Das Recht auf eine Zukunft

Im US-Bundesstaat Montana klagen Jugendliche für mehr Klimaschutz und eine intakte Natur – ein Novum vor US-Gerichten

  • Julian Hitschler
  • Lesedauer: 5 Min.
Sie wollen sich ihre Zukunft nicht nehmen lassen: Diese Jugendlichen verklagen den US-Bundesstaat Montana und fordern von ihrer Regierung mehr Anstrengungen beim Klimaschutz.
Sie wollen sich ihre Zukunft nicht nehmen lassen: Diese Jugendlichen verklagen den US-Bundesstaat Montana und fordern von ihrer Regierung mehr Anstrengungen beim Klimaschutz.

Sie klagen ihre Zukunft ein: Sechzehn Kinder und Jugendliche im Alter von zwei bis achtzehn Jahren verlangen vor einem Bezirksgericht im US-Bundesstaat Montana einen Politikwechsel von der dortigen Regierung, weil diese die Förderung von Kohle, Öl und Gas vorantreibt – und damit auch die Klimakrise. Die jungen Menschen, die von der Umweltschutzorganisation Our Children’s Trust vertreten werden, wollen nicht hinnehmen, dass ihre Zukunft auf diese Weise gefährdet wird. Der letzte Verhandlungstag war für Freitag angesetzt. Von dem Prozess geht eine hohe Signalwirkung aus: Es ist die erste derartige Klage in den USA, die tatsächlich vor Gericht verhandelt wurde.

Unter den Kläger*innen im Fall »Held versus Montana« ist die Studentin Claire Vlases. Bereits vor Jahren regte sie an, dass ihre Schule in Bozeman, Montana eine Solaranlage auf dem Dach installieren sollte, um selbst Energie zu erzeugen und klimafreundlicher zu werden. »Der Vorschlag wurde sofort abgebügelt«, berichtet Vlases gegenüber dem Fernsehsender PBS. Die Begründung: Der Schule fehle das Geld. »Ich hatte damals keine Vorstellung davon, wie viel Geld 125 000 Dollar sind«, erklärt Vlases. Sie und andere Schüler*innen sammelten kurzerhand selbst Spenden für die Solarpanele ein. Heute erzeugt ihre ehemalige Schule ein Viertel des eigenen Strombedarfs selbst.

Doch Vlases, die als Skilehrerin jobbt, weiß, dass die Veränderungen, die sie im Kleinen erreichen kann, begrenzt sind. Die Umweltveränderungen durch den Klimawandel in Montana, das für die Schönheit seiner Berglandschaften bekannt ist, beunruhigen sie. Dürren, Waldbrände, eine immer dünnere Schneedecke im Winter – für Vlases sind die Beeinträchtigungen durch den Klimawandel sehr greifbar. Doch die Politik auf regionaler Ebene ist nicht nur wenig ambitioniert, sie verschlimmert das Problem sogar noch aktiv. Der Bundesstaat zählt zu den größten Kohleproduzenten der USA, auch Öl und Erdgas werden hier gefördert. Die Republikaner, die sowohl den Gouverneur als auch eine qualifizierte Mehrheit in beiden Parlamentskammern stellen, wollen, dass dies auch so bleibt: 2011 wurde den Umweltbehörden des Bundesstaats verboten, bei Genehmigungsverfahren im Energiesektor Auswirkungen auf den Klimawandel zu beachten. Das Gesetz wurde im Mai 2023 nochmals verschärft – mit dem expliziten Ziel, mehr fossile Jobs zu schaffen und die Energieproduktion zu steigern.

Dagegen klagen Vlases und ihre Mitstreiter*innen. Denn die Verfassung von Montana garantiert den Einwohner*innen des Staates seit 1972 »eine saubere und gesunde Umwelt für heutige und künftige Generationen«. Damals, als in der US-Gesellschaft erstmals massenhaft ein Bewusstsein für Umweltprobleme entstand, wollte man den Erhalt der Natur als Staatsziel festschreiben. Montana ist einer von wenigen Bundesstaaten, in denen der Umweltschutz offiziell Verfassungsrang hat.

