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Erderwärmung: Der nette Planet ist nicht mehr nett
Wegen der Beschleunigung der Erderwärmung fordern Experten eine Debatte um das 1-Grad-Klimaziel
Der größte Klimaschützer für die Erde ist der Planet selbst. Von den 40 Milliarden Tonnen CO2, die die Menschheit »dank« ihrer modernen Zivilisation jedes Jahr ablässt, nehmen die Ozeane etwa 10 Milliarden Tonnen auf, weitere bis zu 12 Milliarden Tonnen werden von der Landmasse absorbiert, der Biosphäre vor allem. Übrig bleiben derzeit jedes Jahr bis zu 19 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid. Nur diese Hälfte der Gesamtemissionen lässt die atmosphärische CO2-Konzentration steigen – mit der ziemlich sicheren Folge, dass wir nach 2030 dauerhaft die 1,5-Grad-Grenze reißen und dauerhaft über dem Limit bleiben werden.
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Und der Planet ist noch netter: Je höher der Kohlenstoffdioxid-Gehalt in der Luft ist, desto mehr wird auch vom Meer aufgenommen. Der sogenannte Sättigungspunkt soll noch nicht erreicht sein. Mehr gelöstes CO2 im Meer – das lässt dieses versauern und gefährdet die Wasserlebewesen immer stärker. Aber das ist hier fast eine Nebensache.
Auch von der zusätzlichen Wärme, die durch die steigende Konzentration der Treibhausgase entsteht, haben die Weltmeere bisher den allergrößten Teil »geschluckt« – und zwar bis zu 90 Prozent. Die Landmassen der Kontinente nahmen weiter fünf bis sechs Prozent auf, das Eis und die Gletscher vier Prozent sowie die Atmosphäre ein bis zwei Prozent. Dieser geringe Wärmeanteil, den die Landmassen haben, reicht allerdings schon aus, um die Permafrostböden in der Arktis aufzutauen oder Bergspitzen instabil werden zu lassen. Würden Meere und Landmassen nicht derart ins Klima eingreifen, hätte sich die Erdoberfläche schon um weit über 30 Grad aufgeheizt. Dann wäre kein Leben in heutiger Form mehr möglich. Dass die Erde ein Wasserplanet ist und Wasser auch noch eine enorme Wärmekapazität hat, ist ein einziger Glücksfall für die Menschheit.
Doch bislang ist nicht klar, wie lange die Meere noch Wärme aus der Atmosphäre aufnehmen. Je größer die Pufferleistung der Ozeane ist, desto gravierender wäre der Wegfall dieser Funktion. Immer mehr Sorgen macht den Fachleuten dabei, dass die Ozeane zuletzt Temperaturrekorde brachen – und das könnte darauf hindeuten, dass sie ihre Pufferfähigkeit für das Weltklima und damit auch für die Land-Ökosysteme zunehmend verlieren.
Derzeitige Erwärmung verursacht erhebliche Schäden
Eigentlich sollten sich die Meere derzeit im Durchschnitt abkühlen, da sich der Großteil des Wassers der Erde auf der Südhalbkugel befindet, wo gerade Herbst ist. Tatsächlich zeigten Satelliten- und Bojen-Messungen aber im Mittel die höchsten Temperaturen seit Beginn dieser Messungen im Jahr 1981.
Dass sich die Meere so stark erwärmen, sei »eine echte Überraschung und sehr beunruhigend«, sagte der britische Ozeanforscher Michael Meredith. Es könnte also sein, dass die Kapazitäten des Meerwassers, den globalen Temperaturanstieg weitgehend zu kompensieren, begrenzt sind. Noch ist es aus Sicht von Meredith aber zu früh, um eine solche Entwicklung zu prognostizieren.
Dennoch verursacht der Klimawandel bereits bei der derzeitigen globalen Erwärmung von 1,2 Grad erhebliche Schäden und Gefahren, stellt jetzt ein internationales Autorenteam von Ökologen, Klimaforschern und Meteorologen in einem Beitrag im Online-Journal »PLOS Climate« fest. Die Anzeichen seien mehrfach und besorgniserregend: Extreme Hitze, Starkniederschläge, Dürren und schwere Wirbelstürme würden häufiger oder verstärkten sich.
Auch beschleunige sich, wird betont, der Eismassenverlust in Grönland und des Westantarktischen Eisschilds. Diese beiden Eisschilde stellen bekanntlich sogenannte Kippelemente dar. Sie verfügen über genügend gefrorenes Wasser, um den globalen Meeresspiegel so anzuheben, dass Küstensiedlungen und ganze Nationalstaaten existenziell bedroht sind, darunter New York, Rio de Janeiro, London, Amsterdam, die Niederlande, Lagos, das Nildelta, Dubai, Mumbai, Bangladesch, Vietnam, Jakarta, Shanghai, Tokio und Sydney.
Das Schmelzen der Eisschilde stört dabei, stellen die Klimaexperten in dem Beitrag fest, bereits die sogenannte globale thermohaline Zirkulation. Das ist eine Kombination von Meeresströmungen, die vier der fünf Ozeane miteinander verbinden und sich zu einem globalen Kreislauf vereinen. Diese Störungen könnten sich bis 2040 auf das Klima und die Stabilität des marinen Nahrungsnetzes auf der ganzen Welt auswirken, wird gemahnt.
Die Abkühlung der Erde benötigt Zeit
Wenn sich schon bei aktuell 1,2 Grad derartige Folgen einstellen – wie soll das erst bei 1,5 Grad, dem bisherigen Ziellimit der Klimapolitik werden? Die Klimaexperten ziehen daraus den Schluss: Stabil und sicher für die menschliche Zivilisation ist das Klima nur bei einer Erwärmung von maximal einem Grad über dem vorindustriellen Niveau. Über so ein ambitioniertes und ehrgeizigeres Klimaziel bis zum Ende dieses Jahrhunderts müsse jetzt endlich diskutiert werden, verlangen die Klimaexperten.
Für eine Begrenzung auf ein Grad Erwärmung reicht es natürlich nicht, die heutige Welt 100-prozentig zu dekarbonisieren. Schon jetzt sind vom Menschen so viele Treibhausgas freigesetzt, dass die Erde ab 2030 eine Erwärmung von 1,5 Grad überschreiten wird. Für ein Grad muss nach den Angaben die Welt möglichst schnell zu einer CO2-Konzentration der späten 1980er Jahre von etwa 350 ppm (Parts per million) zurückkehren – aktuell nähert sich die Kohlenstoffdioxid-Konzentration der Marke von 425 ppm.
Um das zu erreichen, wäre es nötig, jedes Jahr etwa 40 Milliarden Tonnen CO2 technisch wieder aus der Atmosphäre zu holen – so viel, wie die Menschheit derzeit in dieselbe entlässt. Diese Menge scheine zwar enorm zu sein, würde aber nur fünf bis zehn Prozent des weltweiten Energiebedarfs erfordern, machen sich die Forscher und uns Hoffnung auf eine groß angelegte strombasierte Kohlendioxidbeseitigung.
Allerdings brauchen wir viel Geduld, um die Erde wieder abzukühlen: Wenn nämlich der CO2-Gehalt der Luft absinkt, werden die Ozeane das jetzt gespeicherte Kohlendioxid nach und nach wieder abgeben. Die Erde vergisst eben nichts. Man darf die Nettigkeit des Planeten nicht überstrapazieren.
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