Clara Zetkins Faschismus-Rede: Rache oder Strafe?

Vor 100 Jahren legte Clara Zetkin eine erste marxistische Analyse des aufkommenden Faschismus vor

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Zehn Jahre nach ihrer Faschismus-Rede, am 20. Juni 1933, starb Clara Zekin im sowjetischen Exil, in Archan­gelskoje bei Moskau.
Zehn Jahre nach ihrer Faschismus-Rede, am 20. Juni 1933, starb Clara Zekin im sowjetischen Exil, in Archan­gelskoje bei Moskau.

Vom 12. bis 23. Juni 1923 tagte in Moskau das Dritte Erweiterte Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale. Ein Schwerpunkt der Beratungen der insgesamt 50 Vertreter von 26 kommunistischen Parteien aus allen Teilen der Welt war die Situation in Deutschland, wo sich im Gefolge der Ruhrbesetzung die politische und wirtschaftliche Lage in dramatischer Weise zuspitzte.

Am 20. Juni 1923 ergriff Clara Zetkin das Wort. Es war ihre erste Rede vor diesem Gremium, und diese Rede war ein wirklicher Höhepunkt der Tagung, auch wenn das von vielen Teilnehmern nicht so verstanden wurde. Denn Clara Zetkin unternahm den Versuch, erstmals eine umfassende marxistische Analyse des aufkommenden Faschismus vorzulegen, wie er sich seit 1921 in Italien an der Macht befand und wie er sich in Deutschland in bedrohlicher Weise formierte.

Clara Zetkin warnte nachdrücklich vor einer Unterschätzung des Faschismus, der in großen Teilen der kommunistischen Bewegung nur als verschärfter bürgerlicher Terror oder als »Rache der Bourgeoisie« nach revolutionären Umsturzversuchen gesehen wurde: »Der Faschismus ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertig werden wollen.«

Doch es gelang der Kommunistischen Internationale und ihren Mitgliedsparteien in der Folge nicht, die von Clara Zetkin formulierten Überlegungen zum Faschismus aufzugreifen und auf ihrer Grundlage eine zeitgemäße und an den Realitäten orientierte Politik zu entwickeln. Schlimmer noch: Nur wenige Monate nach der Rede von Clara Zetkin prägte Grigori Sinowjew, der Vorsitzende der Kommunistischen Internationale, den Begriff des »Sozialfaschismus«, mit dem er das Wesen und die Politik der Sozialdemokratie beschreiben zu müssen glaubte.

Stalin griff diesen Terminus sofort auf. In einem Artikel für die Zeitschrift »Bolschewik« stellte er im September 1924 mit zweifelhafter Logik fest: »Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. (…) Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.«

Realistische Überlegungen zum Charakter und zur Politik des Faschismus und vor allem zum Kampf gegen den Faschismus waren auf dieser »theoretischen« Grundlage nicht möglich. Zwar verschwand der Begriff des »Sozialfaschismus« aus Gründen der Opportunität für einige Jahre wieder aus dem aktiven Wortschatz der Kommunistischen Internationale und es gab im Rahmen der viel beschworenen »Einheitsfronttaktik« sogar einige verschämte Versuche der Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie. Doch mit dem Sechsten Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Sommer 1928 in Moskau wurde die Gleichsetzung von »Nationalfaschismus« und »Sozialfaschismus« zur offiziellen Grundlage der kommunistischen Politik in allen Teilen der Welt.

Nikolai Bucharin, der inzwischen an die Spitze der kommunistischen Weltpartei gerückt war, hatte in seinem Eröffnungsreferat festgestellt: »Die Frage des Verhältnisses zu den sozialdemokratischen Parteien ist die politische Hauptfrage. Die Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie (…) ist (…) die politische Orientierung der Kommunistischen Internationale.«

Ernst Thälmann, der die Delegation der KPD leitete, brachte in seiner Rede am 26. Juli 1928 die Angelegenheit auf den sprichwörtlichen Punkt. In seinem von der großen Mehrheit der Delegierten in Moskau begeistert gefeierten Referat behauptete er, dass sich die deutsche Sozialdemokratie »vom Reformismus zum Sozialfaschismus« entwickeln würde. Und er legte nach: »Die Entwicklung des Reformismus zum Sozialfaschismus ist eine Erscheinung, die man in verschiedenen Ländern an verschiedenen Beispielen illustrieren kann.«

Folgerichtig scheiterten alle Bemühungen der KPD in den Jahren bis 1933, eine breite antifaschistische Front zu schaffen, vor allem an der fehlenden Bereitschaft, die Sozialdemokratie als potenziellen Partner anzuerkennen. Stattdessen wurde sie bis in die letzten Tage der Weimarer Republik und sogar darüber hinaus als »sozialfaschistischer« Feind betrachtet und behandelt. So behauptete Thälmann im Februar 1932, dass die KPD »gerade durch den Hauptstoß gegen die Sozialdemokratie erst die Voraussetzung für eine wirksame Bekämpfung des Hitler-Faschismus« schaffen würde.

Noch Ende Januar 1933 forderte die Führung der KPD eine »Verstärkung des prinzipiellen Kampfes gegen die Sozialdemokratie«. Und Thälmann kritisierte in seiner Ziegenhalser Rede am 7. Februar 1933, dass es der KPD nicht gelungen war, »den Einfluss der SPD (…) auf breite Arbeitermassen (…) in dem erforderlichen Maße zu liquidieren«. Gleichzeitig warnte er vor einer »Überschätzung« der Hitler-Regierung, »ihrer Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Proletariat«.

Trotz der welthistorischen Niederlage des Jahres 1933, des Machtantritts des Hitler-Faschismus und der Zerschlagung der deutschen Arbeiterbewegung, benötigte die Kommunistische Internationale noch mehr als zwei Jahre, um im Vorfeld ihres Siebenten Weltkongresses im Sommer 1935 eine neue Definition des Begriffes »Faschismus« zu entwickeln: »Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.« Doch auch diese, irrtümlich Georgi Dimitrow zugeschriebene, Formel hatte eher propagandistischen als wissenschaftlichen Wert.

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