Wie Frontex die EU-Abschiebemaschine ölt

Abgelehnte Asylsuchende sollen klimaneutral und mit »Fesselungstechniken« in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden

Zur EU-Migrationsabwehr gehört auch die Verbringung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer oder auch in Drittstaaten außerhalb Europas. Bei diesen sogenannten »Rückführungen« soll die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) nach den Vorstellungen des Europäischen Rats künftig die Mitgliedstaaten stärker unterstützen. Der Begriff meint die Verbringung in das Herkunftsland der Betroffenen – entweder freiwillig oder unter Zwang. Mit ihrer 2019 erneuerten Verordnung hat Frontex hierzu am eigenen Sitz in Warschau ein »Europäisches Rückkehrzentrum« eingerichtet.

Die freiwillige Rückkehr sei die »bevorzugte Form«, schreibt Frontex auf der eigenen Website, dies sei aber nur bei 40 Prozent der Betroffenen der Fall. Insgesamt nimmt die Zahl der »Rückführungen« unter Frontex-Mandat stetig zu. Im Corona-Jahr 2020 waren es rund 12 000 Menschen, 2021 bereits 18 000 und im vergangenen Jahr rund 25 000.

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Beinahe alle »Rückkehrer« werden mit dem Flugzeug weggebracht. Das geht aus einem Bericht hervor, den Frontex für das zweite Halbjahr 2022 vorgelegt hat. Das Dokument ist nicht öffentlich, online gestellt hat es die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch. Demnach werden zwei Drittel der Betroffenen mit Linienflügen aus der EU geschafft und ein Drittel mit Charterflügen. Mit Abstand die meisten Flüge erfolgen jeweils aus nur einem Mitgliedstaat, in geringerem Umfang gibt es auch »gemeinsame Rückführungen« aus drei oder mehr Mitgliedstaaten. Möglich sind außerdem sogenannte Sammelflüge, bei denen die Menschen vom Zielland selbst abgeholt werden. Im zweiten Halbjahr 2022 wurden derartige »Rückholflüge« mithilfe von Deutschland und Frankreich organisiert.

Die meisten »Rückführungen« unter Beteiligung von Frontex werden laut dem Dokument aus Frankreich, Deutschland und Italien durchgeführt. Dies betrifft zumeist die internationalen Flughäfen in Paris, Frankfurt und Rom. Nicht immer sind die Maßnahmen jedoch erfolgreich. In 1248 Fällen wurden sie gestoppt, weil es keine Papiere gab, sich die Geflüchteten wehrten, abgetaucht waren, einen Asylantrag gestellt hatten oder an Corona erkrankt waren.

Das neue »Rückkehrzentrum« bei Frontex wird vom ehemaligen Bundespolizisten Lars Gerdes geleitet. Zuvor war er für mehrere Jahre Leiter der Ausbildungsmission der Bundespolizei in Afghanistan. Zur Erleichterung der Arbeit des Zentrums rekrutiert Frontex »europäische Verbindungsbeamte für Rückkehrfragen«, die dann in den Zielländern der »Rückführungen« stationiert werden. Außerdem entsendet Frontex »Rückkehrspezialisten« in die Länder, dort sollen sie bei der Beschaffung von Ausweisen helfen und eine »Rückkehr- und Wiedereingliederungsberatung« durchführen.

Die Grenzagentur will die »gemeinsamen Rückführungen« zukünftig allein organisieren. Dies erfolgte bislang erst in drei Fällen, in denen 2022 und 2023 insgesamt 143 Personen nach Albanien, Nigeria und Bangladesch gebracht wurden. Laut einer Präsentation eines Frontex-Beamten vor dem Strategischen Ausschuss des EU-Rats für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen soll es dieses Jahr mindestens vier weitere Flüge unter alleiniger Verantwortung von Frontex geben, »und zwar zu neuen Zielen«.

