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Putin: Angekratzt, aber nicht angezählt
Sicherheitsexperte Erich Schmidt-Eenboom über den »Aufstand« der Wagner-Söldner, Prigoschin und Putin
Was haben Sie empfunden und gedacht, als am Samstag alle Nachrichtenkanäle von einem »Aufstand« der Wagner-Söldner in Russland berichteten?
Ich war genauso überrascht wie wohl die Mehrheit der politisch interessierten Menschen. Bemerkenswert ist allerdings, dass US-amerikanische Nachrichtendienste und auch die »Washington Post« schon einige Tage vorher wussten, dass Jewgeni Prigoschin, der Anführer der Wagner-Truppe, sich gegen Wladimir Putin auflehnen wird. Mag sein, dass dies Spekulation war, vielleicht haben US-Dienste dies aber auch der von ihnen erfolgreich abgehörten Telekommunikation der Wagner-Truppe entnommen.
Für Putin ist dies jedenfalls ein schwerer Schlag, ein erheblicher Ansehensverlust. Darüber hinaus könnte sich das auch militärisch für ihn nachteilig auswirken. Die Wagner-Truppe war eine Trumpfkarte gegen die ukrainische Offensive, vor allem den Versuch von Kiew, die Krim zurück zu erobern. In und um Bachmut haben die Wagner-Söldner ukrainische Spezialeinheiten in Schach gehalten. Sie sind militärisch erfahren und äußerst skrupellos, ähnlich den tschetschenischen Kämpfern unter Ramsan Kadyrow. Die Frage ist nun, ob nach dem ebenso überraschend erfolgten Stopp des Marsches auf Moskau sich die Wagner-Truppe auflösen wird. Dies tangiert auch deren auswärtige Einheiten in Mali und Syrien.
Glauben Sie, dass sich die Söldnertruppe pulverisieren wird?
Erich Schmidt-Eenboom, Jg. 1953, Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, hat Geschichte an der Bundeswehruniversität in Hamburg studiert. Gegenstand seiner Forschungen und zahlreichen Publikationen sind die Geheimdienste, vor allem der BND, sowie Fragen der Militär- und Sicherheitspolitik.
Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Mehrheit der Legionäre von Prigoschin in die russische Armee eingliedern lässt beziehungsweise dorthin zurückkehrt, obwohl 30 000 der 50 000 Männer russischer Herkunft oder Nationalität sind. Da scheinen mir die Differenzen und Feindschaften der vergangenen Tage und Wochen zwischen der Wagner-Truppe und der russischen Militärführung doch zu gravierend und unüberbrückbar. Eine Option für die Wagner-Truppen in Mali und Syrien wäre, in die dortigen regulären Streitkräfte integriert zu werden. Prigoschin selbst ist zwar Straffreiheit und Exil in Balarus gewährt worden, doch er wird auf der Hut sein müssen, nicht mit dem russischen Nervengift Nowitschok Bekanntschaft zu machen.
Fällt Ihnen ein ähnlich spektakulärer Vorfall wie der »Aufstand« der Wagner-Söldner in der Geschichte ein? Oder ist dieser einmalig?
Mir fallen da nur die spätrömischen Soldatenkaiser ein, die ihre militärische Macht nutzten, um auch noch die politische an sich zu reißen. Prigoschin wird allerdings nachgesagt, er hätte solche Intentionen nicht ...
Im Dreißigjährigen Krieg hat es auch ambitionierte Söldnerführer gegeben ...
Man könnte auch eine gewisse Ähnlichkeit in den antinapoleonischen Befreiungskriegen finden. Preußen hat lange Zeit an der Seite der Grand Armée gestanden, dem französischen Kaiser Truppen zur Verfügung gestellt und sich dann gegen ihn gewandt. Ein eklatanter Seitenwechsel, der jedoch erst erfolgte, als man erkannt hat, dass Napoleons Winterfeldzug gegen Russland in eine Katastrophe mündet.
