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Freundliche Beleidigungen
Den Maschen der Pick-up-Artists auf der Spur
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.
Vor ein paar Jahren war ich für einen Monat zum Arbeiten in Tel Aviv. Während dieser Zeit hatte ich ein Date mit einem Barkeeper namens Dave. Dave kam ebenfalls aus Berlin und wohnte seit ein paar Jahren in der Stadt, er ging gerne zu Technopartys und hatte Philosophie studiert. Er mochte an mir (Zitat) vor allem meinen Gesichtsausdruck, während ich in mein Notizbuch schrieb. Wir trafen uns auf Drinks – ich bezahlte für mich selbst, er für sich.
Wir unterhielten uns »casual« über dies und das, er wirkte nicht besonders interessiert an mir. Am Ende des Abends versuchte er trotzdem, mich zu küssen. Ich wich ihm aus – nichts an unserer Begegnung schien mir besonders attraktiv zu sein. Überrascht von der Ablehnung, fragte er mich, ob es eine allgemeine Angewohnheit von mir sei, erst nach dem Sex zu küssen. Die Idee, dass ich gar nicht mit ihm nach Hause gehen wollte, kam ihm absurd vor. Er zog beleidigt ab, wir sahen uns nie wieder.
Einen Tag später fuhr ich nach Bethlehem. In der Geburtskirche Jesu gab es im Keller eine Kuhle, das Jesus-»Geburtsloch« – eine Einkerbung in den Fliesen, die die Stelle anzeigte, an der Maria gelegen haben soll, als sie Jesus gebar. Die Besucherinnen knieten sich zu dem Loch nieder, um es zu küssen (oder ihre Nase hineinzustecken, ich war mir nicht sicher) – wahrscheinlich war die Kuhle in Wirklichkeit eine durch ihre Huldigung entstandene Abnutzungserscheinung. Als ich an der Reihe war, versuchte ich mich möglichst angemessen zu verhalten und dasselbe zu tun wie die Menschen vor mir. Ich beugte mich herunter, flüsterte einen Wunsch in das Loch hinein, sagte ein Vaterunser und küsste es.
Als ich damit fertig war und mich umdrehte, sah ich, dass eine Gruppe männlicher Jugendlicher hinter mir stand und lachte: Sie hatten mit ihren Smartphones meinen Hintern fotografiert. Ich war einen Augenblick lang schockiert, aber sie sahen freundlich aus, und keiner von ihnen versuchte, mir körperlich nahezukommen. Ich lachte mit ihnen und gratulierte ihnen zu dem gelungenen Shot.
Als ich aus der Kirche kam, standen sie davor und fragten mich schüchtern, ob sie noch ein Foto mit mir zusammen machen könnten – dieses Mal von vorne natürlich. Ich fühlte mich geschmeichelt und stellte mich zu ihnen, sodass wir alle aufs Bild passten.
Ein Freund von mir hatte mir einmal zu später Stunde gestanden, dass er als Jugendlicher ganze Nächte damit verbracht hatte, Youtube-Tutorials zu schauen, in denen es darum ging, Frauen zu verführen. Er berichtete mir von einem besonders obskuren Trick, den sogenannte Pick-up-Artists offenbar regelmäßig anwendeten. Das Gespräch, so lernte ich, sollte am besten mit einer Beleidigung begonnen werden. Und – so seltsam mir das im ersten Moment vorkam – stellte ich sogleich fest, dass mindestens vier meiner verflossenen Liebesgeschichten ebenfalls mit einer Beleidigung begonnen hatten. Der Trick schien tatsächlich zu funktionieren. Eine sehr spezifische Beleidigung zu formulieren, war ja immerhin eine Form von großer Aufmerksamkeit, die man der anderen Person entgegenbrachte.
»Rauchst du so viel aus sozialer Unsicherheit?« war der Satz, mit dem mein erster Freund mich bei einem Abendessen in Neukölln eroberte. Mit »Redest du immer so? Du lallst so charmant« begann eine intensive Affäre nach unserer Trennung. »Du warst so high gestern Nacht, das war nicht mehr süß (obwohl du doch sonst so süß bist)« war der Beginn meiner bislang (wie man sagt) toxischsten Beziehung – und die bisher netteste der unerfüllten Lieben ließ ziemlich früh in unserer Bekanntschaft die Bemerkung fallen, ich würde »Feel-good-Literatur« schreiben. Die als Kompliment getarnte Beleidigung oder das als Beleidigung getarnte Kompliment scheint also eine Strategie zu sein, die bei mir extrem gut funktioniert – ohne dass ich mir selbst dessen bewusst war.
Als letzte Woche ein klitschnasser Fahrradfahrer im strömenden Regen neben mir anhielt und sagte: »Du siehst ja genauso scheiße aus wie ich«, wusste ich also schon, worum es ging. Trotzdem imponierte mir die Selbstbeschimpfung irgendwie, es war ein ganz neuer Twist in der alt gewordenen Rhetorik, eine Variation. Sie passte auch gut zum verregneten Sommer.
In der Sternschnuppennacht am vergangenen Samstag, die ich in der Uckermark verbrachte, sah ich mindestens 20 Sternschnuppen und wünschte mir neurotisch zu jeder einzelnen etwas. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, sodass ich am nächsten Morgen Nackenschmerzen hatte, wünschte ich mir also zum Beispiel, dass ich von nun an weniger auf beleidigende Flirts hereinfalle. Denn wenn die Beziehung bereits mit einer Beleidigung begonnen hat, konnte man sich ja vorstellen, was darauf folgte. Ich wünschte mir außerdem, dass der Regen endlich aufhört, denn ich war es leid, ständig meine Klamotten in fremden Wohnungen föhnen zu müssen.
Jener Wunsch ging direkt am nächsten Morgen in Erfüllung. Weil ich noch vier Wünsche übrig hatte, schenkte ich sie am nächsten Nachmittag, es war ebenfalls ein Flirt, einem Freund.
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