Alles schön in Form

Plattenbau. Die CDs der Woche: Romantiq» von Oval und «Chromacolor» von Chromacolor

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ovals Album «94 Diskont» war vor dreißig Jahren seiner Zeit voraus, wie man so sagt. Maschinenmusik, die Störgeräusche nicht nur als Gimmicks verstand, sondern auf ihnen alles Weitere aufbaute und dann auch noch gar nicht akademisch, sondern sehr traumhaft klang. Die Glitches, die Markus Popp mittels zerkratzter CDs und anderer Fehlerquellen fabrizierte, fügten sich wie selbstläuferartig zu etwas bis dahin Ungehörtem zusammen. Ambient-Musik ohne Seife, endlos mäandernd, mit immer wieder angedeuteten Melodiepartikeln, die einem in der Herzgegend rumwühlten. Der Eindruck, dass hier die Programme autonom vom Programmierer oder Musiker die Regie übernommen hätten, trug zur Schönheit des Ganzen wesentlich bei. Subjektlose Musik und damit für alle entlastend.

Glitch electronica wurde schnell zum Klischee und war als standardisierter, viel genutzter Soundeffekt abrufbar, Markus Popp legte Oval ein paar Jahre auf Eis. Das letzte Album der ersten, na ja, Projektphase, «Ovalcommers», erschien 2001. 2010 waren dann auf einmal für alle überraschend die EP «Oh» und das Album «O» da, die dann beide wieder anders klangen, mit Schlagzeug, als hätte eine KI auf MDMA ein Jazzrocktrio gegründet.

Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter: dasnd.de/plattenbau

Seitdem produziert Popp beziehungsweise sein Gerätepark konstant. Das neue Album klingt so wie sein Titel, «Romantiq». Eine Folk-Platte eigentlich, Akustikgitarrenmusik ohne Gitarre, wie Popp überhaupt in der zweiten Oval-Phase dazu übergegangen ist, «richtige» Instrumente mittels Laptop und Knöpfchendrehen gleichsam nachzubauen, nur eben nicht imitierend, sondern strukturell: man erkennt was wieder, obwohl es ganz anders klingt.

Zur Soundbeschreibung fallen einem bei elektronischer Musik hin und wieder dann doch nur etwas affige Adjektive ein. In diesem Fall wäre es das Wort «kristallin»: alles hier klingt überdeutlich und glasklar. Und trotzdem ist alles im Fluss: Stücke wie «Rytmy», «Cresta» und «Wildwasser» lösen sanft die Grenzen zwischen Maschinenästhetik und Naturromantik in der Musik auf, symbolisch sozusagen, aber so, dass es sich wirklich anfühlt, als gäbe es da keinen Gegensatz mehr. «Okno» und «Elektrin» erinnern in ihrer Sprunghaftigkeit an die frühen Oval, entpuppen sich aber beim dritten Hören als genauso ozeanisch gedacht wie der Rest des Albums. «Romantiq» ist eine wunderschöne Platte, auf der alles ineinanderfließt und trotzdem immer in der Form bleibt.

Dazu passt das neue Album von Chromacolor, einem Projekt des ebenfalls seit den Neunzigern aktiven Berliner Elektronikers Hanno Leichtmann. Mit seinem Projekt Static produzierte Leichtmann in den Nullerjahren melancholische Elektronica und hat seitdem eine ins etwas Unüberschaubare angewachsene Menge von Alben, Tracks und Soundinstallationen in die Welt gestellt. Chromacolor spielen gleichfalls romantischen Ambient, nur wesentlich weniger abstrahiert als Oval und instrumentenbasiert – Lamellophon, Saxofon, Flöte, aber alles sehr verhalten und nur sozusagen in Spuren hörbar; und dazu die entrückte Stimme von Annie Garlid. Die Musik erzeugt eine leise Spannung über sanfte rhythmische Verschiebungen und Patterns, die sich wiederholen und doch immer anders sind. Das erste Stück «Kisses and Wine» gibt die Richtung vor, das Presseinfo beschreibt die Tonalität als «longong and joyful», und das stimmt so.

Oval: «Romantiq» (Thrill Jockey / Indigo)
Chromacolor: «Chromacolor» (Arbitrary/Morr Music)

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.