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Otto John: Von Rechten zermürbt
Der erste Verfassungsschutzchef war eine politische Ausnahme in der jungen Bundesrepublik
Vor ziemlich genau 69 Jahren schaffte es Otto John, der erste Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, dreimal auf die »nd«-Titelseite. Der Chef des westdeutschen Inlandsgeheimdiensts wurde dort aber nicht als Büttel Adenauers im Ost-West-Konflikt gegeißelt, sondern als ehrbarer Kämpfer für ein wiedervereinigtes Deutschland gefeiert. Bei mehreren Auftritten, unter anderem einer internationalen Pressekonferenz, erklärte John, die Bundesrepublik sei auf einem Kurs der Remilitarisierung. Die Westbindung sei gefährlich, ein neuer Krieg möglich. Außerdem beklagte John, dass alte Nazis wieder in führenden Positionen tätig seien; er nannte den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer und den Chef des 1956 gegründeten Bundesnachrichtendienstes Reinhard Gehlen.
Die Nazis im Staatsapparat sollen es auch gewesen sein, die John zu seiner Flucht getrieben haben. Am 20. Juli 1954 gedachte die Bundesrepublik zum ersten Mal im Bendlerblock der konservativen Widerstandskämpfer um Stauffenberg. John nahm an der Gedenkfeier teil, erkannte dort zwei ehemalige Mitarbeiter der Gestapo, die vermutlich zur Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts gehörten. Nach Angaben von Ronen Steinke sprach John danach gegenüber einem Vertrauten von »Gestapolümmeln«, die »mit hämischer Gebärde die Feier verfolgt« hätten. Noch am selben Abend fuhr Otto John mit einem alten Bekannten, einem mutmaßlichen KGB-Agenten, nach Ostberlin. Dort blieb er, trat mehrfach in der Öffentlichkeit auf und wurde von der DDR-Regierung hofiert. John selbst sprach später davon in die DDR entführt worden zu sein. An dieser Darstellung gibt es allerdings erhebliche Zweifel. Ende 1955 folgte, mit Hilfe einer dänischen Journalistin, seine Flucht zurück in die Bundesrepublik. John wurde, zu seiner eigenen Überraschung, festgenommen und wegen Landesverrats zu mehreren Jahren Haft verurteilt.
Dass John die Anwesenheit von Nazis bei einer Feier für Widerstandskämpfer besonders bedrückt hat, ist kein Zufall. Johns Bruder wurde wegen der Beteiligung am Widerstand zum Tode verurteilt und im April 1945 erschossen. John selbst floh im Juli 1944 aus Deutschland. In Großbritannien lernte er seine aus einer jüdischen Familie stammende Frau kennen.
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Der Jurist arbeitete nach dem Krieg zunächst für die Briten in ihren Gefangenenlagern in Westdeutschland. Er half, die politischen Einstellungen der Kriegsgefangenen zu beurteilen. Bei mehreren Kriegsverbrecherprozessen fungierte er als Zeuge der Anklage. In der frühen Bundesrepublik bewarb sich John erfolglos beim Auswärtigen Amt. Der CDU-Politiker Jakob Kaiser, wie John ein konservativer Nazigegner, schlug ihn aber für das Amt des Verfassungsschutzpräsidenvor, Adenauer stimmte zu. Auch die Westalliierten, unter deren Aufsicht der Geheimdienst bis 1955 stand, waren einverstanden.
Unter den Spitzenbeamten der frühen Bundesrepublik war der Exilant und Widerständler John eine Ausnahme. Unter seinen Mitarbeitern traf er nicht unbedingt auf Gleichgesinnte. Als rechte Gruppen Waffen sammelten, Todeslisten erstellten und Umsturzpläne schmiedeten, erfuhr John nichts davon. Sein Stellvertreter verschwieg ihm Hinweise darauf. Die noch bis zum 24. Juli in der ARD-Mediathek abrufbare Serie »Bonn – Alte Freunde, neue Feinde« thematisiert wie eine zugleich veröffentlichte Dokumentation (noch bis zum 17.1.2024 in der Mediathek) den Kampf Johns gegen neue Nazigruppen und Nazis in der eigenen Behörde. In der Serie ist BND-Chef Reinhard Gehlen der Gegenspieler Johns. Gehlen verhalf dem untergetauchten NS-Verbrecher Alois Brunner zur Flucht.
Der Verein »Frag den Staat« erstritt übrigens erst kürzlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz die 400-seitige Akte über Brunner. Sie offenbart, dass der Geheimdienst schon in den 60ern wusste, dass sich dieser sich in Syrien aufhielt. Einen Auslieferungsantrag stellte die Bundesregierung erst 1984. Was noch in den Akten aus der Frühphase des BfV steht, ist vermutlich Stoff für mehr als eine Serie. Womöglich finden sich auch weitere Informationen über Otto John, der nach seiner Haft jahrzehntelang darum kämpfte, nicht als Landesverräter zu gelten.
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