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Abschiebepolitik: Auf der humanitären Rutschbahn

Projekt zu Abschiebungen in Sachsen mit ernüchternder Bilanz – scharfe Kritik an neuen EU-Regelungen zu Flucht und Asyl

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Polizei stand früh um fünf vor der Tür und wies an: Koffer packen! Eine halbe Stunde gab sie der in Meißen lebenden georgischen Familie, dann wurde diese zum Flugzeug gebracht, das sie aus Deutschland nach Tiflis beförderte, in ein Land, das etliche der fünf Kinder nicht kannten. Zuvor waren ihnen im Zuge der Abschiebung die Handys und Sparbüchsen abgenommen worden. »Ich telefoniere einmal wöchentlich mit der ältesten Tochter«, sagt Frank Richter. »Sie fühlt sich bestohlen.«

Richter, der Theologe ist, einst die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen leitete und mittlerweile für die SPD im Landtag sitzt, kümmert sich nicht nur um die georgische Familie aus seiner Heimatstadt, sondern auch um andere Menschen, die als Migranten in den Freistaat kommen, dort aber nicht mit offenen Armen empfangen, sondern von Ausländerbehörden schikaniert und nicht selten abgeschoben werden. Ein Dutzend Fälle hat er im Rahmen des Projekts »Abschiebung minus Sachsen« im zurückliegenden Jahr auf einer Internetseite zusammengetragen. Er hat eine vorläufige Bilanz gezogen – die ernüchternd bis deprimierend ausfällt.

Richter betont, er lehne Abschiebungen nicht prinzipiell ab: »Im Einzelfall mag das geboten sein.« Allerdings treffe es »oft diejenigen, die integriert und fleißig sind und sich regelkonform verhalten – weil man ihrer habhaft wird«. Er kritisiert einen inhumanen Umgang mit diesen Menschen, die in ihrer Heimat oft direkte Gewalt erfahren hätten und sich in Sachsen erneut mit einem »System struktureller Gewalt« konfrontiert sähen.

So weigerten sich Behörden beispielsweise, Ermessensspielräume mit Blick auf die Wahl des Wohnsitzes zu nutzen. Das erschwere die Aufnahme von Arbeit sehr, sagt Lenore Lobeck, die im sächsischen Schwarzenberg eine Helferinitiative für Flüchtlinge gegründet hat: »Wenn sie uns nicht hätten, würden sie an den Behörden scheitern.« Arbeitsgenehmigungen würden restriktiv bewilligt, fügt Richter an. Das Innenministerium erkläre ihm gegenüber zur Begründung, man wolle »Anwesenheitsverfestigung vermeiden«. Menschen, die bei ihrer oft langen Flucht Mut und Widerstandskraft bewiesen hätten, würden im Ringen mit Behörden zur Verzweiflung getrieben. Integration werde so »nicht gefördert, sondern erschwert«.

Damit, sagt Richter, »schadet sich Sachsen selbst«. Im Freistaat herrsche akuter Mangel an Arbeits- und Fachkräften. Dennoch gelinge es nicht, Menschen, die mehrheitlich arbeiten wollten, so zu behandeln, dass sie »von Sozialhilfeempfängern zu Steuerzahlern werden«. Richter betont, er missbillige die Einteilung in »nützliche« und »unnütze« Zuwanderer. Er hoffe aber darauf, dass der »Schrei der Wirtschaft uns hilft« im Bestreben, einen menschlicheren Umgang mit Zuwanderern durchzusetzen. Derzeit, konstatiert er, befinde sich die Gesellschaft »auf einer humanitären Rutschbahn nach unten«.

Dabei scheine sie eher noch zu beschleunigen, sagt Stephan Theo Reichel, der den Verein »Matteo – Kirche und Asyl« leitet und Ansprechpartner für Kirchenasyl ist. Er verweist auf die jüngste Einigung in der EU zum Thema Flucht und Asyl, die etwa vorsieht, Asylverfahren in Lagern an den Außengrenzen zu vollziehen, in Ländern wie Bulgarien, die sich bereits durch einen besonders rigiden Umgang mit Flüchtlingen auszeichnen. »Die Festung Europa wird jetzt umgesetzt«, konstatiert er und mahnt, die Regelungen im parlamentarischen Verfahren deutlich zu entschärfen. Gelinge das nicht, werde das auch dramatische Auswirkungen auf Helfernetzwerke in der Bundesrepublik haben. In seinem Verein zweifelten viele zunehmend am Sinn ihrer Arbeit. »Wenn das so kommt wie jetzt geplant, werden ich und viele andere Menschen aufhören«.

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