Protest in Schönefeld: »Wir geben keine Ruhe«

Besetzer*innen wollen den Abschiebeknast am Hauptstadt-Airport verhindern

Häuser besetzen sowieso: Aktivist*innen wollen den Bau des Abschiebezentrums aufhalten.
Häuser besetzen sowieso: Aktivist*innen wollen den Bau des Abschiebezentrums aufhalten.

»Es ist uns wichtig, dass wir genau hier an dieser Stelle sind, wo das Abschiebezentrum entstehen soll«, sagt Aktivistin Malek Schuhmann zu »nd«. Mit bunter Perücke und Maske steht sie am Samstagvormittag im Garten der Kirchstraße 30 im brandenburgischen Schönefeld. Aus den Dachfenstern des unscheinbaren Einfamilienhauses schauen einige mit Sonnenbrillen und Masken versehene Köpfe heraus und rufen gemeinsam mit den Aktivist*innen im Garten: »Nicht am BER! Nicht am Mittelmeer! Abolish deportation everywhere!« Die knapp 20 Aktivist*innen besetzen das Grundstück samt des leerstehenden Hauses, um gegen das geplante Abschiebezentrum am Flughafen BER zu protestieren.

»Das Abschiebezentrum ist ein Vorzeigeprojekt und soll europaweit das erste sein. Damit wird der BER zu einem riesigen Drehkreuz für Abschiebungen werden«, sagt Malek Schuhmann. 108 Haftplätze sollen entstehen, Geflüchtete aus dem gesamten Bundesgebiet werden dann voraussichtlich dort festgehalten, sagt die Aktivistin. »Der Abschiebeknast ist ein rassistisches Projekt zur Isolation und Inhaftierung von Geflüchteten.«

Die Aktivist*innen wüssten von einigen Menschen aus der Gemeinde Schönefeld, die sich ebenfalls gegen das Abschiebezentrum aussprechen. Das sei sehr wichtig, denn die Gemeinde könne den Bau noch verhindern. »Es gibt den Widerstand hier und wir laden alle Nachbar*innen ein, sich uns anzuschließen.«

Um die Nachbarschaft zu informieren und sich solidarisch mit der Besetzung des Grundstücks zu zeigen, haben am Samstagmittag weitere Abschiebungsgegner*innen eine kleine Mahnwache ein paar hundert Meter entfernt angemeldet. Dort wird eine Broschüre der Initiative »Abschiebezentrum BER verhindern« verteilt. Diese klärt über die Eigentumsverhältnisse der Grundstücke auf, auf denen das Zentrum vorgesehen ist.

Sie gehören dem Investor Jürgen Harder, heißt es dort, der Bund werde die fertigen Gebäude dann anmieten. Im aufbereiteten Zeitstrahl wird angegeben, dass Stand Mai dieses Jahres noch eine Absichtserklärung zwischen dem Investor und dem Land Brandenburg unterzeichnet werden muss. Außerdem müsse noch das Bebauungsplan-Verfahren der Gemeinde Schönefeld abgeschlossen werden. Erst dann kann eine Baugenehmigung erteilt werden und der Bau beginnen. 2025 oder 2026 werde die Fertigstellung des Zentrums erwartet.

Vom Flughafen BER aus schieben zahlreiche Bundesländer im Rahmen von Sammelabschiebungen regelmäßig Menschen ab. Das Land Berlin hat allein im April 159 Menschen abgeschoben, davon 112 in die Republik Moldau. Das teilt die Innenverwaltung in einer aktuellen Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp und Katina Schubert mit.

Der Berliner Flüchtlingsrat macht schon seit langem darauf aufmerksam, dass aus humanitären Gründen und historischer Verantwortung Deutschlands nicht nach Moldau abgeschoben werden sollte. Denn: Es sind vor allem Roma*, die vor der dortigen starken Diskriminierung fliehen. In einem offenen Brief wandte sich der Flüchtlingsrat vor Kurzem gemeinsam mit zahlreichen weiteren Organisationen wie dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma an Innensenatorin Iris Spranger (SPD).

