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Auf der Leinwand stirbt man nicht

Mit digitalen Werkzeugen erfüllt das Kino den Menschheitstraum der ewigen Jugend – und lässt die Zuschauer dabei Grenzerfahrungen einbüßen

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 5 Min.
Sieht verdächtig jung aus: Harrison Ford (80) im neuen Indiana-Jones-Streifen
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Als Ari Folman mit den langjährigen Arbeiten zu »The Congress« (2013) begann, hatte er wohl kaum ahnen können, dass seine Dystopie längst Wirklichkeit geworden war. In einer Mischung aus Spielfilm und (noch unanimiertem) Zeichentrick legte er vor zehn Jahren einen berührenden Abgesang auf das schon damals totgesagte klassische Kino vor.

Unversehens findet sich darin eine Schauspieldiva, die sich selbst verkörpernde Robin Wright, aufgrund ihres Alters auf dem Abstellgleis wieder. Lediglich ein letztes Rettungsangebot wird ihr vom »Miramount«-Verleiher unterbreitet: Sie soll sich einscannen lassen und ihr Abbild für sämtliche Filme der Zukunft zur Verfügung stellen. Aus Angst willigt sie ein und muss bald schon feststellen, wie ihr zweites Ich nun in allen möglichen Genres vorkommt, die ihr zuvor unbehaglich waren.

Das ewige Leben als Segen? Wohl kaum, mehr gleicht es in diesem melancholischen Arrangement, das im letzten Schritt gar das visuelle Kino durch ein pharmakologisch erzeugtes, künstliches Paradies ersetzt, einem Fluch.

Von einer finsteren Prophetie konnte aber, wie angedeutet, schon damals nicht mehr die Rede sein, zumal der Regisseur James Cameron die Praxis des Einscannens bereits in seinem »Avatar« (2009), also vor dem Erscheinen von »The Congress« zur Vollendung gebracht hatte. Und so hielt auch in der kommenden Dekade die Digitalisierung mehr und mehr Einzug in Hollywood, das damit seinem Beinamen »Traumfabrik« immer mehr gerecht zu werden schien. Ganz aktuell zeigt sich jene Machbarkeitsfantasie im Abschluss der Indiana-Jones-Reihe. So machte es das Disney-Forschungslabor möglich, den mittlerweile 80-jährigen Harrison Ford zu verjüngen.

Einige Falten weniger mag man wohl nicht beklagen. Nur was passiert, wenn die Simulation nicht einmal mehr vor dem Tod haltmacht? Dem bereits 1994 verstorbenen Peter Cushing ist genau dies widerfahren. Denn seine Figur des aus der Ursprungssaga bekannten Todesstern-Commanders (bzw. er) wurde für das 2015 erschienene Prequel »Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith« digital rekonstruiert.

Die heutige Lichtspielkunst gibt uns somit auf den ersten Blick ein famoses Versprechen: Deine Stars bleiben, und zwar zumeist jung, attraktiv und mächtig, auch wenn du selbst alterst. Und klagten wir gestern nicht noch selbst darüber, wenn unsere geliebten Serien endeten, weil sich eine Schauspielerin oder ein Schauspieler zurückzog? Sollten wir überdies nicht froh sein, dass keine Leinwandgöttin mehr unter ihrem körperlichen Verdämmern leiden muss, weil ihre Blütezeit zumindest auf Zelluloid bis in alle Zukunft verlängert werden kann?

Die schöne neue Welt, in die uns das Filmgeschäft geführt hat, scheint nur zu erfüllen, was als Utopie aus dem Internet hervorging. Der Cyberspace sollte dem Wunsch der Tech-Optimisten zufolge ein Raum der Entkörperlichung sein, einer, in dem sich der Geist gemäß der christlichen Vorstellung aus den Fesseln des Leibes befreien sollte. Das brachte im Silicon Valley einen Gesellschaftsentwurf im Lichte ungetrübter Perfektion hervor.

