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Berliner Schulen: Niemand will für Gesundheit zahlen
Bezirk Lichtenberg fordert Übernahme des Pilotprojekts Schulgesundheitsfachkräfte vom Senat
An der Grundschule am Wilhelmsberg im Lichtenberger Ortsteil Alt-Hohenschönhausen gab es einen lauten Aufschrei: Die dort arbeitende Schulgesundheitsfachkraft sollte zum Jahresende gehen. So wurde es den Schulen aus den Reihen des Bezirksamts Lichtenberg mitgeteilt. Inzwischen kann Schulleiterin Jana Reiter aufatmen: Die Finanzierung ist doch noch für zwei Jahre über den Bezirkshaushalt gesichert. Wie es dann weitergeht, ist aber offen.
»Unser erstes Ziel ist damit erreicht«, sagt Reiter zu »nd«. Das sei aber nur ein Anfang, denn sie wünscht sich eine langfristige und landesweite Finanzierung. »Jede Schule in Berlin braucht eine Schulgesundheitsfachkraft, und zwar mit einer ganzen Stelle«, sagt sie. Seit Oktober des vergangenen Jahres beschäftigt der Bezirk Lichtenberg im Rahmen eines Pilotprojektes drei Gesundheitsfachkräfte, die sich zusammen um sechs Schulen kümmern. Die Schulen wurden im Juni informiert, dass das Projekt schon Ende dieses Jahres beendet würde. Jana Reiter kämpft seitdem für den Erhalt der Schulgesundheitsfachkräfte: »Das ist ein absolut wichtiges Projekt, und es wäre unglaublich traurig, wenn es wegfiele.«
Die Gesundheitskraft an ihrer Schule würde nicht nur merklich das Lehrpersonal entlasten, das sich während der Unterrichtszeit nicht um kranke oder verletzte Kinder kümmern müsse. Auch für die Schüler*innen sei sie eine große Unterstützung. »Sie versorgt nicht nur kleinere Verletzungen, sondern die Kinder können dort auch Essen und Trinken bekommen«, sagt Reiter. Es werde sich auch um Schüler*innen gekümmert, die beispielsweise deshalb Bauchschmerzen haben, weil es ihnen zu Hause schlecht geht oder sie Angst vor etwas haben. »Wir müssen auch viel seltener die Eltern anrufen, damit die ihre Kinder abholen, oder einen Rettungswagen.«
Die Schulleiterin wünscht sich eine gesicherte Finanzierung durch das Land Berlin, statt durch den Bezirk, damit berlinweite Schulgesundheitsfachkräfte eingesetzt werden können. Der schwarz-rote Senat scheint das allerdings nicht in Erwägung zu ziehen, wie eine aktuelle Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Schriftliche Anfrage der Linke-Abgeordneten Franziska Brychcy und Hendrikje Klein zeigt. »Das Projekt der Schulgesundheitsfachkräfte ist ein Projekt des Bezirksamtes Lichtenberg, welches von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie nicht übernommen wird«, heißt es dort. Die Bildungsverwaltung decke bereits »Leistungen in einem ähnlichen Kontext« über Schulhelfer*innen ab.
Schulhelfer*innen hätten aber ein ganz anderes Aufgabengebiet, sagt Reiter. Das fange schon damit an, dass sie ganz spezifisch für Kinder mit individuell erhöhtem Unterstützungsbedarf von den Schulen beantragt werden könnten. So sieht es auch Franziska Brychcy. »Ein zentraler Unterschied ist, dass Schulgesundheitsfachkräfte ausgebildete Kinderkrankenpfleger*innen sind und Schulhelfer*innen sind ungelernt«, sagt die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zu »nd«. Brychcy zeigt sich ernüchtert von der Antwort der Bildungsverwaltung auf ihre Anfrage. Denn um dem Lehrkräftemangel zu begegnen, brauche es Entlastung auch durch den Einsatz anderer Professionen an den Schulen. »Der Senat schöpft nicht alle Mittel aus.«
Auch die Lichtenberger Jugendstadträtin Camilla Schuler (Linke) beklagt das mangelnde Engagement des Senats für die Schulgesundheitsfachkräfte in der Reaktion auf die Anfrage. »Wir befinden uns nicht nur bei null, sondern im absoluten Minusbereich. Ein CDU-geführter Senat, der angeblich die Kinderarmut bekämpfen will und das als oberste Priorität benennt, hat mit dieser Beantwortung gezeigt, wie wenig er sich auf Projekte wie die Schulgesundheitsfachkräfte einlassen will«, sagt Schuler zu »nd«. Sie selbst werde sich weiter für das Thema einsetzen und rechne damit, dass dies auch die Schulen machen werden.
Schuler bestätigt, dass im kommenden Bezirkshaushalt, der gerade ausgehandelt wird, eine Weiterführung des Projekts finanziell abgesichert wird. Endgültig könne sie das erst versichern, wenn die Bezirksverordnetenversammlung den Haushalt im September beschlossen hat. Auch sie hält das aber nicht für eine langfristige Lösung. »Es war von Beginn an klar, dass die Schulgesundheitsfachkräfte perspektivisch über den Senat finanziert werden müssen«, sagt die Jugendstadträtin. Dies sei mit der Senatsbildungsverwaltung seit Beginn des Projekts kommuniziert worden, das Projekt werde außerdem »durch Vertreter*innen der Landeskommission für Kinderarmutsprävention und durch eine Vertreterin der Bildungsverwaltung begleitet«.
Schulleiterin Jana Reiter hofft weiterhin auf eine landesweite Finanzierung der Schulgesundheitsfachkräfte. Wenn nicht durch die Bildungsverwaltung, dann vielleicht durch die Gesundheitsverwaltung? »Mir ist wichtig, dass geklärt wird, wer zuständig ist, und dass dann konkrete Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen werden.« Bis Redaktionsschluss dieser Seite hat weder die Bildungsverwaltung noch die Gesundheitsverwaltung auf entsprechende Anfragen von »nd« reagiert.
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