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Jägerin oder Hüterin des Heims
Die Rolle der Frau in prähistorischen Gesellschaften muss differenzierter betrachtet werden
Bilder von Diana, der römischen Jagdgöttin, von Pallas Athene, die den Griechen Schutzgöttin der Liebe, aber auch von Krieg und Jagd war, oder den bewaffneten skythischen Frauen, die in den Mythen der Griechen zu Amazonen wurden, sind vielen Menschen geläufig. Und obwohl die Vorstellung der waffentragenden Frau damit fest etabliert ist im Verständnis der Menschen, steht es für die meisten trotzdem fest, dass nur die Männer in den frühen Jäger-Sammler-Gesellschaften auszogen, um die Familien mit dem Fleisch der erlegten Tiere zu ernähren, während die Frauen Feuer und Kinder hüteten und lediglich in der näheren Umgebung nach Beeren, essbaren Wurzeln und Kräutern suchten. Geformt wurde dieses Bild von Ethnografen, die in den ersten Jahrzehnten der Existenz dieser Wissenschaft ausschließlich Männer waren und die ihre Prämissen bewusst oder unbewusst in ihre Forschung einbrachten.
Aber entspricht dieses Bild der Realität? Diese Frage stellte sich eine Gruppe von fünf Forscherinnen unter Leitung von Abigail Anderson von der Universität von Seattle. Sie fand heraus, dass Frauen in geografisch weit gestreuten Gesellschaften planmäßig jagten und dazu hohe Fähigkeiten besaßen. Allerdings jagten die meisten eher Kleinwild, während die Großwildjagd eher männlich besetzt war.
Aktive Jägerinnen global verteilt
Seine Untersuchung stützte das Team von Anderson auf eine Datenbank über 1400 historische Gesellschaften, die vom Sammeln und Jagen lebten und teilweise immer noch leben. 63 Gruppen wurden für die konkrete Suche nach der Arbeitsverteilung nach Geschlechterrollen ausgewählt und bei 50 davon war die Suche in den Datenbanken erfolgreich. Mit Hilfe von englischen Suchwörtern wie »Frauen als Jäger« beziehungsweise »Frauen, die Jäger begleiten« wurden Hinweise darauf gefunden, dass Frauen auch aktive Jägerinnen waren. Geografisch und klimatisch war dies sehr weit von der Arktis über den globalen Gürtel des Regenwaldes zur australischen Halbwüste verbreitet. Die Literaturauswahl wurde weiterhin darauf durchforstet, ob die Frauen gezielt auf Jagd gingen oder die Jagdbeute eher ein zufälliges, aber hochwillkommenes Ergebnis war, während Früchte, Beeren und Wurzeln gesammelt wurden. Die Spannweite ist damit sehr groß und müsste es erlauben, generelle Aussagen zu machen, ob und in welchem Umfang Frauen an der Jagd teilnahmen.
Die breite Streuung der Literatursuche ist die Stärke, aber auch die Schwäche der Untersuchung. Von der Ausgangsgröße von 1400 Völkern wurden 50 identifiziert, bei denen Frauen jagten. Das entspricht etwa sieben Prozent. Auf den sieben Seiten der Studie, die im internetbasierten Fachjournal PLOS One veröffentlicht wurde, war leider nur wenig Platz, um die Jagdaktivitäten der Frauen detailliert zu beschreiben. Es wird ausdrücklich gesagt, dass die Jagd in 79 Prozent der berichteten Fälle planmäßig, mit der Absicht, Jagdbeute zu machen, durchgeführt wurde. Die Frauen verfügten also über ein hohes Maß an Fähigkeiten, die hoch in der Wertschätzung standen. Da diese Gesellschaften überwiegend egalitär und die Geschlechter gleichberechtigt waren, ist dies keine Überraschung. Aus der Studie geht jedoch nicht hervor, wie systematisch die Jagdaktivitäten der Frauen waren.
Diese Frage lässt sich trotz der Bemühungen der Autorinnen schlecht beantworten und die Literaturliste von 96 Büchern und Artikeln hilft dem interessierten Leser nur in Ausnahmefällen weiter. Die teils hochspezialisierten Bücher sind nur in wenigen Bibliotheken vorhanden, während viele Fachartikel hinter der Bezahlschranke der Verlage verschwinden. Im Artikel »Farmers, Warriors, Traders« (Bauern, Krieger, Händler) von Priscilla K. Buffalohead wird die Rolle der nordamerikanischen Ojibwa-Frauen beleuchtet. Hier wird jedoch nur erwähnt, dass die Frauen ihre Männer auf Jagdzügen begleiteten und das Häuten und Zerteilen der Beute übernahmen. Hingegen spielten sie zum Verdruss der weißen Händler die Hauptrolle beim Verkauf der Pelze. In der gelisteten Literatur über die Irokesen (Eigenbezeichnung: Haudenosaunee) gibt es hingegen Hinweise, dass Frauen unter anderem selbständig Elche jagten. Aus der Inuit-Literatur geht hervor, dass Frauen gelegentlich auf die Robbenjagd gingen.
Männer und Frauen jagten gemeinsam
Bei den Völkern des Großen Beckens im Westen der USA, das durch weitläufige Wüsten und Halbwüsten gekennzeichnet ist, gingen Männer und Frauen gemeinsam auf die Treibjagd, bei der kilometerlange Netze gespannt wurden, um Kaninchen zu fangen und dann mit der Keule zu töten. Dabei wurde jede Hand benötigt, um genügend Beute zu machen. Auch die afrikanischen Aka-Frauen betrieben die Netzjagd, während von den Matse-Frauen im Amazonasbecken berichtet wird, dass sie, wenn sich die Gelegenheit ergab, Nagetiere mit Macheten oder Spießen erschlugen. Letztere Beispiele entsprechen der Statistik der Studie, dass der überwiegende Teil der Jagd der Frauen auf Kleinwild ausgerichtet war. Die Großwildjagd auf Herdentiere wie die Bisons der nordamerikanischen Prärie oder die Eisbärenjagd der Inuit war ausschließlich eine Männerdomäne. Selbst für den erfahrenen Jäger blieb die Großwildjagd gefährlich und tödliche Unfälle waren nicht selten. Wenn man bedenkt, dass die Reproduktion einer Jägergruppe von relativ wenigen Männern aufrechterhalten werden kann, während der Verlust von Frauen große Lücken reißen kann, ergibt diese Aufteilung Sinn.
Die Studie wirft ein neues Licht auf das Verständnis der Jäger-Sammler-Kulturen, aber rechtfertigt sie die Überschrift der Pressemitteilung, die geläufigen Vorstellungen von der Arbeitsteilung der Männer als Jäger und der Frauen als Sammlerinnen würden erschüttert? Vielmehr wird das Verständnis der Geschlechterrollen damit weiter nuanciert und ein größerer Forschungsbedarf auf diesem Feld wird erkennbar.
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