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Dokumentarfilm »Le Mali 70«: Wie die alte Musik
In der Doku »Le Mali 70« reist die Berliner Big Band Omniversal Earkestra nach Mali – auf den Spuren der Big-Band-Ära des Landes in den ersten Jahren der Unabhängigkeit
Kein Zug fährt mehr ab vom Hauptbahnhof in Bamako. Aber die Instrumente der Rail Band sind immer noch in einem Verschlag gelagert, seit 50 Jahren. Eine Hammondorgel, Saxofone, Schlagzeug. Ein halbes Jahrhundert später holen ein paar ehemalige Musiker das hervor, womit sie zwischen 1970 und 1973 täglich von Dienstag bis Samstag ihr Publikum in Ekstase versetzten. Mit einer Musik, die Traditionen aus den verschiedenen Regionen des Landes mit afrokubanischen Stilen verschmolz.
Anlass für die Sichtung der Überbleibsel jener Jahre ist der Besuch der Berliner Big Band Omniversal Earkestra in der Hauptstadt des westafrikanischen Landes. Jeden Montag spielt die Band in Berlin seit acht Jahren an wechselnden Orten eigene Kompositionen und Musik von Legenden wie Duke Ellington und Sun Ra, aber immer wieder auch Musik von afrikanischen Musiker*innen wie dem Afrobeat-Schöpfer Fela Kuti. 2016 kam es dann in Berlin zu einer spontanen Session mit der Tuareg-Band Amanar de Kidal. Danach war klar: Da müssen wir unbedingt mal hin!
Mali hat westliche Filmemacher*innen und Musiker*innen schon häufig inspiriert. Martin Scorsese begleitete beispielsweise vor 20 Jahren in »Feel Like Going Home« den Musiker Corey Harris auf der Suche nach den Wurzeln des Blues nach Mali. »Dambé: The Mali Project« (2008) folgte den irischen Musikern Liam Ó Maonlaí und Paddy Keenan auf einer Reise entlang des Niger von Bamako nach Timbuktu. 2016 erschien der Film »Mali Blues« des deutschen Regisseurs Lutz Gregor, der am Beispiel von vier Musiker*innen die Bedeutung der Musik für die malische Gesellschaft erforschte, die schon damals mit islamistischem Terror und instabilen Verhältnissen rang.
2019 reiste das Omniversal Earkestra, begleitet vom Filmemacher Markus Schmidt, nach Mali – auf den Spuren der Big-Band-Ära Malis in den ersten Jahren der Unabhängigkeit. Der Kontrast zwischen dem verregneten Berlin, in dem das Omniversal Earkestra Plattenläden nach malischer Musik durchforstet und über musikalische Unterschiede diskutiert, und den Bildern aus dem Bamako von 2019 mit seinem Licht, Leben und Lärm, die Martin Langner eingefangen hat, könnte kaum krasser sein. Während sich die Bahngleise, von Langner aus der Vogelperspektive gefilmt, unter einer Staubschicht durch die Stadt ziehen, denkt man sich unwillkürlich: Die alte Musik weist auch der Musik der neuen Generation unter der Oberfläche den Weg.
Jede Stadt, erklärt einer der malischen Musiker, hatte damals eine eigene Band: Super Biton de Ségou, das Orchestre Régional de Mopti und Le Mystère Jazz De Tombouctou waren die bekanntesten. Schon Mitte der 70er Jahre zog die Rail Band nach Abidjan in der Elfenbeinküste um, wegen der besseren Infrastruktur, aber auch wegen der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Mali, die sich nach dem Putsch von 1968 gegen Modibo Keïta, den ersten Präsidenten des Landes, immer weiter verschlechtert hatten. Hätte man Modibo machen lassen, wäre Mali heute ein anderes Land, sagt Cheick Tidiane Seck, einst Organist der Rail Band. »Jetzt geht alles nur noch den Bach runter.«
Bekanntlich ist das arme Land mit seiner reichen Kultur bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Weshalb »Le Mali 70« gewissermaßen gerade rechtzeitig erscheint, um dieser wichtigen Epoche der afrikanischen Musik ein Denkmal zu setzen. Musiker*innen wie Salif Keita, Sory Bamba und Boubacar Traoré oder Mouneissa Tandina, früher Schlagzeugerin bei Super Biton de Ségou, sind weit in ihren 70ern oder, wie Bamba, 80ern. Und nach mehreren Putschen in den vergangenen Jahren ist zwar zuletzt eine neue Verfassung auf den Weg gebracht worden. Die Sicherheitslage gilt jedoch nach wie vor als schlecht.
So klingt es dann auch einerseits ein wenig naiv, wenn Mouneissa Tandina die einigende Kraft der Musik beschwört. Andererseits sind die Begegnungen zwischen Deutschen und Malier*innen, aber auch Wiederbegegnungen wie die zwischen Sory Bamba und Salif Keita von einer anrührenden Kraft und Beseeltheit.
Die gemeinsame Sprache der Musik wirft dabei dennoch gewissermaßen grammatische Schwierigkeiten auf: Als die malischen und deutschen Musiker*innen am Ende ihrer Reise in Salif Keitas Studio das Material aufnehmen, das vor zweieinhalb Jahren auf dem Album »Le Mali 70« bei Trikont erschien, muss Cheick Tidiane Seck intervenieren: Die Clave, das ist so etwas wie die rhythmische Grundfigur, sei falsch, er könne so nicht spielen. Erst Salif Keita löst das Problem salomonisch. Es sei eben Jazz und etwas Neues. Damals habe man eben keine deutschen Bläser gehabt. Und man dürfe nicht immer an der Vergangenheit festhalten. Was nicht heißt, dass diese Vergangenheit nicht festgehalten werden sollte – im Gegenteil.
»Le Mali 70«, Deutschland 2022. Regie und Buch: Markus CM Schmidt. 94 Min. Jetzt im Kino.
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