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  • 70. Geburtstag von Cornelia Schleime

Aufwachen und lachen

Das Leben kann schön sein: Cornelia Schleime wird 70

War schon im Kunststudium angeeckt: Cornelia Schleime
War schon im Kunststudium angeeckt: Cornelia Schleime

Während sich im Westen die künstlerischen Subkulturen tendenziell aus dem Weg gingen und daraus ihre Kraft beziehen wollten, trafen sie im Osten in Ateliers und Wohnküchen zusammen, mangels anderer Öffentlichkeit. In dem neuen Sammelband »Magnetizdat DDR« beschreibt Ronald Galenza die Ostberliner Punkszene der 80er Jahre als kooperatives Ding: »Man kannte sich und arbeitete genreübergreifend zusammen. Maler, Filmleute, Musiker, Poeten, Puppenspieler und Hallodris machten nun Kunst, Krach und Unfug.«

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Wie kaum eine andere Künstler*in aus dem untergegangenen Land hat Cornelia Schleime diese Vielgestaltigkeit in ihrem Werk ausgedrückt und fortgeschrieben. Sie hat collagiert, Fotos und Postkarten übermalt, gefilmt, performt, gesungen und sehr viele Bilder gemalt – erst sich verändern, dann die Welt. Das haben die 68er nicht anders gesehen.

Voraussetzung für ihre emanzipatorische Aktivierung war, dass die DDR ihre Kunst nicht akzeptieren wollte. Sie hatte in Dresden Malerei und Grafik studiert, durfte aber nicht dem Verband Bildender Künstler beitreten, weil sie sich 1979 an der unkonventionellen Dresdener »Türenausstellung« beteiligt hatte, und erhielt ein Ausstellungsverbot wie der ebenfalls beteiligte Maler Ralf Kerbach. Zusammen gründeten sie die Band Zwitschermaschine: »Das Medium Musik, das wir ja nicht studiert hatten und wo wir vollkommen unbefangen waren, war genau richtig, um unserem Frust Luft und Platz zu verschaffen«, erzählt sie in »Magnetizdat DDR« (eine ausführliche Besprechung in diesem Teil der Zeitung wird folgen).

Hatten im New York der frühen 70er Jahre Dichter*innen wie Patti Smith und Richard Hell im Club CBGB mit Punkmusik angefangen, um ihre Gedichte explizit besser zur Geltung zu bringen, so begannen Schleime und Kerbach Ende der 70er in Dresden mit Punk-Gestus Musik zu machen – um sich überhaupt zur Geltung zu bringen. Sie hörten Stranglers und Can, doch es klang eher wie Pere Ubu.

2009 erinnerte sich Schleime in dem Buch »Too Much Future – Punk in der DDR« an ihre Auftritte: »Er traktierte die Saiten seiner Gitarre, ich meine Stimme, für ein Zusammenspiel, welches abseits der Vereinzelung eines Malerlebens lag. Kerbach machte im Selfmade-Verfahren unglaubliche Fortschritte an seiner Gitarre, er suchte nach Klangstrukturen, die an brechendes Eis erinnerten. Meine Stimme war von Natur aus viel zu tief, sodass ich wie ein alter Diesel klang.«

Sie war bereits in ihrem Kunststudium angeeckt, weil der dogmatische Realismus, der in den 70ern übrigens auch an vielen westlichen Kunsthochschulen gelehrt wurde, für sie nichts war. Sie ging in ihren Bildern horizontal in die Fläche, nicht in die ausschnitthafte Tiefe und versammelte in ihnen skizzenhafte Figuren und Schatten. Das hatte etwas Surrealistisches und war unter anderem beeinflusst von Cy Twombly, aber auch von Paula Moderson-Becker, deren Bilder sie in der Sächsischen Landesbibliothek für sich studierte.

Als Schleime nicht mehr ausstellen durfte, machte sie Super-8-Filme und Performances, in deren Rahmen sie ihr Gesicht einwickelte, in Folie oder mit Stricken, auch mit Stacheldraht – oder sie malte auf ihrem Körper. Erstarrung und Bewegung: »Das Leben bestand nur noch im Augenblick, es gab keine Zukunft, nicht in dem Land, in dem ich festgehalten wurde«, schreibt sie im Rückblick. Das mag man im Westen ähnlich empfunden haben, doch als Westler konnte man zur Zerstreuung und Weiterbildung immer noch nach Nord- oder Südamerika fahren, zumindest theoretisch.

