- Kommentare
- Kolumne Platzverhältnisse
Frisch, fromm, fröhlich, Iwan-frei
Christoph Ruf findet den generellen Ausschluss russischer und belarussischer Sportler von internationalen Wettkämpfen falsch.
Nancy Faeser musste zuletzt viel Kritik einstecken. Und das völlig zu Recht. Wie unausgegoren ihre Vorschläge in der Migrationspolitik sind, ist schon häufig moniert worden. Deswegen zu einem Thema, das hierzulande bezeichnenderweise nur wenige Menschen aufzuregen scheint: die Behandlung russischer Sportler, denen man gerade ihre Berufsausübung unmöglich macht. Und das weitgehend unkommentiert vom linksliberalen Milieu, für das es bekanntlich nichts Wichtigeres gibt als die Einhaltung der Menschenrechte.
Es geht um die Teilnahme von Sportlerinnen aus Russland und Belarus an Wettkämpfen in Europa. Viele Sportverbände sind dafür, deren Ausschluss aufzuheben. Auch der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, hat empfohlen, Sportler nicht allein aufgrund ihrer Herkunft aus Russland und Belarus von den Qualifikationswettbewerben für die Olympischen Spiele von Paris 2024 auszuschließen. Sie dürften nicht für das Handeln ihrer Regierung verantwortlich gemacht werden. Klingt vernünftig, sollte man meinen, doch Nancy Faeser sieht das anders. Sie will den Sportlerinnen die nötigen Visa verweigern. Was Kanuten, Leichtathletinnen und Fechter dort machen würden, weiß Faeser nämlich genau. Nicht etwa fechten, rennen oder Kanu fahren. Sondern dafür sorgen, dass »Kriegstreiber Russland die Sportereignisse als Bühne für seine Propaganda nutzen« könne. So referieren es die Agenturen.
Das ist bemerkenswert: Hat die Frau Erkenntnisse, dass die Handballerinnen vorhaben, Pro-Putin-Transparente zu entrollen oder ukrainische Kollegen zu beleidigen? Hat sie überhaupt Erkenntnisse, dass die russischen Sportler auf Putin-Linie sind? Und nicht nur die, bei denen man das durch ihre Nähe zu Polizei- oder Armeevereinen tatsächlich annehmen kann, die sich aber auch eher auf ihren Sport konzentrieren dürften, als Drei-Mann-und-Frau-Demos für Putin zu organisieren?Oder hat sie nur Erkenntnisse, dass bald Wahl ist in Hessen und sie dort SPD-Spitzenkandidatin ist?
Nun weiß Faeser, dass es schwierig wäre, eine verbreitete antirussische Stimmung, die mal eben etwa 150 Millionen Menschen in Sippenhaft für Putin nimmt, als Leitschnur für Regierungshandeln zu betrachten. Weswegen sie – offensichtlich im Einklang mit dem gesamten Kabinett – so tut, als gehe es zum einen um Sanktionen gegen Putin. Und zum anderen um die Verteidigung westlicher Werte, die auf Ruderstrecken und in Hockeyhallen nun mal genauso bedroht sind wie in Bachmut. Oder geht es doch eher um den heldenhaften Kampf zwischen demokratischen und antidemokratischen Anschauungen? Dann geht man also offenbar nicht nur davon aus, dass alle russischen Sportler auf Putin-Linie sind. Man würde dann auch eingestehen, dass man sich für antidemokratische Einstellungen nur dann zu interessieren scheint, wenn sie von Russinnen und Russen vertreten werden. Denn dass deutsche Teilnehmer erklären müssen, wie sie zur AfD stehen, amerikanische, was sie von Trump und der National Rifle Association halten, oder türkische, was sie von Erdogan halten, ist nicht bekannt.
Der Anwalt und Sanktionsexperte Viktor Winkler forderte bereits im Februar von seinem Berufsstand, sich ans Berufsethos zu erinnern. »Die Juristinnen und Juristen sind diejenigen, die erklären müssen, warum auch gut gemeinte Diskriminierung immer noch Diskriminierung ist. Wenn wir heute die ›Richtigen‹ diskriminieren und wir das erlauben, werden vielleicht morgen die ›Falschen‹ diskriminiert, wenn sich die Kräfteverhältnisse ändern.«
Dem kann man nur zustimmen. Und sich gleichzeitig fragen, warum auch bei Parteien und Menschenrechtsorganisationen mal wieder Schweigen im Walde herrscht. Im Moment erlebt man dieses Land jedenfalls ähnlich, wie es Wilhelm II. mal so freudig beschrieben hat: Wenn es um Russinnen und Russen geht, gibt es keine Parteien mehr. Sondern nur noch Deutsche.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.