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Kinofilm »Art of Love«: Ein A-Team für die Liebe

Philippe Weibel nimmt sich in »The Art of Love« dem Problem der Vereinsamung in Form einer Komödie an

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
So, wie das aussieht, ist es nachvollziehbar, dass Eva (Alexandra Gilbreath) ihre Sextoys nie ausprobiert, bevor sie sie rezensiert.
So, wie das aussieht, ist es nachvollziehbar, dass Eva (Alexandra Gilbreath) ihre Sextoys nie ausprobiert, bevor sie sie rezensiert.

Im Jahr 2018 machte Großbritannien Einsamkeit zur Regierungssache und rief ein Ministerium ins Leben, um neun Millionen Briten zu helfen. Währenddessen beschloss Regisseur Philippe Weibel, der gerade für einen Auftrag in England verweilte, eine Komödie über das Einsamkeitsproblem zu schreiben. Und das mit Erfolg. »The Art of Love« ist warmherzig und frech und flache Witze bleiben zum Glück aus.

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Die Londoner Bahnangestellte Eva Parker (Alexandra Gilbreath) spart auf eine Schiffsreise mit ihrem Mann (Jeremy Swift), um ihrer Ehe frischen Wind einzuhauchen. Heimlich verdient die Mittfünfzigerin Geld mit Bewertungen der Sexspielzeuge von »The Art of Love«. Der Sextoy-Influencer Adam Kowinski (Oliver Walker) hingegen testet jedes Gerät und promotet es anschließend in den sozialen Netzwerken. Dass Adams Liebesleben eigentlich so traurig aussieht wie seine karge Wohnung, wissen seine Follower nicht.

Während der selbstverliebte »Mr. Love« mit sexy Sixpack die Produkte von »The Art of Love« anpreist, begeistert Eva Parker als »Shakespeare der Sexbranche«. Ihre Rezensionen schaffen es sogar in die offiziellen Produktbeschreibungen. Dass sie keines der Erwachsenenspielzeuge jemals getestet hat, verschweigt sie wohlwissend. Als ein neuartiges Sexspielzeug auf den Markt kommen soll, wittert Firmenboss Hector (Kenneth Collart) seine Chance, das ungleiche Paar zusammenzubringen, um das ultimative Liebesspielzeug gegen Einsamkeit zu entwickeln.

Unerwartet bilden Adam und Eva nun ein A-Team für die Liebe. Netterweise hat Weibel außer der biblischen Namenskombi keine weiteren Überraschungen dieser Art parat, denn anders als dieses Namenspielchen und die Handlung suggerieren, nimmt Weibel seine Charaktere ernst. Er verzichtet auf lustig-peinliche Begegnungen mit Sexspielzeugen. Das Modell, das Adam und Eva mitentwickeln, ist kein vibrierender Apparat, sondern ein KI-Anzug, in den das Zwangs-Dreamteam Gefühle und kognitive Verhaltensmuster einspeisen soll.

Die bodenständige Eva und der zunächst oberflächliche Posterboy Adam sind grundverschieden, einsam sind sie beide. Adam hat zwar über eine Million Follower, aber als Freund nur den profitgierigen Hector. Eva hingegen trauert den romantischen Zeiten mit ihrem missmutig in der Wohnung sitzenden Ehemann nach. In ihrer Einsamkeit begegnen sich Adam und Eva und finden darin eine tiefe, ungewöhnliche Freundschaft. Und dann zieht auch noch seltsam-schöne Poesie in Adams Alltag.

In »The Art of Love« spricht jeder Ort für sich. Adams kühles Loft mit Stahlbett und Trainingsbank ist ein schöner Kontrast zu Evas kleiner, mit alten Möbeln und Blümchentapete eingerichteter Wohnung. Die Sextoy-Marke hingegen präsentiert sich in hellem Pink, selbst die Angestellten tragen Rosa- und Rottöne. In Wahrheit ist die Fabrikhalle übrigens der 190 Quadratmeter große Veranstaltungsort »Kraftwerk« in Zürich.

Aus dem Kommandoraum des ehemaligen Elektrizitätswerks blickt man durch ein riesiges Glasfenster auf die große Halle, das Gebäude ist ein paar Minuten vom Hauptbahnhof in Zürich entfernt. Die Produktionsbedingungen waren nicht einfach. Auch pandemiebedingt drehte Weibel viel in Zürich. Später wurden dank Greenscreen Londoner Gebäude hinzugefügt. Einige Dreharbeiten fanden in London und an der malerischen Südküste Englands statt. Weibel selbst ist Schweizer, der Film sein Herzensprojekt.

Als Produzent und Regisseur setzt Weibel eben auch kommerzielle Projekte um. Als er keine öffentliche Förderung für die Liebeskomödie bekam, musste er umdenken. Er finanzierte das Projekt durch Crowdfunding, Sponsoring und Partnerschaften mit lokalen Firmen. Vom Desinfektionsmittel über den Kaffee, Bier, Hotelübernachtungen und Fitness- sowie Sexspielzeug ist alles dabei. Im Abspann des Filmes nennt Weibel private Geldgeber ab einem Betrag von 50 Franken (circa 50 Euro). Um Geld zu sparen, verzichteten Weibel und Kameramann Brian D. Goff erstmal auf ihren Lohn.

Ihre Premiere feierte die schweizerisch-britische Kooperation 2021 auf dem Züricher Filmfestival, international wurde »The Art of Love« acht Mal ausgezeichnet. Der Preisregen kommt nicht von ungefähr, denn Weibel präsentiert die romantische Komödie gekonnt mit trockenem Humor und zurückhaltender Erzählweise. Der Regisseur setzt wie in seinem Erstling »Trapped« auf den Schauspieler Oliver Walker. Alexandra Gilbreth bildet im Film als anfangs langweilige Ehefrau den perfekten Gegensatz zu dem muskelbepackten, 20 Jahre jüngeren Posterboy Adam.

Brillant sind auch die Nebenrollen besetzt. Jeremy Swift mimt den desillusionierten Ehemann, Jasmine Blackborow die verrückt-sympathische Nachbarin und Kenneth Collard den aufgesetzt-freundlichen Fabrikleiter. Man merkt, dass Weibel weiß, wie man Orte und Menschen wahrhaftig inszeniert. Denn wie die Spielorte sind die Haupt- und Nebencharaktere einzigartig. Und so entsteht eine hübsch anzusehende, leichte Romantikkomödie mit durchaus bewegenden Momenten.

»The Art of Love«: Schweiz, UK 2022. Regie: Philippe Weibel, Drehbuch: Klara Kallis und Philippe Weibel. Mit: Alexandra Gilbreath, Oliver Walker, Jeremy Swift. 106 Min. Start: 13. Juli.

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