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DDR-Aufarbeitung von rechts: Erinnerung als Beute
Seit ihrem Ende wird die DDR in der BRD auch von rechts aufgearbeitet. Ein aktueller Tagungsband wirft einen Blick auf diese bizarre Parallelwelt
Unter dem Deckmantel des staatlich verordneten Antifaschismus sind im Laufe der 40-jährigen Geschichte der DDR Elemente nationalsozialistischer Ideologie unbeschadet tradiert worden. Dies hat erhebliche Auswirkungen auch auf die Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Die Deutungshoheit über den »Unrechtsstaat DDR« und seine Kontextualisierung mit nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen sowie dem Zivilisationsbruch der Shoah sind einer Aufarbeitungs-Community zur Beute geworden, deren Verbindungen zum Aufstieg des von der AfD verkörperten autoritären Nationalismus – um nicht zu sagen: Neo-Faschismus – mehr als nur einzelne Auswüchse sind.
Eine Problematisierung und Diskussion dieses Umstands trifft auf Protest, Beschwichtigung und renitentes Wehklagen. Eine Aufsatzsammlung zur Tagung »Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung«, zu der die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) im Februar 2019 eingeladen hatte, dokumentiert die Lage eindrücklich.
Das Schweigen rächt sich
Die Lektüre ist bedrückend. »Das Setting des verordneten Antifaschismus hat eine Aufarbeitung (des NS) durch die Deutschen in der DDR in starkem Maße blockiert«, schreiben die Herausgeber*innen in der Einleitung des Buches. Die Grundlage des Selbstverständnisses und der Befriedung der inneren Widersprüche der DDR bestand im dreifachen Beschweigen der Vergangenheit. Die große Zahl von deutschen Täter*innen und Mitläufer*innen, die sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in der sowjetischen Besatzungszone aufhielten, wurde kurzerhand zu »Arbeitern und Bauern« umetikettiert, von »den Nazis« angeblich »verführt und missbraucht«. Aber auch die Nicht-Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus durch die Gründungsgeneration der DDR zählt zu diesen folgenreichen Versäumnissen, ebenso wie das Schweigen über das eigene Schicksal etwa als überlebende jüdische Kommunist*innen.
Diese gesellschaftlichen Dilemmata der DDR brachen nach dem Fall der Mauer rasch auf und amalgamierten mit den Aufarbeitungs-Sünden der frühen BRD zu verheerenden Geschichtsdeutungen. Enrico Heitzer dokumentiert diese in seinem ersten Beitrag zu »rechten Tendenzen« in der »DDR-Opferszene« ebenso wie in seiner Analyse des Menschenrechtszentrums Cottbus. Besagte Szene tummelt(e) sich unter anderen im Umfeld der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) und im Bund der Stalinistisch Verfolgten (BSV) mit ihren Verlautbarungsorganen wie »Freiheitsglocke« oder »Stacheldraht«. Deren Autor*innenregister weist wiederum starke Überschneidungen etwa mit der rechts-nationalistischen »Jungen Freiheit« und dem neofaschistischen Zirkular »Sezession« auf. Heitzer sieht hier eine zum Teil öffentlich geförderte Parallelwelt in der bundesdeutschen Aufarbeitungslandschaft, deren manifeste Verbindungen zu neonazistischen Kreisen gut belegt sind.
Geschichtsrevisionismus der BRD
Dem Kölner Geschichtsprofessor Habbo Knoch zufolge sind dies mehr als nur prominente Einzelfälle, nämlich eine »personelle Durchdringung und strukturelle Unterwanderung des Aufarbeitungsmilieus«, wie er im Tagungsband schreibt. Der aggressive Antikommunismus der Nachwendezeit, so Knoch weiter, habe sich »zu einem nationalistisch gefärbten Geschichtsbild, aus dem die Opfer des Holocaust und der deutschen Besatzungsverbrechen ausgeblendet wurden«, verbunden. Er fragt in seinem Beitrag auch, wie es dazu kommen konnte, dass das Gedenken an die Opfer und Folgen eines diktatorischen Herrschaftssystems offenbar Leute anzieht, die – obwohl oft selbst Opfer der DDR – einem autoritären Denken verhaftet sind. Hier verweist er auf die sächsischen Gedenkstättendebatten und die Auseinandersetzungen um das »Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung« in Dresden sowie auf die skandalumwitterte Geschichte des Leiters der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem »Kommunistenfresser« Hubertus Knabe.
