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- Kultur/ »Opera - A Future Game«
Digitale Oper: Libretto zur Postapokalypse
Die Oper wird in »Opera – A Future Game« zum Videospiel. Unklar bleibt, ob das sinnvoll ist
Ist es die Hitze? Die großen Datenmengen? Oder schlicht der Eigensinn der Computer und sonstigen Gerätschaften? Auflösen lässt es sich nicht. Am Ende der knapp eineinhalbstündigen Aufführung von »Opera – A Future Game« beim Wiener Festival ImPulsTanz ergreift die Technik die Regie. Sie zerlegt sowohl die Animationen von Michael von zur Mühlen als auch die Musik von Ole Hübner in ihre Einzelteile: zerhackte Bilder und stotternde Töne. Es wirkt künstlerisch konsequent, hat sich der Abend doch die digitale Dekonstruktion der Oper vorgenommen.
Doch zurück zum Anfang: Es war einmal eine Oper. Der Titel lautet »Opera, Opera, Opera! Revenants and Revolutions«, das Libretto stammt von Thomas Köck und wird von dem bekannten Dramatiker als der verschollene vierte Teil zu seiner Klima-Trilogie bezeichnet. Mit der Musik von Hübner und unter der Regie von zur Mühlen soll das Projekt 2020 bei der Münchener Biennale uraufgeführt werden, die allerdings wegen behördlicher Verordnungen zur Seuchenbekämpfung abgesagt und in einer späteren Ausgabe ins Internet verlegt wird. Die Zeitumstände legten es also nahe, die nicht aufgeführte Oper ins Digitale zu verbannen und sich von einer klassischen Aufführung zu verabschieden.
Die Oper, die nun keine mehr ist, nennt sich »postoperatisch«. Genauer gesagt: »Ein post(operatischer)-apokalyptischer Video Spiel Essay«, wie der komplette Untertitel lautet. Auf der Bühne des Wiener Burgtheaters steht ein Sessel mit Joystick und Blick auf die große Leinwand vor dem Publikum, das nun stellvertretend jemanden aus den eigenen Reihen auf diesen heißen Stuhl befördern muss. Ein Avatar ist durch eine Computerwelt zu steuern – mit den seit Nintendo & Co. üblichen Funktionen: laufen, schauen, hüpfen. Man sieht eine leere Landschaft, endlose Parkplätze, einen Strand mit Containerfrachtern. In der Ferne ein Gebäude, das wie ein verlassenes Theater aussieht.
Die erste Kandidatin am Joystick bemüht sich, den Avatar im Meer vor den Schiffen zu ersäufen. Solche suizidalen Neigungen versucht der Autor Köck, im Hintergrund mit einem Stapel Text am Mikrofon, mit dezenten Hinweisen zu unterbinden – sehr zur Erheiterung des Publikums, das die ungelenken Versuche wohlwollend aufnimmt. Der nächste Freiwillige beweist bereits besseres Zocker-Handling. Nun zeigt sich, wer in seiner Jugend nächtelang mit »Counterstrike« und Ähnlichem verbracht hat. Und wer hätte gedacht, dass diese Kompetenzen im Theater noch einmal gefragt sein würden?
Weiter geht es durch apokalyptische Computerlandschaften. In dem gespenstisch leeren Theater werden Ruinen einer Oper dargeboten, verfolgt von einigen schemenhaften Gestalten, die wie bei einer Sekte die Hände in die Höhe strecken. Und weiter in ein verlassenes Stadion, in dem ein Wald wuchert, noch weiter in unheimliche Räume mit irgendwelchen Zombie-Armeen und unzähligen Autos. Am Horizont strahlt eine brennende Sonne. Der Weltuntergang hat seine ästhetischen Qualitäten. Postapokalyptische Videospiele wie die »Fallout«-Reihe, »The Last of Us«, »Mad Max« oder »Rage« holen grafisch und vom Gameplay noch mehr heraus. Kenner dürfte die Theaterversion kaum vom Hocker reißen.
Neben dem Geschehen auf der Leinwand gibt es Texte, die Köck live einspricht, und die Musik, die jeden Anflug des Behaglichen unterläuft. In der Wiener Version – passend: inmitten des in Renovierung befindlichen Burgtheaters – kommen noch Tänzer dazu, deren Bewegungen live übertragen werden. Es ist ein großer technischer Aufwand für die digitale Postapokalypse. Und der, siehe die Verselbstständigung der Technik mit künstlerisch unvorhersehbaren Effekten, seine eigenen Tücken hat. Das Publikum nimmt das Experiment mit gemischten Gefühlen auf. Die Jugendlichen einer Schulklasse könnten das perfekte Zielpublikum sein, stimmen allerdings mit den Füßen dagegen ab – erfolgreich von Hochkultur kuriert.
Auf der Bühne wird das Ende der Oper und das Ende der Geschichte verkündet. Inhaltlich bleibt der Abend auf der Ebene solcher Behauptungen und verzichtet auf Handlung oder Erzählung. Formal ist der Versuch, die Oper als Videospiel zu inszenieren, nicht uninteressant. Wie wäre es mit Wagner-Opern als Ego-Shooter? Man kann es sich sogar vorstellen. Die Anziehungskraft von Open-World-Games wie »The Witcher« oder »Red Dead Redemption« dürfte zu Beginn des 21. Jahrhunderts über die der Oper im 19. Jahrhundert hinausgehen. Allerdings weiß man auch nach dem Besuch von »Opera – A Future Game« nicht, ob das dafür spricht, beides miteinander zu verbinden oder nicht.
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