Von Erdgas zu Wasserstoff

Die Ontras Gastransport GmbH will 950 Kilometer ihres Fernleitungsnetzes klimagerecht umstellen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Ontras-Sprecher Ralf Borschinsky (r.) erklärt Grünen-Politiker Benjamin Raschke (l.) die Pläne für ein Wasserstoffnetz.
Ontras-Sprecher Ralf Borschinsky (r.) erklärt Grünen-Politiker Benjamin Raschke (l.) die Pläne für ein Wasserstoffnetz.

Pressesprecher Ralf Borschinsky erinnert sich noch, wie er im Jahr 2015 die Absicht seiner Ontras Gastransport GmbH verkündete: »Going green«, was so viel bedeutet wie ökologisch und klimaneutral zu werden. Damals sei er in der Branche belächelt worden, sagt Borschinsky. Inzwischen hat sich der Wind gedreht und viele suchen Wege, genau dieses Ziel zu erreichen.

Ontras sitzt in Leipzig und betreibt in Ostdeutschland 7700 Kilometer Gasfernleitungen. »Wir verdienen Geld, indem wir Gas von A nach B transportieren«, erläutert Borschinsky am Dienstag ein paar Hundert Meter hinter dem Ortsausgang von Eisenhüttenstadt an einer Regelstation. Hier kommt Gas mit einem enormen Druck von bis zu 100 bar aus der Fernleitung an. Zum Vergleich erinnert Borschinsky, dass der Luftdruck in einem Autoreifen 2,5 bis 3 bar beträgt. Für die Einspeisung ins Verteilnetz muss der Druck auf etwa 16 bar gesenkt werden. Das geschieht hier an der Regelstation. Das Gas dehnt sich bei diesem Vorgang aus und wird eiskalt. Es müsse vorgewärmt werden, damit die Leitungen nicht einfrieren, erläutert Borschinsky.

Bei einer Umstellung der Leitungssysteme auf Wasserstoff würde das entfallen. Ansonsten wäre alles genauso wie beim Erd- oder Biogas. Eventuell müssten Dichtungen ausgetauscht werden, die für Wasserstoff nicht geeignet sind. Ansonsten sei keine Umrüstung, kein Umbau erforderlich, versichert der Pressesprecher.

Wasserstoff lautet gegenwärtig das Zauberwort, wenn es um die Speicherung von Solarstrom und Windenergie geht für Stunden und Tage, an denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Besonders für den Winter, wenn zwei Drittel der jährlich in Deutschland benötigten Energie verbraucht werden, ist eine Speichertechnologie unumgänglich. Dazu soll künftig in großem Stil erneuerbare Energie zur Produktion von Wasserstoff verwendet werden, der dann bei Bedarf in Energie zurückverwandelt werden kann. Noch geht bei einer solchen Vorgehensweise viel Energie verloren. Es ist deshalb umstritten, ob sie überhaupt geeignet ist, den Weg zur Klimaneutralität zu ebnen.

Ein deutlich verbesserter Wirkungsgrad von rund 85 Prozent soll allerdings drin sein, wie Borschinsky am Dienstag vorrechnet. Physikalisch sei das möglich, und im Versuchsstadium funktioniere es schon. Der Sprecher erklärt dies Benjamin Raschke, Fraktionschef der Grünen im Brandenburger Landtag. Dieser schaut am Dienstag in Begleitung von Mitarbeitern vorbei, um sich über den Stand der Dinge beim geplanten Wasserstoffnetz zu informieren.

»Schön, dass Sie Zeit für uns haben. Wir haben eine Menge Fragen mitgebracht«, sagt Raschke zur Begrüßung. Borschinsky und seine Kollegen Carolin Rößler und David Szolc bemühen sich nach Kräften, auf alles eine Antwort zu geben. 30 000 Kubikmeter Erdgas pro Stunde werden in Eisenhüttenstadt allein an das dortige Stahl- und Walzwerk abgegeben, weiß Szolc aus dem Kopf. Das ist eine Menge, mit der ein schlecht gedämmtes Einfamilienhaus ein Jahr lang auskommt, und es würde für ganze vier Niedrigenergiehäuser reichen. Auch das Stahlwerk gehört zu den Unternehmen, die auf Wasserstoff umstellen und so ihre Zukunft sichern wollen.