Knabe ist auch ein eigener Beitrag des Historikers Klaus Bästlein gewidmet, in dem dieser ihm eine ganze Reihe dramatisierender Falschaussagen über die Stasi – etwa, dass sie an Häftlingen mit radioaktiven Substanzen experimentiert habe – und Verharmlosungen des Nationalsozialismus – namentlich der Rolle des Kommentators der NS-Rassegesetze, Hans Globke – nachweist. Knabe »verbog«, so Bästlein, »historische Tatsachen oder verkehrte sie sogar in ihr Gegenteil«, seine für die Stasi-Gedenkstätte konzipierte Dauerausstellung sei rettungslos unbrauchbar, das ehemalige Stasi-Gefängnis ein Hotspot des rechten Rands der DDR-Aufarbeitung. Gestolpert ist Knabe 2018, nachdem er ganze 18 Jahre lang unangefochten sein Unwesen treiben konnte, über seinen größenwahnsinnigen Führungsstil und das Vertuschen sexueller Übergriffe seines Stellvertreters – nicht etwa über Interventionen aus Politik und Wissenschaft. Selbst der linke Kultursenator Klaus Lederer ließ Knabe trotz vielfacher alarmierender Kritik gewähren.
Helmut Müller-Enbergs, Ex-Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde, geht in seinem Beitrag den Charakterisierungen des Ministeriums für Staatssicherheit als »rote Gestapo« nach und weist diese unzulässige Gleichsetzung zurück. Dennoch kommt er zu dem Schluss, die Stasi habe »tiefe Spuren bei Menschen hinterlassen«. Auch Martin Janders Beitrag beschäftigt sich mit der problematischen »Waagschalenmentalität« im Gedenkstättendiskurs zur DDR-Aufarbeitung: »Die Gleichsetzung von nicht gleichen Untaten (…) zielt auf die Relativierung der Verantwortung und Haftung der deutschen Gesellschaft für die Verbrechen des Nationalsozialismus«.
Opfer sein wollen
Anja Thiele diagnostiziert einen »stark moralisch aufgeladenen Opferansatz«, der eine genuin rechte Deutung der DDR-Geschichte erheische, dabei dem paradigmatischen Antikommunismus der Zeit des Kalten Krieges und der Totalitarismustheorie verpflichtet sei. Seine Vertreter*innen bräuchten diesen Antikommunismus, »um das eigene Selbstbild zu legitimieren und aufrechtzuerhalten«. Dieses Manöver, oft mit Berufung auf ehemalige Bürgerrechtler*innen wie Vera Lengsfeld, Siegmar Faust und Angelika Barbe, beruht auf der Prämisse, so Thiele, dass der DDR-Sozialismus mehr oder weniger deutlich mit dem NS gleichgesetzt werden muss.
Viele dieser ehemaligen DDR-Bürgerrechtler*innen stehen heute folgerichtig am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums und treiben diese Politiken voran, offener oder verdeckter Antisemitismus und Verschwörungsideologie inklusive. Im Zuge der Covid-Pandemie, die im Jahr nach der AAS-Tagung begann, rückten einige Protagonist*innen – etwa Angelika Barbe – noch weiter nach rechts. Die Affinität so vieler Wähler*innen in Ostdeutschland für die AfD steht für einige der Autor*innen von »Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung« im Zusammenhang zu diesen verqueren Geschichtsdiskursen und selbstviktimisierenden Narrativen.
