»Hätte ich den Film heute angesiedelt, dann wären die weiblichen Figuren zynisch geworden«

François Ozons 30er-Jahre-Krimikomödie »Mein fabelhaftes Verbrechen« ist ein moderner Seitenhieb auf eine von Männern dominierte Welt. Ein Gespräch

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.
Eine Frau, Madeleine Verdier (Nadia Tereszkiewicz), im frauenfeindlichen und männlich dominierten Frankreich der 30er Jahre
Eine Frau, Madeleine Verdier (Nadia Tereszkiewicz), im frauenfeindlichen und männlich dominierten Frankreich der 30er Jahre

»Mein fabelhaftes Verbrechen« ist Teil einer Trilogie. Wie hängen diese Komödie, »8 Frauen« und »Das Schmuckstück« zusammen?

Alle drei Filme beschäftigen sich damit, welche Rolle Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft gespielt haben. Die Filme basieren nicht aufeinander. »8 Frauen« spielt in den 50ern. Die Frauen regeln alles unter sich, weil das Patriarchat erst abwesend ist und dann auf die Macht verzichtet, weil sich der einzige Mann umbringt. »Das Schmuckstück« ist in den 70ern angesiedelt. Ich habe mich bei der Rolle von Catherine Deneuve von Ségolène Royal, der ersten Spitzenkandidatin für die französische Präsidentschaftswahl, inspirieren lassen. »Mein fabelhaftes Verbrechen« hingegen zelebriert weibliche Solidarität in den 30er Jahren und den Triumph der Schwesternschaft.

Wie war das Leben in Frankreich in den 30er Jahren?

Sehr frauenfeindlich und männlich dominiert. Frauen durften kein eigenes Scheckheft besitzen und nur heiraten, wenn einer eine Mitgift gab, außerdem hatten sie in Frankreich nicht einmal das Recht, wählen zu gehen. Es gibt den ganz berühmten Satz von einer Suffragette, die sich für das Wahlrecht einsetzte: »Bei Grundrechten sind wir minderjährig, bei Fehlern volljährig.« Der Satz trifft heute noch zu.

Interview

François Ozon wurde 1967 in Paris geboren. Er studierte Regie an der französischen Filmhochschule La Fémis. Seinen ersten Langfilm, »Sitcom«, drehte er 1998. Er wurde bis jetzt fünfmal in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen. 2018 wurde Ozon von Frank-Walter Steinmeier mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Der Schauspielerin Madeleine im Film und ihrer Freundin und Anwältin Pauline widerstrebt diese Wirklichkeit. Welche Dynamik besteht zwischen den beiden?

Ihre Freundschaft ist sehr stark und ambivalent. Die Freundinnen brauchen einander und teilen Tisch und Bett. Gemeinsam kämpfen sie gegen die frauenfeindlichen Verhältnisse in der Gesellschaft und halten sich gegenseitig den Rücken frei. Vielleicht schwärmt Pauline ein bisschen für Madeleine. Damit spiele ich ein bisschen. Letztlich ist es dem Publikum überlassen, ob sie das aus dem Film lesen oder nicht.

Madeleine macht Erfahrungen mit einem übergriffigen Theaterproduzenten. Die #MeToo-Problematik ist aktueller denn je. Warum spielt »Mein fabelhaftes Verbrechen« nicht in der Jetzt-Zeit?

Es wäre dann keine Komödie mehr gewesen. Ich hatte erstens Lust auf etwas Leichteres. Außerdem erreicht man so ein viel größeres Publikum. Hätte ich den Film heute angesiedelt, dann wären die weiblichen Figuren zynisch geworden. Außerdem hätten sie versucht, irgendwie über Instagram berühmt zu werden. Dadurch, dass der Film in den 30ern spielt, haben Madeleine und Pauline keine finanziellen Mittel. Sie könnten das Geldproblem nur dadurch lösen, indem Madeleine mit dem Produzenten schläft, aber genau das will sie nicht. Also sucht sie gemeinsam mit Pauline nach einer anderen, klugen Lösung.

Als Madeleine behauptet, den Theaterproduzenten umgebracht zu haben, hat sie vor Gericht den Auftritt ihres Lebens. Der Gerichtsprozess ist wahrhaft ein Schauspiel. Warum ziehen Sie diese Parallelen?