Frontex kümmert sich dabei um die Vorbereitung und Durchführung und erledigt auch alle erforderlichen Maßnahmen »nach der Rückkehr«. Das betrifft die Beschaffung von Papieren, den Kontakt mit den Konsulaten der Herkunftsländer der Betroffenen, die Buchung von Flügen und Erstellung von Passagierlisten sowie die spätere Betreuung im Zielland. Hierfür vergibt Frontex Aufträge an verschiedene nichtstaatliche Organisationen.

Abschiebungen eskortiert Frontex mit sogenannten Begleit- und Unterstützungsbeamten für die erzwungene Rückkehr. Sie gehören zur neuen bewaffneten Eingreiftruppe, die Frontex unter dem Namen »Ständige Reserve« errichtet und die bis 2027 insgesamt 10 000 Polizisten und Gendarmen umfassen soll. Sie sollen laut dem veröffentlichten Halbjahresbericht über gute Kenntnisse von »Kontroll- und Fesselungstechniken« verfügen. Allerdings dürfen Zwangsmaßnahmen ausländischer Polizisten nur unter Aufsicht von Behörden des jeweiligen Mitgliedstaates erfolgen, aus dem die Abschiebung erfolgt.

In dem Bericht nennt Frontex auch Zahlen zu eingesetzten Abschiebeeskorten. Demnach waren von den insgesamt 65 Beamten 21 im Frontex-Hauptquartier in Warschau stationiert, zwölf am Flughafen in Frankfurt, elf in Rom, je fünf in Wien und Paris sowie drei in Amsterdam. Insgesamt hätten sie fast 4000 erzwungene Abschiebungen begleitet. Bei den meisten Einsätzen handelte es sich um »Unterstützung am Boden«, also vor dem Abflug. In Amsterdam ist Frontex in etwa der Hälfte aller Fälle bei der Begleitung im Transitbereich tätig. In Frankfurt und Rom werden die Abschiebeeskorten in rund einem Drittel der Fälle zur Begleitung von Flügen eingesetzt.

Frontex stellt außerdem medizinisches Personal und Übersetzer für die Abschiebeflüge und kümmert sich um die Begleitung durch Menschenrechtsbeobachter. Hierzu arbeitet die Agentur mit dem nichtstaatlichen International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) in Wien zusammen, das sich dem »Migrationsmanagement« verschrieben hat. Die Organisation wurde vom ehemaligen österreichischen FPÖ-Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger gegründet. Nur ein Teil der Flüge wird jedoch tatsächlich beobachtet.
In dem von Statewatch veröffentlichten Dokument werden auch Fälle genannt, in denen die Abschiebebeobachter Auffälligkeiten gefunden haben. In München wurden etwa fehlende Polizistinnen bemängelt, um Frauen und Kinder zurückzubringen. Auch gab es in München und Berlin keine Infrastruktur für die Unterbringung von Kindern, die deshalb mit »störenden oder festgehaltenen« Abzuschiebenden einen Raum teilen müssten. Ebenfalls in München bemängeln die Beobachter eine rutschige Gangway. In Hamburg wurde ein Geflüchteter in Anwesenheit anderer Personen ärztlich untersucht. In Hannover wurden Maßnahmen bei einer Abschiebung als übertrieben beschrieben, da eine eigentlich nicht auffällige Person trotzdem »festgehalten« wurde.

Die EU-Mitgliedstaaten werden nun angehalten, andere Regierungen über bevorstehende Charterflüge zu informieren und durch eine Beteiligung die Kosten zu senken. Stehen nationale Rückkehrmaßnahmen an, sollen zunächst gemeinsame Einsätze mit anderen Staaten geprüft werden. Möglich sei auch, gleich mehrere Zielländer anzufliegen. Auch bei Linienflügen will die Grenzagentur expandieren. In einer Ausschreibung über 120 Millionen Euro sucht Frontex hierfür Reisedienstleister.

Um den CO2-Fußabdruck niedrig zu halten, sollen bei den »Rückführungen« Angebote der Fluglinien zum Klimaschutz in Anspruch genommen und dafür Extrazahlungen geleistet werden. Der in der Ausschreibung gesuchte Reisedienstleister soll bevorzugt bei Fluggesellschaften buchen, die dem »Green Deal«-Programm von Frontex entsprechen.

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