Obdachlosigkeit im Hochsommer: Sonne auf Beton

Für viele Obdachlose ist die Hitze eine große Belastung

35 Grad, unerbittlicher Sonnenschein: Kaum zwei Wochen ist die letzte Hitzewelle in Berlin her. Hohe Temperaturen machen allen zu schaffen, besonders schwer haben es aber diejenigen, die sich nicht zurückziehen können wie andere. Für Obdachlose kann die Hitze im Sommer genauso gefährlich sein wie die Kälte im Winter – wenn auch auf andere Weise. Wer sich bei hohen Temperaturen dauerhaft draußen aufhält, läuft Gefahr, Hitzeerschöpfung bis hin zu Hitzeschlägen oder Austrocknung zu erleiden.

»Schauen Sie nur da rüber, da sieht man das Problem«, sagt Sarah Kienreich, während sie Journalisten um das Gelände rund um den Neptunbrunnen am Alexanderplatz führt. Sie deutet auf eine Rasenfläche vis-à-vis vom Roten Rathaus, auf der zwei Männer mit Rucksäcken als Kopfkissen schlafen. Schatten, der zumindest ein wenig Abkühlung spenden könnte, gibt es kaum. Zwar stehen einige Bäume am Rand des Rasens, doch die Bänke unter ihnen sind schon von Touristen besetzt. »Wenn Sie da auf der Bank liegen und schlafen, vielleicht noch eine Bierflasche danebenstehen haben, werden Sie schnell von der Polizei vertrieben«, sagt Kienreich. Auch Trinkbrunnen gebe es hier nicht, Wasser müsse in den umliegenden Geschäften käuflich erworben werden.

Sie ist Sozialarbeiterin bei dem Verein Gangway. Der Sozialhilfeträger ist am Hitzehilfe-Programm des Senats beteiligt. Teams von Streetworkern gehen hier am Alexanderplatz, in der City-West oder rund um den Görlitzer Park die Straßen ab und sprechen Wohnungslose an. 3500 Erwachsene erreiche man so jährlich, dazu kommen 500 bis 1000 Jugendliche, sagt Juri Schaffranek, der die Straßenarbeit bei Gangway koordiniert. Immer wieder würden die Teams Personen finden, die wegen Hitzeerschöpfung kaum noch ansprechbar seien.

Um die Belastung etwas zu lindern und leichter in ein Gespräch kommen zu können, verteilen die Streetworker auch Hilfsmittel. Der Sozialarbeiter Ron Niendorf sitzt auf einem großen Lastenfahrrad, das mit Stickern bunt beklebte Rad ist schon aus der Entfernung zu sehen. Niendorf öffnet die Ladefläche und zeigt, was er dabei hat: Mehrere Dutzend Wasserflaschen, Sonnencreme – und Handduschen für den Afterbereich. »Die sind ein großer Renner, man kann sie auffüllen und dann mit sich tragen. Und sie sind schnell und machen sauber«, sagt Niendorf.

Niendorf arbeitet in einer Gruppe, die gezielt wohnungslose Jugendliche auf der Straße anspricht. Mit 80 bis 90 jungen Menschen stünden sie rund um den Alexanderplatz in regelmäßigem Kontakt, sagt er. Im Hochsommer sei das Lastenrad eine beliebte Anlaufstelle für die jungen Obdachlosen. »Manche kommen schon von alleine zu uns«, sagt Niendorf. »Neue Gesichter sprechen wir an.«

Für Niendorf sind die kleinen Notlinderungen auch eine Gelegenheit, mit den Obdachlosen ins Gespräch zu kommen. Man könne die wohnungslosen Menschen so auf Hilfestrukturen und Notunterkünfte hinweisen. »Wir drängen die Leute aber zu nichts«, sagt Niendorf. Im Gepäck habe man aber immer Flyer mit Notfalltelefonnummern. Besonders wichtig ist Leiter Juri Schaffranek, dass die Streetworker keine ordnungspolitischen Vorschriften durchsetzen. »Für unsere Arbeit ist es essenziell, dass sich unsere Kontakte darauf verlassen können, dass wir nicht Polizei spielen«, sagt er.

Nicht nur auf der Straße wird Hilfe angeboten. Auch zahlreiche Einrichtungen und Notunterkünfte haben sich im Rahmen der Hitzehilfe auf die Witterung eingestellt. In vielen Unterkünften wurden Rückzugsräume und Schattenplätze eingerichtet, in denen sich Obdachlose abkühlen können. Zudem wurde eine Hitzehotline freigeschaltet, an die sich besorgte Passanten wenden können, wenn sie hitzebelastete Obdachlose beobachten.

Der Senat fördert die Hitzeschutzmaßnahmen aktuell mit einer Million Euro im Jahr. »In Zeiten des Klimawandels wird Hitze zu einer immer akuteren Bedrohung«, sagt Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD). Mit dem neuen Haushalt erhöhe man die Förderung nun auf drei Millionen Euro, zusätzlich wird das Projekt verstetigt. Insgesamt werde der Sozialetat trotz Sparzwang steigen. »In den Verhandlungen habe ich gesagt: Es geht so nicht, dass wir bei den Schwächsten kürzen«, so Kiziltepe.

Für das zusätzliche Geld gebe es auch Bedarf, sagt Juri Schaffranek von Gangway. Vor allem gebe es immer noch nicht genügend kühle Rückzugsräume für sehr heiße Tage, sagt er. Gangway habe in den vergangenen Jahren versucht, mit Vereinen zusammenzuarbeiten, um etwa vorübergehend Obdachlose in Turnhallen unterzubringen. Bislang allerdings ohne Erfolg: »Wenn der Austausch mit den zuständigen Ämtern erst mal ein halbes Jahr dauert, ist der Hochsommer längst schon wieder vorbei«, so Schaffranek. Auch die Bäderbetriebe könnten seiner Ansicht nach im Sommer nicht genutzte Hallenbäder als Ruheräume zur Verfügung stellen. Entsprechende Gesuche seien bislang aber nicht erfolgreich gewesen.

Für Sozialarbeiterin Sarah Kienreich ist das notwendige Infrastruktur. »Die Leute sollen überleben können, letzten Endes«, sagt sie. Die hohen Temperaturen könnten für Personen, die ohnehin angeschlagen sind, lebensbedrohlich sein. »Auf der Straße leben ist nicht gesundheitsfreundlich«, sagt sie. Ihr Kollege Ron Niendorf sieht eine wachsende Problematik: »Wenn das so weitergeht, können wir bald nicht mehr mit dem Lastenfahrrad kommen, sondern mit dem Kleinlaster.«

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