Das Leben als Theater zu betrachten, ist tief in der französischen Kultur verankert. Auch bei Jean Renoir, Sacha Guitry oder François Truffauts »die letzte Metro« verschmelzen Theater und Realität. Es war amüsant, Parallelen zwischen der Justizwelt und der Theaterwelt zu ziehen. Man steht in beiden Welten auf einer Bühne. Es gibt Publikum, man spielt eine Rolle, die Richterrobe gleicht der Verkleidung der Schauspieler, und am Gericht wie auch am Theater werden Auftritte in Szenen eingeteilt. Ich habe zum ersten Mal einen Prozess gefilmt und mir hat es wahnsinnig viel Spaß gemacht, die Szene mit vielen Statisten und vielen Kameras zu inszenieren.

Der Film beruht auf einem Theaterstück, in dem ein Schriftsteller des Mordes verdächtigt wird, im Film ist es eine Schauspielerin. Warum haben Sie das geändert?

Ich wollte ganz bewusst über etwas reden, das ich kenne. Da lag das Theater- und Kinomilieu nahe. Ich habe mich gefragt, was eine gute Schauspielerin oder einen Schauspieler ausmacht. Ein Schauspieler spielt dem Publikum etwas vor und alle haben Lust, diese Lüge zu glauben. Deshalb wird Madeleine erst dann als gute Schauspielerin wahrgenommen, wenn sie anfängt, zu lügen. Am Ende triumphiert das Theater und nicht die Wahrheit.

Madeleines Erfolg kommt mit dem Verbrechen!

Ich mochte es, dass die Geschichte auch eine unmoralische Seite hat. Die Frage ist auch: Kann die Lüge einem guten Zweck dienen? In der Revolution verlief die Grenze zwischen Gut und Böse manchmal fließend. Kann ein Verbrechen also dafür sorgen, dass man für eine gerechtere Sache kämpft? Ich stelle hier nur eine Frage, mir geht es nicht darum, ein Verbrechen zu verteidigen.

Als »die wahre Mörderin« Odette auftaucht, werden die Karten neu gemischt. Sie haben Isabelle Huppert die Rolle zugeschrieben. Ursprünglich war die Rolle mit einem Mann besetzt, den Originaldialog haben Sie behalten

Genau darin liegt die Komik, weil das eine ziemlich vulgäre, alltägliche Straßensprache ist. Isabelle diese Worte in den Mund zu legen, ist wirklich amüsant.

Wie in »8 Frauen« gibt auch »Mein fabelhaftes Verbrechen« Hinweise auf Hupperts Biografie. Sie spielte 1978 bei Claude Chabrol die Mörderin Violette Nozière, im Film wird Nozière erwähnt. Warum diese Spiegelung?

Wenn man mit einem Star wie Isabelle Huppert arbeitet, muss man mit ihrem Image arbeiten. Das ist bei Catherine Deneuve auch so. Bei Isabelle weiß man, dass sie Violette Nozière in einem Film gespielt hat. Im Film agiert Madeleine wie eine junge Violette.

Nach ihrer Begegnung lässt Madeleine den Satz fallen: »Alt werden ist nicht einfach, vor allem für eine Schauspielerin«. Isabelle Huppert ist sehr erfolgreich. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Sie ist alterslos. Isabelle hat auch keine Angst, Charaktere mit tiefen Abgründen zu verkörpern. Nichts ist für sie unmöglich. Als ich »8 Frauen« mit ihr gedreht habe, sollte Isabelle eine Art Louis de Funès in weiblich spielen. Als Referenz diente dieses Mal die exzentrische Schauspieldiva Sarah Bernhardt.

Wie war Ihre erste Zusammenarbeit mit Nadia Tereszkiewicz (Madeleine), Rebecca Marder (Pauline) und Dany Boon?

Wenn ich mit sehr populären Schauspielern aus der Comedyrichtung arbeite, bitte ich sie, ein bisschen was anderes zu spielen als das, was sie normalerweise machen. Das Resultat ist immer recht spannend. Bei Dany Boon war das auch so. Ich mag es, dass Nadia Tereszkiewicz und Rebecca Marder von Stars umgeben sind, die das französische Kino schon länger kennt. Für mich sind sie die zukünftigen Stars des französischen Kinos.

»Mein fabelhaftes Verbrechen«: Frankreich 2023. Regie und Buch: François Ozon. Mit: Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Isabelle Huppert, Dany Boon. 102 Min. Start: 6. Juli.

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