Poltergeister im Linke-Haus

Die erneut aufbrechenden Konflikte begleiten die Partei zwar seit Jahren. Inzwischen scheint Einheit aber nicht mehr herstellbar

Auf Klaus Ernst, der im Linke-Vorstand lauter »politikunfähige Clowns« ausmacht, folgen weitere Akte im Parteidrama. Insbesondere Prominente aus dem Lager von Sahra Wagenknecht stimmen in diesen Tagen weitere Abgesänge auf ihre Organisation an. Auslöser ihrer Statements war die Ankündigung der Kovorsitzenden der Bundestagsfraktion, Amira Mohamed Ali, vom vergangenen Sonntag, bei der Neuwahl der Fraktionsspitze Anfang September nicht mehr für das Amt zu kandidieren. Sie hatte dies mit einer falschen Politik des Bundesvorstands an den Interessen der Mehrheit der Lohnabhängigen vorbei und an dessen Umgang mit Wagenknecht begründet. Am 10. Juni hatte die Parteispitze Wagenknecht und ihre Unterstützer aufgefordert, ihre Bundestagsmandate zurückzugeben – sofern sie weiter am Aufbau einer konkurrierenden Organisation arbeiten.

Die Stimmen derer, die zu Geschlossenheit und Konzentration auf die gemeinsamen Werte und Ziele konsequente Friedenspolitik und soziale Gerechtigkeit drängen, gehen im Getümmel gerade etwas unter. Dabei sind es Prominente wie Kofraktionschef Dietmar Bartsch und Gregor Gysi, aber auch Sören Pellmann, die mahnen, Die Linke habe nur gemeinsam eine Chance, die Politik in Deutschland nennenswert im Sinne der Mehrheit der Lohnabhängigen, der Verarmten und Marginalisierten zu beeinflussen.

Pellmann, der Wagenknecht gut kennt und von vielen in der Partei ihrem Lager zugerechnet wird, schlug gar vor, der Politikerin ein neues Angebot zu machen, um sie doch noch zu integrieren: Man solle ihre eine Spitzenkandidatur zur Europawahl 2024 antragen. Allerdings hat die prominente Politikerin ihrerseits längst ein weiteres Engagement für Die Linke ausgeschlossen.

Freilich sagen viele, es sei nur so weit gekommen, weil sie vom Parteivorstand und insbesondere von den Ex-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger jahrelang »gemobbt« worden sei. Gleichwohl war vor allem Wagenknecht selbst über die Jahre mehr als jedes andere Parteimitglied in Zeitungs- und Fernsehinterviews, Gastbeiträgen und in Talkshows präsent – wo sie stets auch gegen die eigenen Genossen austeilte.

Streit um Carola Rackete

Die Medien zeigen sich auch jetzt vor allem an den Stimmen jener interessiert, die letztlich auf einen schnellen Bruch orientieren, respektive vermutlich mit zu der von Ex-Fraktionschefin Wagenknecht angekündigten neuen Partei wechseln würden. Ernst sagt dies explizit, andere eher durch die Blume, so wie der Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Alexander Ulrich, und die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen. Ulrich kritisierte im »Tagesspiegel« den Personalvorschlag des Parteivorstands zur Europawahl scharf, speziell jenen, mit der parteilosen Seenotretterin und Klimaaktivistin Carola Rackete auf Platz zwei der Europaliste in den Wahlkampf zu ziehen. »Mit der Europa-Kandidatur von Carola Rackete verprellen wir Arbeitnehmer und stoßen all unsere traditionellen Wähler vor den Kopf«, meint Ulrich. Die Klimaaktivistin werde mithin »zu einem Wählerschreck und zu einem Geschenk für die AfD«. Es sei zudem »grundfalsch, allein um frühere Grünen-Wähler zu werben«, sagte der Politiker weiter. Mit »radikaler Klimapolitik und dem Ruf nach offenen Grenzen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sozialen Frage« gewinne Die Linke nichts, sondern verliere weiter, so der Geschäftsführer der Linksfraktion.

Zwar hat Rackete betont, ihr gehe es bei der Eindämmung der Klimakrise darum, die Verantwortlichen dafür aufkommen zu lassen und etwa den Kohleausstieg so zu gestalten, dass die heute in Tagebau und Kohleverarbeitung Tätigen Jobalternativen bekommen und abgesichert sind. Für Unmut sorgen insbesondere im Wagenknecht-Lager aber auch Äußerungen von ihr, denen zufolge sie Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung gegen Russlands Invasion nicht kategorisch abgelehnt hat – was allerdings auch innerhalb der Partei viele nicht tun.

