- Kultur
- Kultur/Nadire Biskin
Nadire Biskin: Weißt du, wie ich hier genannt werde?
Namen im Literaturbetrieb (Teil 4)
»Bist du Nadine/Nadir/Nadira?« – »Sind Sie Frau Bisky/Piski/Biskini?« Zwei Fragen, auf die ich mittlerweile mit »Nein« antworte. Meine Stimme geht dabei entschlossen nach unten. Ich pausiere für zwei Sekunden. Meistens blickt mein Gegenüber in der Zwischenzeit irritiert auf das Dokument in seiner Hand oder auf seinen Bildschirm, wo mein Name steht. Ich fahre fort: »Nadire. Nadire.« – »Biskin. Biskin«, sage ich. Ich wiederhole meinen Namen, um es meinem Gegenüber zu vereinfachen. Er soll genug Zeit haben, um die Aussprache zu lernen.
Dabei ist der Name bereits die vereinfachte, also die eingedeutschte Version. Ich spreche meinen Namen vermutlich seit der Vorklasse deutsch aus, so wie die Lehrer es damals taten. Mein Name steht mit den Jahren in meinen Ausweisdokumenten, in meinem Lebenslauf, in jeder Kurzvita bereits in der vereinfachten Version. Sie soll nicht nur meinem Gegenüber, sondern auch mir das Leben vereinfachen. Ich hoffe, damit die Frage nach meiner ethnischen Herkunft zu umgehen. Eine Frage, die häufig auf die Frage nach der Herkunft meines Namens folgt.
Türkischer Herkunft zu sein, ist in Deutschland weder außergewöhnlich, noch wird es mit positiven Eigenschaften verbunden. Das hat Auswirkungen im Arbeitsleben, ebenso bei der Wohnungssuche und bei privaten Begegnungen.
Namen sind wichtig, das weiß jeder. Besonders, wenn man Literatur schreibt. Wenn sie ungewohnt wirken, werden sie oft falsch benutzt. Über Diversität wird gern geredet, darüber aber fast nie. Deshalb schreiben in »nd.DieWoche« Schriftstellerinnen und Schriftsteller über ihre Namen.
Mein Gegenüber soll nicht verkrampft versuchen, den Namen perfekt auszusprechen. Mit der Aussprache und der damit verbundenen Scham kenne ich mich aus. Mein »ch« ist eher ein »sch«, so behaupten zumindest manche, und das in Kombination mit der türkischen Herkunft ist ein Schenkelklopfer – für die anderen, versteht sich. Ich möchte vermeiden, dass die Person sich schämt, weil sie sich von der Norm abweichend artikuliert.
Was ich lediglich erwarte, ist, dass die Person meinen Namen genau liest. Und das in einer Gesellschaft, in der auf die Frage nach der richtigen Schreibweise mit »So wie man es spricht« geantwortet wird. Früher, als ich jünger war und viel weniger Bildungs- oder Lebenslaufkapital hatte, forderte ich viel weniger. Ich verneinte nicht einmal den falsch ausgesprochenen oder gänzlich veränderten Namen, ich korrigierte mein Gegenüber nicht. Denn jede Korrektur meinerseits könnte nicht nur Scham hervorrufen, sondern auch als Kritik verstanden werden. Und mit der Kritik an der Dominanzgesellschaft hatte ich schon das ein oder andere Mal meine Erfahrungen gemacht. Häufig fragte die jeweils gekränkte bis entrüstete Person mich – sehr einfallslos –, wie es in der Türkei sei, ob man dort alle Namen richtig aussprechen würde.
Mittlerweile bitten mich Menschen, vor allem im beruflichen Kontext, ihnen vorzusprechen, wie der Name richtig ausgesprochen wird. Ich lächle dann verlegen. Es ist ungewohnt, dass man es mir recht machen möchte. Ich behaupte, es sei doch egal und der gute Wille allein reiche aus. Selbst wenn sie insistieren: Ich spreche meinen Namen weiterhin eingedeutscht aus. Dadurch bekomme ich das Gefühl, dass es eine Distanz zwischen uns gibt. Eine Distanz, die konsequent ist und die die Exklusion widerspiegelt, die ich und noch viel mehr und immer noch meine Familienmitglieder erfahren.
Ich habe mir so einen Intimnamen kreiert. Mein eingedeutschter Name erzählt die Geschichte von Scham und dem unbedingten Willen dazuzugehören und ist somit auch irgendwo oder eben nur in Deutschland mein richtiger Name. Aber wer weiß, vielleicht ist es so eine Phase und irgendwann werde ich meinen Namen türkisch schreiben, wieder genauso heißen wie meine Großmutter hieß. Ich werde vielleicht verlangen, den Namen auch türkisch auszusprechen und somit eine Annäherung zulassen, die Augenhöhe als Prämisse vorsieht.
Nadire Biskin wurde 1987 in Berlin geboren. Sie hat mehrere Jahre als Lehrerin gearbeitet und schreibt Prosa, Essays und journalistische Texte. Ihr Debütroman »Ein Spiegel für mein Gegenüber« ist 2022 bei dtv erschienen und handelt von einer jungen Bildungsaufsteigerin.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.