Auf dieses Recht berufen sich nun die Kläger*innen im Fall »Held versus Montana«. Doch die Justizverwaltung des Staates blockt ab: Die Förderung von Kohlebergbau in Montana habe einen verschwindend geringen Einfluss auf den globalen Klimawandel. Vertreter der Republikaner im Parlament des Bundesstaats sehen das ähnlich: »Wir sind eine Million Menschen in einem Land mit über 300 Millionen Einwohnern. Eine Million auf einem Planeten mit 7,9 Milliarden Bewohnern. Ich glaube, es gibt wenig, was wir auf Ebene des Bundesstaats tun können, um einen Einfluss auf die Temperatur der Erde zu nehmen«, erklärt der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Steve Fitzpatrick, gegenüber PBS. Vlases hält hingegen wenig von dieser Argumentation: »Als ich mich über den Klimawandel informiert und wahrgenommen habe, was unsere Parlamentarier tun, um die fossile Industrie zu fördern, habe ich verstanden, dass dieses Vorgehen verfassungswidrig ist«, so die Klägerin.

Das Argument, man könne als Einzelstaat keine wirkungsvollen Maßnahmen ergreifen, will die Anklage dem Bundesstaat nicht durchgehen lassen. Im Prozess ging es deshalb vor allem viel um die Frage, welche grundsätzliche Verantwortlichkeit die Behörden für den globalen Klimawandel haben. Montanas Energiepolitik sei in dieser Hinsicht nicht bedeutungslos, so die Anwälte der Kläger*innen. Der Klimaforscher Peter Erickson vom Stockholmer Umweltinstitut betonte vor Gesicht, dass Montana im Jahr 2019 mehr Klimaemissionen verursachte als Irland, wo mehr als fünf Millionen Menschen leben.

Sollten sich die Kläger*innen durchsetzen, würden daraus zunächst noch keine unmittelbaren Verpflichtungen für den Bundesstaat entstehen. Wohl aber würde ein Präzedenzfall geschaffen, dass der Staat eine grundsätzliche Aufgabe zum Klimaschutz hat und Verwaltungsvorschriften entsprechend ausgestaltet werden müssen.

Mit dem Inflation Reduction Act wurden im vergangenen Jahr in den USA sehr großzügige Subventionsprogramme aufgelegt, um den klimafreundlichen Ausbau der Wirtschaft zu fördern. Doch aus Sicht vieler Forscher*innen und Umweltschützer*innen hat das Ganze einen Haken, weil es nur wenige ordnungspolitische Begleitmaßnahmen gibt. »Nur Karotten, keine Peitsche« – so wird der Ansatz der Klimapolitik von US-Präsident Joe Biden oft zusammengefasst. Man möchte der Industrie und wirtschaftlichen Partikularinteressen auf keinen Fall weh tun. Umweltschützer*innen erhoffen sich, dass sich die Politik in Montana nach einem Urteil im Sinne der Anklage zu einer aktiveren Regulierung von Klimaemissionen durchringt und dass das Beispiel Schule machen könnte.

Im Fall »West Virginia versus EPA« hatte der Oberste Gerichtshof der USA auf Bundesebene im vergangenen Jahr entschieden, dass die Regierung den Betrieb von fossilen Kraftwerken nicht grundsätzlich verbieten dürfe – lediglich Effizienzvorgaben seien zulässig, ein Komplettverbot erfordere ein neues Gesetz. Ein Urteil aus Montana im Sinne des Klimaschutzes könnte deshalb auch Vorbild für andere Gerichte sein, die Politik zu mehr Klimamaßnahmen zu verpflichten – auch wenn es in den meisten Bundesstaaten kein Verfassungsrecht auf eine »gesunde Natur« gibt. Vorstellbar ist aber auch, dass konservative Verfassungsrichter*innen das Urteil auf Staaten- oder Bundesebene kassieren – das könnte sich negativ auf die Bemühungen um Umweltschutz in den einzelnen Staaten auswirken. Der Fall »Held versus Montana« wird Politik und Justiz in den USA ohne Zweifel noch länger beschäftigen.

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