Meinen Sie, dass sich Prigoschin absetzen wollte, weil ein russischer Sieg im Ukraine-Krieg immer unwahrscheinlicher wird?
Ich weiß nicht, was er denkt, bezweifle aber, dass er an einem russischen Sieg zweifelt. Prigoschin sieht jedoch, was in den russischen Streitkräften los ist. Sie verfügen zwar über ein hohes militärisches Potenzial an Waffen und Gerät, aber der Gefechtswert russischer Soldaten ist ausgesprochen niedrig.
Keine Kampfmoral, sie wissen nicht, warum sie ihr Leben riskieren sollen?
Es geht nicht nur darum, dass sie nicht wissen, wofür sie kämpfen, es liegt an den militärischen Strukturen, dem rigiden Regiment, das in den russischen Streitkräften herrscht, an alten Ritualen, Züchtigung und Bestrafung. Die Soldaten werden ausgesprochen schlecht behandelt von ihren Vorgesetzten, Offizieren und Unteroffizieren. Westliche Beobachter gehen davon aus, dass die Hälfte der Todesfälle in russischen Streitkräften Hunger, Schikane oder Suizid aus Verzweiflung geschuldet ist. Es gibt zudem Berichte, dass die eigenen Leute auf jeden an der ukrainischen Front zurückweichenden russischen Soldaten schießen.
Können Sie sich vorstellen, dass es auf Grund des Desasters am Samstag zu einer Palastrevolte gegen Putin kommt?
Ich sehe das Image von Putin angekratzt, zumindest international, national vielleicht weniger. Ich sehe aber nicht, dass er ernsthaft angeschlagen ist, angezählt wird. Es scheint keine ernst zu nehmenden Kräfte in Moskau zu geben, die sich gegen ihn stellen und ihn möglicherweise absetzen. Das Militär ist auf ihn vereidigt, der gesamte nachrichtendienstliche Apparat und der Nationale Sicherheitsrat ihm verpflichtet. Die politische und militärische Elite hängt meines Erachtens nach wie Putin der Vorstellung der Wiedererrichtung eines Imperiums gleich der ehemaligen Sowjetunion an. Ich wüsste auch nicht, wen man da als Nachfolger präsentieren könnte, Dimitri Medwedjew, mit dem Putin über Jahre einvernehmlich die Rollen jeweils als Premier oder Präsident getauscht hat, sicherlich nicht. Ich kann auch keine starke zivile Opposition erkennen. Bleibt die Frage, ob und wie viele Oligarchen sich jetzt eventuell noch aus der Deckung heraus trauen und Putin herausfordern. Wenn er da an Rückendeckung verliert, könnte es für ihn problematisch werden.
Putin sprach am Samstag von einem Dolchstoß. Ist der »Aufstand« der Wagner-Truppe von ausländischen Geheimdiensten initiiert worden?
Ich glaube nicht, dass sich Prigoschin von ausländischen Diensten instrumentalisieren lässt, dafür ist er zu sehr russischer Nationalist. Ich hatte zudem das Gefühl, dass auch der Westen aufatmete, als der Spuk des Söldneraufstandes vorbei war. Das sind alles zu unsichere Kandidaten.
Boris Pistorius gestand am Samstag, ebenfalls überrascht worden zu sein. Hat der BND gepennt, weshalb der deutsche Verteidigungsminister ahnungslos war?
Der BND ist relativ stark in der funkelektronischen Aufklärung mit seinen Stationen in Bad Aibling und in Gablingen. Aber offensichtlich hat er die Wagner-Gruppe nicht auf den Schirm oder war nicht in der Lage, deren verschlüsselte Kommunikation zu knacken. Erstaunlich ist, dass es der amerikanische Partnerdienst nicht für nötig hielt, den BND zu informieren, sodass man in Berlin völlig überrascht war. Aber das zeigt wieder einmal, dass in der westlichen Geheimdienst-Community Eigennutz statt Zusammenhalt herrscht.
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