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Wie misst man die Erdsicherheit?
Globale Gerechtigkeit ist Voraussetzung für den Erhalt der biologischen und physikalischen Lebensgrundlagen
Sicheres Leben auf der Erde – wer wünscht sich das nicht? Zu den mit dem Klimawandel einhergehenden Naturkatastrophen kommen militärische Bedrohungen und wirtschaftliche Unsicherheiten. Nicht zuletzt der am 24. Februar 2022 von Russland initiierte Krieg gegen das Nachbarland Ukraine hat auch das Potenzial, einen erneuten Weltenbrand zu entfachen. Politiker vieler Couleur beschwören, man müsse die Erde sicherer machen, den Klimawandel und die Erderwärmung stoppen, die Wirtschaft nachhaltig gestalten. Doch wie lassen sich solche Forderungen quantifizieren? Die Earth Commission unter Federführung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hat jüngst zu diesem Thema eine Studie veröffentlicht.
Nicht nur die Verletzung territorialer Grenzen und die militärische Aggression bedrohen Menschenleben, Wohnstätten und gesellschaftliches Umfeld. Ständig überschreiten wir Limits – in der Wassernutzung, der Ausbeutung von Bodenschätzen, dem Ausnutzen menschlicher Ressourcen. Wie weit kann man bei diesen Grenzannäherungen gehen, ohne dass der Planet Erde die biophysikalischen Lebensgrundlagen und seine Stabilität verliert? Inwieweit sind solche Grenzen auch überschreitbar und die Folgen reversibel? Eine Fragestellung, die umso dringender wird, je mehr solcher Grenzen bereits überschritten sind.
Eine Gruppe von 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Führung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hat sich nicht nur diese Frage gestellt, sondern fragt auch danach, wie solche Grenzen überhaupt messbar und daraus folgend auch gestaltbar sind. Veröffentlicht sind diese Forschungen in der jüngsten Ausgabe des Fachjournals »Nature«.
Grenzen definieren
»Wir befinden uns im Anthropozän und gefährden die Stabilität und Belastbarkeit des gesamten Planeten. Aus diesem Grund legen wir zum ersten Mal quantifizierbare Zahlen und eine fundierte wissenschaftliche Grundlage vor, um den Zustand unseres Planeten nicht nur im Hinblick auf die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Erdsystems, sondern auch im Hinblick auf das menschliche Wohlergehen und Gerechtigkeit zu bewerten«, erklärt Leitautor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Co-Vorsitzender der Earth Commission, den Ansatz der Studie.
Um dazu überhaupt Zahlen vorlegen zu können, müssen Kriterien gefunden werden, nach denen sich Grenzen festlegen lassen. Die Forschenden der Earth Commission – zu der unter anderem Institute wie das PIK, das sozialwissenschaftliche Institut der Universität von Amsterdam, der chinesischen Akademie der Wissenschaften, der japanischen Keio Universität, der australischen National University of Canberra gehören – haben Maßstäbe für sogenannte Erdsystemgrenzen definiert. Die fünf Bereiche, für die Grenzwerte gefunden werden sollten, sind Klima, biologische Vielfalt, Frischwassernutzung, die Verschmutzung des Bodens durch Düngemittel sowie die Luftverschmutzung. Diese Bereiche wurden nun unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet: Kann man für diese Bereiche »sichere Grenzen« im globalen oder kontinentalen Maßstab festlegen? Lassen sich »gerechte Grenzen« für die verschiedenen auf der Erde lebenden Spezies festlegen – für Menschen, Tiere und ganze Ökosysteme? Gibt es generationenübergreifende Grenzwerte? Wie legt man Grenzen innerhalb einer Generation in örtlich verschiedenen Lebensräumen fest, so zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern? Zur Fragestellung gehört auch, ob es ausreichend ist, »stabile Grenzen« festzulegen, in deren Rahmen eine globale Erholung gerade noch möglich scheint, oder ob das Kriterium »gerechter Grenzen«, das den Erhalt der Lebensräume wirtschaftlich benachteiligter Nationen und Regionen einschließt, unbedingt einzuhalten ist. Die Studie bejaht die letzte Frage eindeutig. »Überwältigende wissenschaftliche Belege zeigen, dass ein gerechter und fairer Ansatz wichtig für die planetare Stabilität ist. Wir können keinen biophysikalisch sicheren Planeten ohne Gerechtigkeit haben. Dazu gehört die Bestimmung gerechter Grenzen zur Vermeidung erheblicher Schäden, die Gewährleistung von Zugang zu lebenswichtigen Gütern sowie die gerechte Transformation dorthin«, sagt Co-Autorin Joyeeta Gupta, Co-Vorsitzende der Earth Commission und Professorin für Umwelt und Entwicklung im globalen Süden an der Universität Amsterdam. Denn eine Verletzung solcher gerechter Grenzen, das zeigt heute schon die Realität, führt nicht nur zu Konflikten in den bedrohten Regionen, sondern auch zu globalen Migrationsströmen, die wiederum ihrerseits Konfliktpotenzial mit sich bringen.
Klimaziel sollte bei 1 Grad liegen
Dabei sind viele Grenzen bereits überschritten. Nur etwa zwei Drittel der Landoberfläche des Planeten zeigen Bedingungen, die die Natur mit ausreichendem Grund- und Trinkwasser versorgen könnten. Eine Grenze für »regionale Biosphären« ist überschritten, wenn eine natürlich gewachsene Pflanzenwelt weniger als 30 Prozent der Landfläche bedeckt. Bei Stickstoffdünger liegt die Grenze bei maximal im Boden akkumulierten 20 Kilogramm je Hektar Agrarfläche, bei Phosphaten bei 100 Milligramm je Kubikmeter. So unterschiedlich die Messgrößen sind, zeigen sie dennoch erstmals quantifizierbare Daten auf.
Die beobachtete Entwicklung sei beunruhigend, meint Rockström zu den Ergebnissen der Studie. Bereits jetzt gebe es viele Systemgrenzen, die deutlich überschritten sind. Insbesondere seien biophysikalische Systeme wie Süßwasser und regionale Biosphären bedroht. Eine Schlussfolgerung der Studie ist, dass das in Paris vereinbarte Klimaziel von einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius nicht mehr ausreicht, um den Klimawandel mit seinen verheerenden Folgen zu stoppen. Die Autoren der Studie schlagen eine Begrenzung auf ein Grad Celsius vor, weisen jedoch deutlich daraufhin, dass nur ein Beachten der Gesamtheit aller Grenzen ein stabiles und gerechtes Existieren auf dem Planeten sichern könnte.
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