- Berlin
- Verdi
Streik in Berlin: Flashmob der Penny-Belegschaft
In der Tarifrunde Handel haben streikende Belegschaften andere Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz besucht
Vor der Weltzeituhr sitzen und stehen am Donnerstagvormittag 30 Personen in einer Traube zusammen. Auf den letzten Metern wird sich noch hastig beratschlagt. Gleich soll hier im Rahmen des dreitägigen Streiks in der Handelsbranche eine von mehreren Flashmob-Aktionen starten. Nacheinander sollen die Häuser von Galeria, Saturn und Primark besucht werden. Zwei Beschäftigte der Modekette Adler aus Ahrensfelde fragen die Etagen von Galeria ab. Nacheinander heben die anderen ihre Hände, welche Etage sie sich vornehmen wollen. »Ich will in die Kinderabteilung«, scherzt eine Mitarbeiterin von Penny.
Die große Mehrheit der Anwesenden arbeitet bei Penny in der Oberweißbacher Straße in Marzahn und in der Wisbyer Straße in Prenzlauer Berg. »Alle, die heute arbeiten müssten, sind hier, außer der Chefin«, sagt eine aus der Wisbyer Straße. Am Mittwoch sei der Laden ganz geschlossen gewesen.
Außerdem sind Beschäftigte von Galeria am Hermannplatz und von Edeka in der Hadlichstraße in Pankow da. Aus einer kleinen Gruppe vom Kadewe meint eine Frau, dass sie im Alter von 19 Jahren in die Gewerkschaft eingetreten sei. Das sei vor 30 Jahren gewesen. Bei so gut wie jeder Gewerkschaftsaktion sei sie dabei gewesen.
Wie in der Branche üblich sind die allermeisten hier Frauen. Für viele ist es bereits der dritte Streiktag in Folge. Gewerkschaftsfunktionär*innen sind keine vor Ort. Alles passiert in Eigenregie.
Als sich der Tross um 10.30 Uhr zu Galeria aufmacht, scheint die Aufregung verflogen. Schwatzend gehen die meisten durch den Haupteingang, einige wenige nehmen den Seiteneingang. In der Bekleidungsabteilung spricht eine Dreiergruppe eine junge Frau an, die gerade ein paar Hosen zusammenlegt. »Mensch, das machst du aber gut«, sagt eine deutlich ältere Kollegin zu ihr. Ihr Gegenüber antwortet, dass sie nur eine Aushilfe sei. Die anderen drei erklären ihr, warum sie streiken, dass es knapp sei, bei dem Lohn die Miete zu bezahlen.
Nicht alle trauen sich in Gespräche. Vielfach werden Flyer verteilt: in Schuhen, in Hosentaschen, auf den Toiletten und ganz oben im Restaurant. Dort hätten sie auch den Mitarbeiter*innentisch eingedeckt, sagt eine der Frauen von Penny. Auf dem Flyer ist zu lesen, dass die Beschäftigten sich entscheiden müssten zwischen dem Kauf einer Waschmaschine und etwas zu Essen und zwischen einem Zoobesuch mit den Kindern und neuen Schulbüchern. Allgemein läuft die Aktion sehr ruhig ab. Kund*innen scheinen die Intervention kaum zu bemerken.
Anders ist es bei den Mitarbeiter*innen. Eine Gruppe um die Beschäftigten von Adler versucht früh, auch in den Betriebsablauf einzugreifen. Sie stellen sich mit Artikeln an die Kasse und behaupten, als sie an der Reihe und die Artikel bereits gescannt sind, dass sie nicht genügend Geld dabei hätten und bitten um eine Stornierung. Bei den Kassierer*innen von Galeria auf der anderen Seite der Theke kommt das nicht gut an. Es gelingt dann auch nicht mehr, in ein gutes Gespräch zu kommen. Den Betrieb stört das auch kaum. Dafür sind nicht genug aktive Beschäftigte vor Ort. Bei Galeria und Primark werden die Aktivist*innen am Ende zudem vom Sicherheitsdienst nach draußen gebeten.
Dort, wo versucht wird, weniger konfrontativ aufzutreten, sind die Reaktionen positiver. Ein Mitarbeiter von Adler vermutet, dass auch der Altersunterschied zwischen den Beschäftigten von beispielsweise Galeria und Primark eine Rolle spielen könnte. Manch Angestellter faltet nach der Lektüre den Flyer sorgfältig zusammen und steckt ihn in die Tasche. Andere sieht man die Köpfe zusammenstecken. Ein Primark-Mitarbeiter sagt: »Ich überlege mir fürs nächste Mal, ob ich mit raus zum Streik komme. Danke, dass ihr das macht, weiter so!« Ein Sicherheitsmitarbeiter von Galeria hilft der langjährigen Gewerkschafterin aus dem Kadewe beim Aufhängen des Streikaufrufs von Verdi. Dass dort an der Eingangstür eine Mitteilung überklebt wird, die über die Öffnung trotz Streik informiert, scheint ihn nicht zu stören.
Mit der Zeit wird die Stimmung gelöster. Auf den Rolltreppen von Saturn fangen einige Frauen an, zu der Musik aus der ladeneigenen Boombox zu tanzen und zu jauchzen. Bald gehen sie auch nicht mehr in Gruppen auf die Leute zu, sondern trauen sich in Eins-zu-eins-Gespräche. Als die meisten nach dem Saturn-Besuch draußen warten, kommt eine Frau herausgerannt und jubelt: »Wir haben einen, der sich uns vielleicht gleich anschließen will.« Am Ende kommt er dann aber nicht.
Bei Primark ergreifen einige die Gelegenheit und kaufen sich ein paar der günstigen Leggings. »Das kann ich mir mit den 2,50 Euro mehr leisten«, spielt eine der Frauen auf die Verdi-Forderung an. Zwischen ihren Rundgängen machen die Kolleg*innen Pause: rauchen, essen mitgebrachte Brote und tauschen sich aus: über die schlechte Situation bei Galeria, wo seit der Insolvenzanmeldung 2009 die Gehälter eingefroren seien. Seitdem hätte es weder Gehaltserhöhungen noch Weihnachtsgeld oder Einmalzahlungen gegeben.
Nach der letzten Station bei Primark gegen 12.00 Uhr sind mehrere Hundert Flyer an allen erdenklichen Orten in den Warenabteilungen untergebracht und Dutzende Gespräche unter den Kolleg*innen geführt. Auch wenn der Betriebsalauf nicht gestört wurde, erreichen solche Flashmob-Aktionen, was zentrale Streikkundgebungen nicht vermögen: Sie bringen organisierte und unorganisierte Kolleg*innen in Kontakt und hinterlassen bei sicher nicht wenigen der Letztgenannten einiges an Gesprächsstoff. Ein kleiner Rest hat selbst dann noch nicht genug. Sie sammeln die übrig gebliebenen Flyer ein und sagen: »Wir gehen jetzt noch zu Rewe.«
Flashmobs waren laut der Anwesenden auch am Ku’damm, bei Ikea in Tempelhof und in Frankfurt (Oder) geplant. In dem seit Monaten dauernden Tarifstreit waren zuletzt Verhandlungen auch in anderen Bundesländern ergebnislos zu Ende gegangen. Verdi kündigte dort weitere Streiks an.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.