Überhaupt spaltet die Haltung zu diesem Thema Die Linke mehr denn je – und hier verlaufen die Konfliktlinien quer durch die Strömungen. Auch im dem Reformerlager nahestehenden Netzwerk Progressive Linke und der Bewegungslinken gibt es Befürworter und Gegner von Waffenlieferungen. Letztere dürften auch hier in der Mehrheit sein, was gemeinsame Erklärungen bezeugen.

Auch Sevim Dağdelen erhob diese Woche einmal mehr schwere Vorwürfe gegen die Parteiführung. Sie mache Politik »für eine schrumpfende Gruppe von Sektenanhängern«, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochausgaben). Ausgegrenzt würden alle, »die sich für eine Politik für die Mehrheit der Bevölkerung einsetzen«.

Eine Politik für die Mehrheit

Dabei widmen sich alle Papiere und Beschlüsse des amtierenden und des vorigen Vorstands einer sozialen und dem kapitalistischen Markt entzogenen Wohnungs- und Gesundheitspolitik, der armutsfesten Rente und Grundsicherung, dem Schutz von Kindern vor Armut. Zudem hat sich der Vorstand immer wieder gegen jegliche militärische Beteiligung Deutschlands am Ukraine-Krieg und vor allem gegen das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr und die Erhöhung des Militäretats positioniert.

Der 2021 bereits zum zweiten Mal direkt in den Bundestag gewählte Leipziger Sören Pellmann scheint wohl auch deshalb die Möglichkeit für eine Politik im Interesse der Mehrheit bei aller Kritik weiter in der Linken zu sehen. So plädierte er diese Woche für einen Parteikonvent noch vor der Klausur der Bundestagsfraktion am 30./31. August.

Parteichefin Janine Wissler findet die Idee unabhängig von den zu besprechenden Inhalten gut. Aus dem Urlaub heraus bekundete sie, das Ansinnen zu unterstützen. Sie schlug vor, »die Verantwortlichen aus den Ländern, von der Bundesebene und der Bundestagsfraktion zeitnah zusammenzuholen – notfalls aufgrund der Ferienzeit online«. Gegenüber »nd« erklärte sie am Freitag: »Ich stehe der Idee offen gegenüber, aber natürlich müssen wir das beraten. Unsere Satzung kennt keinen Konvent. Miteinander zu reden ist aber immer gut.« Tatsächlich ist unklar, was genau ein solcher Konvent ist, wer dabei sein und was das Ergebnis eines solchen Treffens sein sollte. Der Wagenknecht-Vertraute Alexander Ulrich ist jedenfalls »sehr skeptisch«. Damit ein solches Treffen erfolgreich sein könne, müsse der Vorstandsbeschluss zu Wagenknecht vom Juni zurückgenommen werden, der Parteivorstand müsse zurücktreten, findet Ulrich.

In die Debatte hat sich derweil auch die Linke-Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau eingeschaltet. In einem »nd« vorliegenden Thesenpapier spricht sie sich ebenfalls für geeintes Agieren und ein Ende von Trennungs- und Parteineugründungsdebatten aus. Zugleich betont sie: »Jede Mahnung, Die Linke müsse sozial und sonst nichts sein, ist aus dem vorigen Jahrhundert.« Genauso »fatal« seien »parteiinterne Personal- und Austrittsdebatten, die von den wirklichen Herausforderungen nur ablenken. Sie sind nicht links, sondern egoistisch arrogant«.

Pau fordert Erneuerung

Pau plädiert zugleich für eine Erneuerung der Partei »inklusive Programm- und Strategiedebatte«. Die »Generalthemen« der Linken müssten weiter »soziale Gerechtigkeit, Frieden sowie Bürgerrechte und Demokratie« sein. Zugleich sei die »nahende Klimakatastrophe« die »größte soziale Herausforderung, droht sie doch die Menschheit und überhaupt alles Leben zu vernichten«, mahnt die Politikerin. »Schon deshalb kann die Linke das Thema nicht den Grünen überlassen.« Weitere zentrale Themen, mit denen sich Die Linke mehr beschäftigen müsse, sind für Pau Digitalisierung und die Förderung dezentraler und autonomer kommunaler Energieversorgung.

Trotz solcher Mahnungen und Vorschläge deutet alles auf immer stärker werdende Fliehkräfte in mehrere Richtungen hin, nicht zuletzt auch in jene, die sich schon lange vom antimilitaristischen Grundkonsens verabschieden möchte und diesen schon vor dem Ukraine-Krieg nicht als entscheidend ansah. Dabei ist eher ein quälend langer Niedergangsprozess der Partei Die Linke zu erwarten als ein Wiedererstarken in naher Zukunft.

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