Nicht unproblematisch ist mithin die Forderung der Geschichtsprofessorin Jenny Wüstenberg. Sie sieht in den in Westdeutschland entstandenen Prinzipien »professioneller« Erinnerungsarbeit – mit den Merkmalen »objektiver Umgang mit historischen Fakten«, »vernünftiger (…) Umgang mit dem Gedenken und Zurückhaltung bei der Politisierung des Gedenkens« – ein Element der Benachteiligung von »Opfervertreter:innen, die sich dem Gedenken durch eigene Erfahrung annähern«. Diese Formalisierung des Gedenkens entlang pädagogisch-wissenschaftlicher Leitplanken, so Wüstenbergs Befürchtung, öffne rechter Unzufriedenheit und Agitation erst Tür und Tor.
Die zum Teil fragwürdigen Auswirkungen der Gestaltungswünsche von Betroffenen des DDR-Unrechts verdeutlichen Enrico Heitzer in seinem Beitrag über das MRZ in Cottbus und Annica Peter in ihrem »studentischen Erfahrungsbericht« aus Bildungsangeboten der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Die dort eingesetzte »Re-Enactment-Pädagogik« mit »Insassen-Feelaround« überwältige die Teilnehmer*innen eher, als dass sie brauchbares historisch-politisches Wissen vermittele. Ihr Fazit: »Dieses Ergebnis bleibt hinter den Erwartungen eines nachhaltigen, demokratischen Bildungsanspruchs zurück.«
Nah am Establishment
Wie nah all die Aufarbeitungs-Akteur*innen auch dem heutigen politischen Establishment sind und wie sie dort mit ihren zum Teil bizarren, den NS relativierenden Aussagen und Machenschaften geduldet sind, wurde erst jüngst wieder symbolträchtig illustriert: bei den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Niederschlagung des DDR-Volksaufstandes am 17. Juni 1953. Hinter dem neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und den Vertreter*innen der Politik war Carl-Wolfgang Holzapfel zu sehen. Dieser beteiligte sich im Februar 2019 auch an Protesten gegen die hier genannte Tagung und kann neben etlichen anderen als Paradebeispiel für die fragwürdige Ausrichtung des DDR-Gedenkens gelten.
Holzapfel ist seit 1963 Mitglied der »Vereinigung 17. Juni«, von 2002 bis 2019 Vorsitzender, heute Ehrenvorsitzender. Anfang der 60er hatte die Vereinigung mehrere Sprengstoffanschläge auf bis 1962 existierende SED-Büros in Westberlin verübt. Aus einer achtjährigen Haftstrafe in der DDR war Holzapfel sehr schnell von der BRD freigekauft worden. 1973 stellte er sich der Polizei, weil er angeblich mit unbekannten Komplizen und mithilfe einer Sprengstoffdrohung gegen ein Verkehrsflugzeug den »Führerstellvertreter« Rudolf Hess aus der Haft freipressen wollte. Zudem war er von 1989/90 an Mitglied der rechtsextremen Partei Die Republikaner und ihr Fraktionschef im Kreistag der bayerischen Gemeinde Fürstenfeldbruck. Stets kooperierte Holzapfel auch mit anderen Gruppierungen am rechten Rand, etwa 2001 mit »Pro Deutschland«; für das Holzhammer-Projekt einer »Stasi-Live-Haft« ließ er sich 2014 in Hohenschönhausen Dschungelcamp-mäßig in eine Stasi-Zelle einsperren.
All die im Buch dokumentierten Erörterungen und Beispiele sollten jedenfalls ausreichen, um sich der Forderung der Herausgeber*innen anzuschließen: »Die Zeit der Duldung und Integration von rechtspopulistischen, rechtsradikalen und rechtsextremen Aktivitäten, auch von SED-Opfern, muss vorbei sein.«
Klaus Bästlein, Enrico Heitzer, Anetta Kahane (Hrsg.): Der Rechte Rand der DDR-Aufarbeitung, Metropol 2022, 272 S., br., 22 €.
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