Zu Zwitschermaschine stießen die Dichter Michael Rom und Sascha Anderson – beide wollten auch singen, und Anderson wollte der Bestimmer sein. Wie sich 1991 auf sehr peinliche Weise herausstellte, war er IM gewesen, das heißt, er organisierte und verhinderte Auftritte gleichermaßen. Er wurde der Star der Prenzlauer-Berg-Szene in Ostberlin, der auch nach Westberlin ausstrahlte, wo er 1982 bei Rotbuch seinen Gedichtband »Jeder Satellit hat einen Killersatelliten« herausbrachte. Das war ursprünglich ein Lied von Zwitschermaschine, es erschien ebenfalls im Westen – auf der ersten Platte mit DDR-Punk überhaupt (als Splitplatte zusammen mit Schleimkeim, die sich zur Tarnung »Sau-Kerle« nannten).

Die Aufnahmen und die Veröffentlichung hatte Anderson eingefädelt und selbstverständlich der Stasi verraten, so wie er auch noch nach seiner Übersiedlung nach Westberlin 1986 als IM weitermachte. In dem Lied heißt es: »Jedes zweite Programm hat ein drittes Programm, jedes dritte Programm hat ein viertes Programm, jedes vierte Programm hat ein fünftes Programm«. Schleime fragte sich später, warum sie diesen Text nicht ernster genommen hatte.

Sie durfte nach einem Hungerstreik 1984 von Ostberlin nach Westberlin ausreisen und ließ ihr Frühwerk zurück, untergebracht bei vermeintlich guten Freunden. Bis heute ist es verschollen. Noch in der DDR hatte sie bei einer Performance ihre Bilder zu Grabe getragen, doch das war rein symbolisch gemeint gewesen. Um im Westen ausstellen zu können, musste sie sehr viel neu malen, erzählte sie 2020 Deutschlandfunk Kultur in einem langen hörenswerten Gespräch, das man immer noch in der Mediathek abrufen kann: »Von Pferdeärschen, Einsamkeit und Kunstgelaber«.

Im Westen wurden ihre Bilder sukzessive malerischer und konkreter, getragen von einer kraftvollen New-Wave-Plakativität, aber auch ironischer, gemalt mit einem Witz, der an den expressionistischen Humor von Martin Kippenberger oder Werner Büttner erinnert. In ihrer »Stasi Serie« konterte sie 1993 Auszüge aus ihren Stasiakten mit spöttischen Fotos. Wenn da etwa über sie die Bemerkung stand, dass sie »kein Kraftfahrzeug« besitze, posierte sie vor einem großen US-amerikanischen Straßenkreuzer, oder sie erhob im Hausfrauen-Look das Glas vor einem Honecker-Foto als Kommentar zu der geheimdienstlichen Aussage, dass sie »die Anpassung an die sozialistische Gesellschaft völlig ablehnt«.

Später ging es viel um Tiere und um Haare. Sie malte Tierköpfe auf menschliche Körper in Porträtmanier oder Frauen mit antennenartigen Frisuren und Zöpfen. Wie zur Bewältigung ihres katholischen Elternhauses in Berlin produzierte sie auch eine Papst-Serie (hauptsächlich Johannes Paul II.) und eine Nonnen-Serie. Sehr witzig ist das Objekt »Schifferklavier für lange Arme« aus dem Jahr 2000.

Und wie ist das jetzt mit Osten und Westen? Eine typische Frage an Künstler*innen aus dem Osten; denen aus dem Westen wird sie nie gestellt, die interessieren sich auch in der Regel kaum dafür. Nun, Cornelia Schleime hat in einem »Statement 2009«, nachzulesen auf ihrer Webseite, festgehalten: »Im Osten musste ich in einer Nische arbeiten – mich unsichtbar machen, unterwandern. Hierbei kam es bei mir zu einer Mythologisierung einer Zwangssituation. Ich nahm mich ungeheuer wichtig und wurde zunehmend humorloser, etwas, das ich bei vielen DDR-Kollegen beobachten konnte. Aus dieser Kastration erwachte ich im Westen mit schallendem Gelächter. Kann das Leben schön sein, wenn die eigene Person an Unwichtigkeit gewinnt und man unter keiner Beobachtung mehr steht.«

Am 4. Juli wird Cornelia Schleime 70 Jahre alt.

Noch bis 13. August kann man sich das Werk von Cornelia Schleime in zwei Ausstellungen in Dresden anschauen: »Ich halte doch nicht die Luft an«, Albertinum; »Ich lass mich nicht spannen – lass mich nicht flechten«, Städtische Galerie.

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