Schwere Vorwürfe gegen die sächsische Justiz

Nach den Verhaftungen bei Tag-X-Protesten: Untersuchungshaft gegen Antifaschisten, lebensbedrohliche Fehler bei medizinischer Versorgung

»Wir sind schockiert und fassungslos darüber, wie sorglos hier mit einem Menschenleben umgegangen wird«, heißt es in einer Erklärung von Freund*innen eines inhaftierten Antifaschisten. Der Mann war am 2. Juni in Leipzig verhaftet worden. Im Stadtteil Connewitz hatte es an diesem Abend Auseinandersetzungen zwischen Linken und der Polizei gegeben. Der Antifaschist, der an Epilepsie und einer dissoziativen Störung leidet, wurde festgenommen und am nächsten Tag einem Haftrichter vorgeführt. Ihm und weiteren Personen werden schwerer Landfriedensbruch und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.

Schon bei der Vorführung beim Haftrichter hatte die Anwältin des Mannes auf dessen Schwerbehinderung und Erkrankungen hingewiesen. Zudem betonte sie, für den 5. Juni sei ein Termin bei einem Neurologen vereinbart, um die Medikation des Inhaftierten mittels funktionsdiagnostischer Untersuchungen zu kontrollieren. Die Anwältin bat, wenn der Antifaschist schon in Untersuchungshaft müsse, einen Facharzt hinzuzuziehen und informierte über seine Medikation.

Offenbar ohne Erfolg, wie seine Freunde schreiben. In der JVA Leipzig habe die zuständige Anstaltsärztin stattdessen »eigenmächtig die Medikation, völlig
grundlos und ohne Kenntnis über seinen Krankheitsverlauf« geändert. Die Folge: ein schwerer Anfall und die Einlieferung in eine Klinik in Borna. Dort musste der Gefangene schutzintubiert werden, außerdem wurde ihm ein Infusionszugang in die Knochenmarkshöhle gelegt. Keine 24 Stunden später war er wieder in der Haftanstalt, wo seine Medikation erneut geändert wurde. Er erlitt weitere Anfälle, und es folgte die Einlieferung in die Uniklinik Leipzig, in der er auf der Intensivstation behandelt werden musste.

Auch nach der zweiten Einlieferung in ein Krankenhaus am vergangenen Mittwoch wurde der Mann keine 24 Stunden später wieder in die Untersuchungshaft verlegt. Dies, obwohl seine Ärzte wie auch Unterstützer*innen »viel Ruhe, wenig physischen und psychischen Stress und stabile, vertraute Verhältnisse« empfehlen. Bedingungen, die ihrer Überzeugung nach unter Haftbedingungen nicht gegeben sind.

Die Unterstützer*innen kritisieren die Praxis in der Justizvollzugsanstalt. Bei schwerwiegenden Erkrankungen dürfe eine Medikamentenumstellung nur nach eingehenden neurologischen Untersuchungen und bei engmaschiger Kontrolle des Gesundheitszustands des Inhaftierten stattfinden. In der JVA habe es eine »mangelhafte und grob fahrlässige medizinische Versorgung« gegeben. Man sei »schockiert und fassungslos« wie mit einem Menschenleben umgegangen werde. Der Staat nehme »den Tod eines jungen Mannes in Kauf, ohne mit der Wimper zu zucken«, um ein Exempel an der linken Bewegung zu statuieren und Angst zu machen.

Insgesamt befinden sich noch immer zehn an den Protesten ab dem 2. Juni in Leipzig Beteiligte in Haft. Eine Gruppe von Personen, die am »Tag X«-Wochenende inhaftiert wurden, bezeichnet sich selbst in einem Kommuniqué als das »i-Tüpfelchen der polizeilichen Strategie«. In ihrer Wahrnehmung sollen ihre Fälle dazu dienen, das harte Durchgreifen der Polizei und die »medialen Hetze im Vorfeld« der Proteste zu rechtfertigen. Das wollen sie allerdings nicht. Auch wenn man aus unterschiedlichen Ecken der Republik und verschiedenen Spektren der außerparlamentarischen Linken komme, sei man geeint in Solidarität und dem »Streben nach einem selbstbestimmten Antifaschismus«.

In ihrem Papier erklären die Linken, sie verstünden sich als »politische Gefangene« und versuchten, sich auch im Gefängnis nach besten Kräften gegenseitig zu unterstützen. Dies sei nicht immer einfach, deswegen fordere man, zusammengelegt zu werden. Auf einer Kundgebung am Montag vor der Staatsanwaltschaft Leipzig forderten Unterstützer*innen die Freilassung aller Antifaschist*innen.

Nicht nur die Inhaftierungen bereiten Antifaschist*innen derzeit Sorgen. Im Zusammenhang mit dem Wurf eines Brandsatzes am Nachmittag des 4. Juni ermittelt die Polizei wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Linke, die sich gegen staatliche Repressalien engagieren, rechnen deshalb damit, dass es in nächster Zeit häufiger zu Hausdurchsuchungen kommen wird. Ein Fotograf wurde von der Polizei bereits um die Herausgabe von Fotos gebeten. Er lehnte dies ab.

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