedeutung befreit ist. Dietmar Dath, der Land im begleitenden Briefessay marxistisch-leninistisch liest, sieht darin nur ein »Hin- und Herschieben von Vorstellungen«. Doch bringt eben dieses Schieben, Schichten und Beschwören jene produktiven Mythologien hervor, die Künstler (Jake und Dinos Chapman), Autoren (Mark Fisher, Kodwu Eshun) oder Musiker (Steve Goodman) beeinflusst hat.
Hinter all dem steckt die Suche nach romantischer Entfesselung, die mit Bataille fragt, ob es nicht die entwürdigendsten Aspekte der Existenz sind, die uns jene Wahrheiten offenbaren, die wir brauchen. Land öffnet traumatische Räume, seine Philosophie ist letztlich antihumanistisch. Wie Lovecraft ist er ein Puritaner mit einem Abscheu vor dem Leben: »Man denke nur an Gesichts-Tentakel«. Der Mensch ist ein kosmologisches Ungleichgewicht, ein flüchtiger Zufall, eine Negentropie: »Die Menschheit entschwindet wie ein widerwärtiger Traum«.
Land ist Akzelerationist: Er befürwortet die kapitalistische Beschleunigung bis zum Exzess, weil sie Traditionen und Hierarchien liquidiert, im wahrsten Sinne des Wortes, verflüssigt. »Alles Ständische und Stehende verdampft«, heißt das bei Karl Marx. Akzelerationismus, bei Marx angedacht, ist eigentlich ein Begriff aus der Science Fiction. Die vulgäre rechtsradikale Variante will gesellschaftliche Widersprüche bis zur Eskalation in den sogenannten Rassenkrieg treiben. Linker Akzelerationismus ersehnt als große Gegenerzählung zum Neoliberalismus die automatisierte Welt ohne Arbeit, am deutlichsten im »fully automated luxury communism«.
Lands Akzelerationismus dagegen feiert das beschleunigte Kapital als eine Art Schopenhauer’schen intentionslosen und nihilistischen Weltwillen. Es realisiert sich selbst als Subjekt. Konkret, das Kapital erfüllt sich — beinahe wie die »Großen Alten« bei Lovecraft — als techno-kapitalistische Singularität am Ende des expandierenden Universums. Von dieser letzten Frontier aus wachsen seine Ranken aus der Zukunft in die Gegenwart und reißen den Menschen aus allen (biologischen) Beschränkungen. Die Singularität assimiliert den Menschen und überwindet ihn. Land hat solche raumzeitlichen Feedback-Schleifen als »Hyperstition« (hyper+superstition) bezeichnet: Fiktionen, die sich durch kollektive Praktiken selbst realisieren.
Das apokalyptische Kapital ist eine Fiktion aus der Zukunft, die sich in kollektiven Praktiken der Gegenwart — wie der Raumfahrt — selbst realisiert. Auf dem Weg ins All müssen alle Sentimentalitäten fallen, Planeten werden notwendig zerstört. Land argumentiert für einen Feedbackloop zwischen dem technokratisch faschistischen Staat der Schwerindustrie und dem libertären Pioniergeist von Kolonialisten: »Überhastete Denazifizierung ist nur was für erdverbundene Softies«, schreibt er. Land, der in Shanghai lebt, denkt Chinas totalitären Staatskapitalismus und libertären Pioniergeist aus Silicon-Valley zusammen.
Vieles bei Land atmet den Geist von Punk. In der Cybernetic Culture Research Unit (CCRU), Lands »renegade academia« (Simon Reynolds) der 90er, war man sich einig im Hass auf linksliberale Sentimentalitäten. Diese Fuck-Your-Feelings-Attitude macht Land in den 2010er-Jahren anschlussfähig an den Blogger Curtis Yarvin (Moldbug) und die amerikanische Neoreaktion (NRX). In »Dunkle Aufklärung« präzisiert Land 2012 Moldbugs Hass auf die »Kathedrale«, die angebliche Herrschaft eines linksliberalen Klerus protestantischer Universalisten. Land beschreibt die Demokratie als Virus, der mit Gleichheitspostulaten und einer Sklavenmoral der Schwachen, die Menschen in Zombies verwandele. Die »Kathedrale« expandiere den Staat als totalitäre Bürokratie, um diese Zombieherden einzuhegen.
Lands Gegenmodell liest sich wie ein »Gattaca«-Reload, von Ayn Rand und Ludwig von Mises verfasst: Eine Elite hyperintelligenter CEOs führt Stadtstaaten wie Unternehmen, in denen Entsolidarisierung und Rücksichtslosigkeit positive, da dynamische Werte sind. Die Herrschaft legitimiert sich eugenisch durch eine angeblich ungleiche Verteilung von Intelligenz unter diversen Ethnien. Rassismus wird als »Biodiversität« verbrämt. Obwohl derart Unappetitlichkeiten zum Standardrepertoire radikaler Rechter gehören, ist Land — zumindest bis »Dunkle Aufklärung« und seinem aktuellen Turn zum Twitter-Troll — kein typischer Vertreter dieser Politik. Nicht zu Unrecht vergleicht Dath ihn mit Gottfried Benn: Ein Intellektueller, der — obwohl bisweilen Stichwortgeber — für die politische Rechte zu klug und/oder zu exzessiv ist.
Lands Denken in okkulten Impulsen erzeugt eine Energie der Häresie, des Untergründigen und Abseitigen. Diesen Energiestrom sucht die Rechte anzuzapfen: Das Postfaktische findet sich nicht nur bei Donald Trump. Wissenschaftlichkeit, auf die Dath die Linke einzuschwören versucht, muss bei einem Gegner ins Leere laufen, der Rationalität per se ablehnt. Um in Lands Kosmos zu bleiben: als versuche man mit einem paranoiden Speedfreak vernünftig zu diskutieren.
Viele Fragen bleiben produktiv offen: Gründet sich der neoreaktionäre Backlash nicht auch darin, dass die Linke sich weigert, sich — wie Philipp Theisen spekuliert — produktiv mit dem Mythos, dem Abgründigen und Überschüssigen, was Bataille das Heterogene nennt, auseinanderzusetzen? Lands »traumascapes« zeigen, was Übles gedacht werden kann, was Übles droht. Doch sind seine Texte, wie die performativen Exzesse der 90er-Jahre, auch Matrizen für eine andere Art, Philosophie zu betreiben: kämpferisch, verführerisch, vielseitig anschlussfähig und gefährlich vibrierend. Besteck zur Navigation im Wahnsinn.
Nick Land: Okkultes Denken. Mit einem Korrespondenz-Essay von Dietmar Dath und Philipp Theisen. A.d. amerik. Engl.v. Dirk Höfer Matthes & Seitz, 431 S., geb. 38 €.
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