Instagram versteht sich als der vitale Beweis für eine Kultur der Makellosigkeit. Sie behauptet das Bildzeugnis gegen jedwede Form der Vergänglichkeit. Nur dumm, dass die Menschen aus Fleisch und Blut diesem Ideal nicht Rechnung tragen können. Der Überschuss an in Szene gesetztem Glück trägt stattdessen zu einem epochalen Ennui bei, zur viel beschworenen Ära der Massendepression.

Und das Kino? In manch hoch technisiertem Filmstudio, das mehr an ein Versuchslabor denn an ein Set erinnert, treibt man diesen Fortschritt gänzlich ohne Bedenken fort. Dabei wäre eine Ethik des digitalen Films dringend geboten. Zunächst natürlich zum Schutz der Darstellerinnen und Darsteller selbst. Obgleich sie zu Lebzeiten als Prominente einen Teil ihrer Rechte am eigenen Bild abgeben, sollte ihnen doch mit dem Rückzug aus dem Business und allem voran nach dem eigenen Tod das Recht auf ein Vergessenwerden nicht verwehrt sein. Alles andere würde sie ihres eigenen Geschichtewerdens berauben, würde sie zum Schicksal als Leinwandzombies in einer nie endenden Gegenwart verurteilen.

Mindestens genauso bedeutsam wie dieser individuelle Schutz scheint in moralischer Hinsicht aber die soziale und kulturelle Botschaft einer ungezügelten digitalen Reproduktion zu sein. Denn was, so sollten wir uns fragen, wollen uns Filme überhaupt erzählen? Wer schon einmal bei einem Film geweint hat oder ins Schaudern versetzt wurde, weiß am besten, dass es stets die Grenzerfahrungen sind, die dem Leinwandgeschehen Intensität verleihen. Seien es Abschiede, scheiternde Lieben oder eben Krankheit und Schmerz – dort, wo sich der Film diesen schweren Themen nicht entzieht, demonstriert er seine Stärke. Man denke nur an das Œuvre eines Paolo Sorrentinos. Zwar arbeitet auch er mit verschiedenen technischen Raffinements, insbesondere der rasanten Musikclip-Ästhetik, gleichwohl setzt er seine Figuren geradezu schonungslos dem Verlauf der Zeit aus. Seine Protagonisten – häufig Künstlerpersönlichkeiten – leiden unter dem eigenen Zerfall, finden jedoch nach inneren Kämpfen Potenziale für eine neue Selbstbegründung.

Mit derlei kinematografischen Produktionen entwickeln wir uns selbst weiter. Weil wir uns darin spiegeln, weil unsere Verletzlichkeit einen Ort erhält, an dem wir sie verarbeiten. Der Filmkritiker Siegfried Kracauer beschreibt dies in seinem Text »Die Errettung der physischen Realität« von 1960 einmal so: »Indem das Kino uns die Welt erschließt, in der wir leben, fördert es Phänomene zutag, deren Erscheinen im Zeugenstand folgenschwer ist. Es bringt uns Aug in Aug mit Dingen, die wir fürchten. Und es nötigt uns oft, die realen Ereignisse, die es zeigt, mit den Ideen zu konfrontieren, die wir uns von ihnen gemacht haben.«

Der Film lässt sich ergo auch als eine Schule der Existenz deuten. Sie vermittelt Erfahrung, Weltwissen und bisweilen sogar Trost. Sobald sie allerdings steril wird, Haut und Makel glättet, ja den letzten Rest Wirklichkeit zugunsten einer Imagination völliger Artifizialität austauscht, gefährdet sie ihr höchstes Gut, das Menschliche. Gewiss gibt es kein Zurück mehr hinter die digitale Bildbearbeitung. Wie sie allerdings eingesetzt wird, darüber sollte im Sinne eines Kinos, das den Menschen sich selbst erkennen lassen will, diskutiert werden.

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