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Buchladen »Schwarze Risse«: »Wir wollen systemüberwindend sein«
Benjamin Schulz über den linken Buchhandel, kollektive Selbstverwaltung und Schnittstellen zur sozialen Bewegung
Warum sind Sie Buchhändler geworden?
Benjamin Schulz, 33, arbeitet seit 2020 im Buchladen Schwarze Risse im Mehringhof in Berlin-Kreuzberg. Seine Buchhändlerausbildung hat er nicht abgeschlossen. Das Kollektiv versteht seinen selbstverwalteten Buchladen seit der Gründung im Jahr 1980 als Teil einer linken Öffentlichkeit und Infrastruktur in der Stadt.
Ich habe schon immer eine Affinität zu Büchern. Aber ich wäre nicht Buchhändler geworden, wenn es Schwarze Risse nicht gäbe. Mich zog dieser Laden an, der eine Schnittstelle ist zwischen eher intellektuellen Linken und anderen, die eher praktisch aktiv sind. Bei uns im Laden kommen die zusammen. Das war für mich ein ausschlaggebender Punkt.
Warum ist Ihnen diese Schnittstelle so wichtig?
Weil ich mich sowohl mit dem universitären Betrieb als auch mit klassischer Organisierung in der Fabrik nie anfreunden konnte. Bei unseren Lesungen und Diskussionsveranstaltungen mit Buchautor*innen treffen die Leute, die zu Hause am Schreibtisch schreiben, auf Leute, die eher aus praktischen Kämpfen kommen, und so werden alle mit einer konkreten Kritik aus der jeweilig anderen Perspektive konfrontiert. Damit befeuern wir Diskussionen zu Themen, die uns am Herzen liegen und schaffen es, einen Raum für verschiedenste linke, außerparlamentarische Strömungen zu bieten. Die meisten Vorträge werden über unseren Podcast auch auf schwarzerisse.de veröffentlicht.
Was zeichnet Schwarze Risse im Vergleich zu anderen Buchläden aus?
Wir sind eine Sortimentsbuchhandlung. Das heißt, wir haben einen sehr starken Fokus auf Fachbücher, vor allem aus dem gesamten Spektrum der linken, außerparlamentarischen Opposition. Auch im Bereich NS-Geschichte sind wir stark. Mir ist kein anderer Buchladen bekannt, der zu dem Thema so viele Bücher vorrätig hat. Wir haben eine breite marxistische und eine breite anarchistische Abteilung. Und aufgrund unserer persönlichen Interessen und unserem politischen Engagement in verschiedenen Teilen der Bewegung besitzen wir eine besondere Expertise, die es ermöglicht, zu vielen dieser Titel konkret etwas sagen zu können und unsere Kund*innen ausführlich zu beraten.
Wie arbeiten Sie mit den Kolleg*innen untereinander zusammen?
Wir arbeiten nicht einfach nur zusammen, sondern organisieren unsere Arbeit gemeinsam im Kollektiv. Dementsprechend setzen wir uns auch mit verschiedenen Dingen auseinander. Das beginnt bei unseren Strukturen im Laden und endet bei aktuellen politischen Themen, zu denen wir Veranstaltungen vorbereiten.
Wie gehen Sie dabei mit Kontroversen um – beispielsweise zum Ukraine-Krieg, ein sehr konfliktträchtiges Thema in der Linken?
Dazu haben wir tatsächlich viel gesprochen und uns schlussendlich entschieden, ein Diskussionsraum zu sein. Dabei setzen wir natürlich inhaltliche Schwerpunkte durch die Referent*innen, die wir einladen. Aber wir haben versucht, verschiedenen Standpunkten der außerparlamentarischen Linken Raum zu geben. Wir hatten sehr widersprüchliche Positionen auf unseren Veranstaltungen. Das ist eben auch Teil des Ladenkonzepts: Wir haben den Anspruch, eine große Bandbreite linker Positionen anzubieten, darunter auch Literatur, die wir inhaltlich nicht teilen.
Warum liegen in Ihrem Buchladen auch viele Flugblätter und Plakate zum Mitnehmen, mit denen Sie keinen Umsatz machen?
Wir sind ein Raum, in dem es keinen Konsumzwang gibt. Wer bei uns reinkommt und sich eine halbe Stunde hinsetzt und in einem Buch liest, muss dann nichts kaufen. Der Infoladen-Charakter macht unseren Laden zu etwas Speziellem. Die Leute kommen zu uns, um Informationen zu verteilen und zu erhalten – oder auch, um Tickets für den Soli-Bus zu kaufen. Uns ist wichtig, relativ viel Platz für Informationsmaterial und verschiedene Solidaritätsprojekte zu haben.
Was für Projekte sind das?