Ontras plant, bis zum Jahr 2030 von seinen 7700 Kilometern Gasleitungen 950 auf Wasserstoff umzustellen. Das ist kein Hexenwerk. Was viele laut Borschinksy nicht wissen: Dem aus Braunkohle erzeugten Stadtgas in der DDR seien in den 60er Jahren bis zu 60 Prozent Wasserstoff beigemischt gewesen, Ende der 90er Jahre dann noch etwa 30 Prozent. Erfahrungen damit gibt es also schon. »Die Eigenschaften von Wasserstoff kennen wir von damals.« Nur mache es wirtschaftlich heute keinen Sinn, den wertvollen Wasserstoff mit Gas zu vermischen. Reine Wasserstoffleitungen sind deshalb das Ziel. Es gibt erste Überlegungen, die Bundesrepublik mit einem Kernnetz abzudecken, von dem aus dann die Verteilnetze gespeist werden.

Ontras ist mit Leitungen von Rostock an Berlin vorbei nach Leipzig und nach Eisenhüttenstadt mit von der Partie. Dort liegen schon ältere Erdgasleitungen. Die von Berlin nach Eisenhüttenstadt ist aber außer Betrieb und soll durch eine neue Wasserstoffleitung ersetzt werden. Die von Rostock nach Berlin hätte nicht die Kapazitäten, um den Bedarf zu befriedigen. Hier soll ebenfalls neu gebaut werden.

Wie viel das kostet und wer das bezahlt? Für das insgesamt 11 200 Kilometer umfassende deutsche Kernnetz, das bis 2032 entwickelt werden soll, wird mit einem zweistelligen Milliardenbetrag gerechnet. Mit welcher Summe Ontras dabei ist, vermögen die Kollegen nicht zu sagen. Klar sei nur, dass man eigene Mittel aufbringen wolle, aber auch eine staatliche Anschubfinanzierung benötige, damit die Netzentgelte nicht explodieren.

Klar sei auch, dass der Bedarf ohne Importe nicht zu befriedigen ist. »Die Nachfrage nach Wasserstoff ist enorm gestiegen in den letzten anderthalb Jahren«, sagt Borschinsky. »Wir sind mit erstaunlich vielen Einspeisewilligen im Gespräch. Wir haben laufend Anfragen.« Allerdings müsse auch ganz sicher Wasserstoff aus dem Ausland herbeigeschafft werden.

Die Wasserstoff-Produktion im Inland werde »nie und nimmer ausreichen, den riesigen Bedarf der Industrie zu decken«, sind Borschinsky und Rößler überzeugt. Nur ein kleiner Teil müsste demnach nicht importiert werden. Vorgesehen ist ein Leitungssystem aus Schweden, das ab Finnland durch die Ostsee nach Estland geführt werden soll und von dort weiter durch Lettland und Litauen. Bei Eisenhüttenstadt würde es die deutsch-polnische Grenze überschreiten. Zusammen mit mehreren anderen Firmen hat Ontras das Projekt im vergangenen Jahr beantragt.

Was aber geschieht, wenn sich in den nächsten zehn Jahren doch noch eine bessere Speicherlösung findet, mit der die Wasserstofftechnologie überflüssig gemacht wird? Dazu hätte die Branche gern eine Bürgschaft vom Staat, um sich gegen dieses Risiko abzusichern.

Politiker Raschke hat sich die letzten Kilometer zur Regelstation mit einem Diesel-Pkw chauffieren lassen, immerhin wenigstens mit einem kraftstoffsparenden Modell. Borschinsky und Kollegen sind ihm da heute voraus. Ihre Dienstwagen werden mit Biogas betankt. »Unterwegs zum Wasserstoff«, steht auf den Türen.

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