Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit: Keine Papiertiger

Vor 50 Jahren wurde die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Europa eröffnet

  • Arne C. Seifert
  • Lesedauer: 5 Min.

»Achtung der Gleichheit und Souveränität; Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt; Beachtung der Unverletzbarkeit der Grenzen sowie der territorialen Integrität der Staaten; friedliche Regelung von Streitfragen; Nichteinmischung in innere Angelegenheiten; Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit; Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker; freundschaftliche und gutnachbarliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten; Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.« Die Schlussakte von Helsinki, verabschiedet bereits zwei Jahre nach Eröffnung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 3. Juli 1973 in der finnischen Hauptstadt galt neben der späteren »Charta von Paris für ein neues Europa« (1990) als konstitutive Grundlage einer europäischen Friedensordnung. »Friedliche Koexistenz« und ihr friedensschaffender Inhalt sind heute außenpolitisch wie auch bei militärstrategischen »Think Tanks« weitgehend ausgemerzt. Die gebräuchlichsten Argumente lauten, ihr Zeitwert sei abgelaufen, oder/und sie seien »obsolet« angesichts veränderter internationaler Bedingungen.

Der Text von Helsinki war eine internationale Großleistung, weil letztlich alle gesellschaftspolitisch antagonistischen Teilnehmer aus Ost wie West im Wesentlichen das durchzusetzen vermochten, was sie zur Sicherung ihrer Interessen für erforderlich hielten. Der damals regierende Sozialismus in Gestalt des Warschauer Vertrages sah die seinerzeitigen politischen wie territorialen Realitäten durch die Prinzipien Gewaltverzicht, Achtung der territorialen Integrität, Unverletzlichkeit der Grenzen sowie Achtung der Souveränität und Nichteinmischung abgesichert.

Dem westlichen System waren die Achtung der Menschenrechte im Prinzipienkatalog, die detaillierte Ausgestaltung humanitärer Fragen sowie das enorm große Problemfeld der Information und ökonomischen Zusammenarbeit vor allem im Hinblick auf die Wahrung eigener kommerzieller Vorteile unverzichtbar.

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Im Mittelpunkt standen jedoch Frieden, Sicherheit sowie die dafür erforderliche Zusammenarbeit. Der Diplomat Peter Steglich, der dem KSZE-Prozess von Seiten der DDR beiwohnte, resümierte: »Die Schlussakte und der aus ihr hervorgegangene, auch militärische und vertrauensbildende Entspannungsprozess gehen in die internationalen Angelegenheiten als ein praxiserprobtes Beispiel dafür ein, dass friedliches Koexistieren und Kooperieren von Staaten mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Systemen möglich und gestaltbar sind. Eine solche Konstruktion kann auch als konsequent demokratisches Staatenverhalten in ihren internationalen Beziehungen verstanden werden. Ohne dieses wird eine multipolare Welt nicht in Frieden leben können. Sie ist unentbehrlich.«

Der sogenannte Helsinki-Prozess war keineswegs ein Papiertiger, sondern international höchst praktischer und erfolgreicher Natur. Das politische Denken vornehmlich europäischer Führungen fokussierte sich unter dem atomaren Bedrohungsdruck auf gemeinsame Sicherheit und Entspannung, wobei auch die Erwartung auf friedliche wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten in West und Ost ihren Platz hatte.

Hinzu kamen Überlegungen zur Gestaltung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, deren Institutionalisierung und Konsolidierung in und durch die KSZE. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte in seiner Rede vor dem Bundestag am 28. November 1990, in der er ein »Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas« vorstellte, er habe mit »Generalsekretär Gorbatschow Bausteine für ein gemeinsames Haus Europa« vereinbart. In Punkt 8 seines Konzepts hieß es: »Der KSZE-Prozeß ist ein Herzstück dieser gesamteuropäischen Architektur. Wir wollen ihn vorantreiben.«

Auch in der vom damaligen deutschen Nato-Generalsekretär Manfred Wörner 1990 entwickelten »zukünftigen Sicherheitsstruktur für Europa« hieß es noch: »Aufgabe ist es, für die europäischen Staaten eine Sicherheitspartnerschaft zu organisieren, um deren scharfe Gegnerschaft des Kalten Kriegs zu überwinden und von Konfrontation zu Kooperation überzugehen. […] Es gilt, für Europas zukünftige Sicherheitsarchitektur die Strukturen und Kooperationsformen zu nutzen, die gegenwärtig bereits bestehen und für uns nutzbar sind.«

Wandzeitung in einer Dresdner Schule zur KSZE
Wandzeitung in einer Dresdner Schule zur KSZE

Dazu gehörte seiner Meinung nach der KSZE-Prozess, »welchen wir bis zu einem Punkt zu entwickeln haben, an dem keine europäische Nation oder Staatengruppe sich gegenseitig militärisch bedrohen oder Hoffnungen hegen, mit militärischer Aggression erfolgreich zu sein«. Es gelte, »einen Sicherheitsrahmen zu schaffen, […] welcher die Sowjetunion in ein kooperatives Europa einbezieht. […] Damit wird sowjetischen Befürchtungen vor einer Veränderung der strategischen Ost-West-Kräftebalance Rechnung getragen.«

Die KSZE sowie ihre umgewandelte Nachfolgerin, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), spielten in den frühen 90er Jahren eine unverzichtbare Vermittlerrolle in Sachen Sicherheitspolitik und militärische Vertrauensbildung. So wurde im November 1990 anlässlich eines KSZE-Gipfeltreffens in Paris von den Regierungschefs der sechs östlichen und 16 westlichen Vertragsstaaten ein Pakt über konventionelle Streitkräfte in Europa unterzeichnet. Unter der Obhut der KSZE/OSZE entstanden diverse politisch verbindliche Vertrauen und Sicherheit bildende Maßnahmen, inklusive militärischer Zurückhaltung, allseitiger Transparenz und Verzicht auf gegenseitige nukleare Bedrohung. Das Prinzip der Berechenbarkeit kam dem Frieden in Zentraleuropa zugute.

Die Staaten der Transatlantischen Allianz rückten jedoch sukzessive von jenem Modus Vivendi ab – was in Moskau als ein Verdrängen Russlands aus der Mitbestimmung bei gesamteuropäischen Sicherheitsfragen wahrgenommen wurde. Bereits im Februar 1990 sondierte der US-amerikanische Außenminister James Baker in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei über eine Osterweiterung der Nato. Dazu notierte Robert L. Hutchings, außenpolitischer Referent derAdministration von George W. Bush senior: Während Polen und Ungarn sich als begeisterte Nato-Anhänger erwiesen, sei es in Prag schwieriger gewesen. »Präsident Havel hatte aus seinen Dissidententagen die Überzeugung mit ins Amt übernommen, dass beide ›militärischen Blöcke‹ – also Nato und Warschauer Pakt – gleichermaßen aufgelöst und von einer neuen‚ ›paneuropäischen Friedensordnung‹ ersetzt werden sollten, vorzugsweise durch die KSZE […] Wir hielten es für wichtig, ihm auseinanderzusetzen, weshalb die Vereinigten Staaten nicht der Meinung waren, dass die KSZE die Nato als Instrument der europäischen Sicherheit ersetzen könnte.«

So kam, was nicht kommen musste. Die KSZE ist tot, der Nachfolgerin OSZE droht gleiches Schicksal, vollstreckt von denselben Akteuren.

Dr. Arne Seifert, Botschafter a.D., war in den 90er Jahren für die OSZE tätig und ist Senior Research Fellow am WeltTrends-Institut für Internationale Politik, Potsdam.

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