Es gibt zum Beispiel Soli-T-Shirts oder Soli-Postkarten, mit denen Spenden für Repressionsfälle organisiert werden. An Mobilisierungsmaterial legen wir fast alles aus, was uns die Leute bringen. Auch da sind wir ziemlich breit: Von Kongressen über Demonstrationen zu Infoveranstaltungen. Wir haben Bustickets zum Rheinmetall-Entwaffnen-Camp, zu antifaschistischen Aktionen und zu Gipfelprotesten verkauft.
Was davon hat in letzter Zeit reißenden Absatz gefunden?
Das war die Karte »feministischer Parcours«, mit der du eigenständig einen Stadtrundgang machen kannst. Der geht an historischen Orten des Widerstands gegen patriarchale Gewalt vorbei, zum Beispiel an Autonomen Frauenhäusern der 80er oder heutigen Beratungsstellen zu patriarchaler Gewalt. Du erfährst, was du als Betroffene*r tun kannst. Die hat sehr große Nachfrage erfahren.
Wie funktioniert das Kollektiv Schwarze Risse?
Unsere entscheidende Instanz ist das gemeinsame Plenum. Wir sind gleichberechtigt und fällen Entscheidungen gemeinsam. Und wenn wir keine gemeinsamen Entscheidungen treffen können, dann müssen wir miteinander um einen Umgang damit ringen. Das heißt, bei uns gibt es keine Chef*innen. Wir stehen alle in der Verantwortung. Das ist oft aufwendiger als in einem hierarchisch organisierten Laden. Aber bei uns ist das seit der Gründung vor über 40 Jahren mit einem politischen Anspruch verbunden, andere Arbeitsweisen zu erproben und zu etablieren.
Warum wollten Sie in einem Kollektiv arbeiten?
Ich bin in der linksradikalen Blase aufgewachsen und konnte mich in keinster Weise in klassische Arbeitsstrukturen hineinfinden. Ich habe keine Lust, einen Chef oder eine Chefin zu haben, die hinter mir steht und mir sagt, das und das hätte ich jetzt zu tun. Das ist nicht meine Vorstellung von Arbeit.
Gehört Ihnen als Kollektivmitglied auch ein Teil des Ladens?
Uns allen zusammen gehört der Laden. Niemand, der das Kollektiv verlässt, hat Anspruch darauf, einen Teil der Bücher oder etwas anderes mitzunehmen. Der Laden ist Kollektivvermögen und bleibt in der Hand des Kollektivs.
Können Sie von dieser Arbeit leben?
Wenn man das Glück hat, eine sehr, sehr niedrige Miete zu haben und sehr genügsam ist, dann vielleicht. Aber wir können uns kein Gehalt auszahlen, was andere als vernünftiges Gehalt betrachten würden.
Wie ist es generell um den linken Buchhandel bestellt?
Der linke Buchhandel leidet wie die gesamte Branche. Im vergangenen Jahr gab es enorme Einkommenseinbußen. Davon sind wir natürlich nicht ausgenommen. In Städten wie Berlin oder Hamburg läuft er noch ganz gut, weil er ein Stammklientel hat, das sich vom Angebot angesprochen fühlt. Aber auf dem Land ist das ganz anders. Eine angehende Buchhändlerin, die in Brandenburg arbeitet, meinte kürzlich zu mir, sie diskutieren, ob sie überhaupt linke Bücher – und wenn ja, welche – ins Schaufenster stellen.
Wie ging es den Buchläden unter Corona?
In Berlin hatten wir eine Sonderrolle, weil wir als systemrelevant erklärt wurden. Das ist bei uns natürlich erst mal auf Ablehnung gestoßen, weil wir nicht systemrelevant, sondern systemüberwindend sein wollen. Aber für unser Geschäft, wir sind ja auch als linker Kollektivbetrieb der Logik des Marktes unterworfen, war 2021 tatsächlich ganz gut. Wir haben davon profitiert, dass wir als Buchläden zu den wenigen Geschäften gehörten, in denen Menschen etwas kaufen konnten. Man muss das natürlich in Relation setzen zu unserer sowieso prekären Lage. Es war nicht so, dass wir endlich mal Rücklagen bilden konnten. Aber im Vergleich zum Vorjahr war es eine Positiventwicklung. Seit 2022 ist das allerdings auch wieder rückläufig.
Warum?
Wegen der steigenden Papier- und Druckkosten haben die Verlage die Preise erhöht. Und nach den allgemeinen Preissteigerungen und der Inflation merken wir, dass die Leute ihre Kohle zusammenhalten. Ich merke ja auch bei jedem Einkauf, dass ich schlucke und denke: Was, für die paar Sachen soll ich so viel zahlen? Da ist es logisch, dass die Leute erst mal Miete, Energie, Nahrung bezahlen bevor sie sich Bücher kaufen. Deshalb hoffen wir jetzt umso mehr, dass Leute, die unseren Laden schätzen, ihre Bücher vor allem bei uns kaufen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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