Der Flüchtlingsrat kritisiert neben der generellen Praxis, dass Familientrennungen durchgeführt und Schwerkranke sowie Menschen mit Behinderungen abgeschoben werden. Viele von diesen hätten in ihrem Herkunftsland keinen Zugang zu einer ausreichenden Gesundheitsversorgung. Die Pläne der Bundesregierung und der Innenminster*innenkonferenz, Moldau und Georgien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, kritisieren Flüchtlingsrat und andere Organisationen deshalb scharf. Sie appellieren an die Innensenatorin, sich dagegen auszusprechen.

Am vergangenen Donnerstag wurde Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) im Abgeordnetenhaus nach den Leerstellen im Koalitionsvertrag gefragt. Anders als noch bei der rot-grün-roten Vorgängerregierung findet sich dort nun keine Vereinbarung mehr, sich für den Schutz und ein humanitäres Bleiberecht für Roma* auf Bundesebene einzusetzen und alle landesrechtlichen Spielräume zu nutzen, wie es die alte Regierung noch im Koalitionsvertrag festgehalten hatte. Die diesbezügliche Formulierung habe »weder in den Koalitionsvertrag noch in den Richtlinien der Regierungspolitik Eingang gefunden«, so Hochrebe.

»Da zeigt sich die Inhumanität dieser neuen Regierung und der harte Migrationskurs, der gefahren werden soll«, sagt Elif Eralp. »Als ob die Berliner Regierung sich mal eben von der historischen Verantwortung gegenüber Roma* frei machen könnte und jetzt nicht mehr dafür sorgen müsste, dass es eine humanitäre Lösung und Bleiberechtsperspektive für diese Menschen gibt«, so die Linke-Politikerin zu »nd«.

Eralp befürchtet, dass der Kurswechsel von Schwarz-Rot auch dazu führen könnte, dass Berlin zukünftig auf die Praxis der Abschiebehaft zurückgreifen wird. Bislang passiere das nicht, aber die Ablehnung von Abschiebehaft steht auch nicht mehr im Koalitionsvertrag. Ob Berlin daher zukünftig auch das Abschiebezentrum am BER nutzen wird, lasse sich noch nicht sagen, meint Eralp. »Ich unterstütze die Proteste gegen den Abschiebeknast am BER. Dort wird eine Haftanstalt geschaffen für Menschen, die nichts anderes verbrochen haben, als aus Not zu fliehen. Das ist menschenunwürdig.«

Der Protest der Besetzer*innen vor Ort in Schönefeld hält derweil bis zum Samstagabend an. Um 17.30 Uhr kommt es zur Stürmung und Räumung des Grundstücks durch Brandenburger Bereitschaftspolizist*innen, mit Unterstützung der Bundespolizei.

Ines Filohn, Pressesprecherin der Direktion Süd der Brandenburger Polizei, ist am Samstagabend vor Ort und bestätigt gegenüber »nd«, dass die Eigentümerin, die Firma Harder Ny, Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt hat. Währenddessen werden die Aktivist*innen vom Grundstück geführt, ihre Identitäten werden festgestellt und sie erhalten ein Aufenthaltsverbot für die Flughafengemeinde Schönefeld bis zum 26. Mai. Zwei von ihnen müssen noch mit auf die Polizeistation und kommen schließlich gegen 21 Uhr am Abend frei. »Das Anliegen ist ja nachvollziehbar, aber es geht nicht, fremdes Eigentum zu betreten«, sagt Filohn.

Aktivistin Malek Schuhmann hält die Besetzung auch nach der Räumung des Grundstücks für ein angemessenes Mittel, um gegen das Abschiebezentrum vorzugehen. »Was illegitim ist, das ist die Abschiebung von Menschen«, sagt sie, kurz nachdem sie die polizeiliche Maßnahme hinter sich hat, zu »nd«. Die Aktivist*innen werden ihr Ziel nicht aufgeben. »Wir werden immer wieder kommen, wir geben keine Ruhe, bis das Projekt abgeblasen ist.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -