Migration: London hebelt Asylrecht aus

Drastisches Gesetz zur Eindämmung der Migration nimmt letzte parlamentarische Hürde

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Timing passte. Am Dienstagmorgen wurde die »Bibby Stockholm« im Hafen von Portland, an der englischen Südküste, vertäut. Es ist ein riesiges Unterbringungsschiff, das aussieht wie ein schwimmender Plattenbau. In den 222 Zimmern sollen künftig mehrere Hundert Flüchtlinge untergebracht werden.

Die Regierung von Rishi Sunak hat den Stopp der Migration über den Ärmelkanal zur Priorität erhoben. Einige Stunden vor der Ankunft der »Bibby Stockholm« erfolgte der bislang wichtigste Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel: Das britische Parlament stimmte einer drastischen Verschärfung der Asylbestimmungen zu. Damit machte es für das umstrittene Vorhaben den Weg frei zur Inkraftsetzung durch König Charles III. 

Das recht trostlose Ambiente der »Bibby Stockholm« ist ein Symbol für die harte Flüchtlingspolitik der Tory-Regierung; Kritiker sprechen von einem »Gefängnis-Schiff«. In den vergangenen Jahrzehnten diente der 1976 gebaute motorlose Lastkahn in Deutschland, den Niederlanden und Schottland unter anderem als Obdachlosenheim und Unterkunft für Asylbewerber oder Bauarbeiter. Der Eigner, die Schifffahrtsgesellschaft Bibby Line, wirbt indes mit einem »luxuriösen Leben an Bord« und verweist darauf, dass das mittlerweile renovierte Schiff über Zimmer mit eigenem Bad, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen verfüge.

Das »Gesetz gegen die illegale Migration« läuft darauf hinaus, dass alle Menschen, die auf irregulärem Weg nach Großbritannien kommen, automatisch deportiert werden – ohne Asyl beantragen zu können. Sie werden entweder in ihr Ursprungsland zurückgeschafft, sofern es als sicher gilt, oder in einen Drittstaat. Migranten können bis zum Zeitpunkt ihrer Deportation festgehalten werden.

Das Gesetz wurde von verschiedener Seite aufs Schärfste verurteilt. Der Uno-Menschenrechtskommissar Volker Türk sagte, das Gesetz werde »schwere Konsequenzen haben für Menschen, die internationalen Schutz brauchen«. Es schaffe »einen gefährlichen Präzedenzfall, um die Asylverpflichtungen abzubauen«. Andere Länder könnten dem Beispiel Großbritanniens folgen. Auch in der britischen Presse fällt die Kritik zuweilen heftig aus. Der »Independent« beispielsweise schreibt von einem »grausamen Gesetz«, das wenig ausrichten könne, um die Bootsfahrten über den Ärmelkanal tatsächlich zu stoppen.

Viele Kritiker warnen vor den psychologischen Folgen für die Flüchtlinge, die häufig bereits traumatisiert sind. Aber es gibt auch Bedenken in Bezug auf die Umsetzbarkeit. Wohin zum Beispiel sollen die Menschen deportiert werden? Seit dem Brexit unterliegt Großbritannien nicht mehr den Dublin-Bestimmungen, und es gibt keine bilateralen Rückschaffungsabkommen mit EU-Ländern. Zwar hat die Regierung mehrere Dutzend »sichere Drittstaaten« identifiziert – aber sie hat noch keine Abkommen ausgehandelt, die die Überführung von Asylbewerbern gestatten würden. Die einzige Ausnahme ist Ruanda: London und Kigali einigten sich im Frühling 2022, dass das subsaharische Land Tausende Flüchtlinge, die eigentlich in Großbritannien Asyl beantragen wollen, aufnehmen wird und dafür finanzielle Gegenleistungen erhält.

Aber vor wenigen Wochen versetzte das Londoner Berufungsgericht der Regierung einen Rückschlag: Es urteilte, dass Ruanda nicht als sicherer Drittstaat eingestuft werden könne – das Abschiebeprogramm ist also illegal. Kritiker meinen auch, dass das subsaharische Land kaum so viele Flüchtlinge aufnehmen könne, wie sich London erhofft: Kigali sagt, in einer Testphase könnten rund 1000 Menschen untergebracht werden – ein Klacks im Vergleich zu den 45 000 Migranten, die allein im Jahr 2022 per Boot nach Großbritannien gelangt sind.

So müssten erst mal Tausende Flüchtlinge in britischen Auffangzentren festgehalten werden. Aber auch hier fehlt die Kapazität: In England und Wales gibt es etwa 2500 Plätze, und die Hälfte wird bereits genutzt. Unzählige Leute müssten also in temporären Unterkünften untergebracht werden, etwa in Hotels oder ehemaligen Kasernen. »Weil sie wissen, dass sie deportiert werden, könnten sich viele entscheiden, einfach unterzutauchen«, schreibt Enver Solomon, Vorsitzender der Flüchtlingskampagne Refugee Council.

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