Frauenhäuser in Berlin: Neue Schutzorte gegen häusliche Gewalt

Trotz Eröffnung eines neuen Frauenhauses und einer Clearingstelle mangelt es an Plätzen für Betroffene

  • Thuy-An Nguyen
  • Lesedauer: 4 Min.
Bedürfnis nach Sicherheit: Die Zahl der Opfer von partnerschaftlicher Gewalt ist 2022 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen.
Bedürfnis nach Sicherheit: Die Zahl der Opfer von partnerschaftlicher Gewalt ist 2022 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen.

Wenn es zu Hause lebensgefährlich wird, sind Frauenhäuser oft die erste Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt. Sie bieten kurzfristigen Schutz für Frauen, die in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher vor ihrem Partner sind. Die am Montag eröffnete Clearingstelle der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) gibt Betroffenen in diesen Situationen erste Hilfestellung. Sie stellt ein zusätzliches Angebot zu den Frauenhäusern in der Stadt dar, in denen Betroffene längerfristig Schutz finden. Gewaltbetroffene Frauen, queere Personen und ihre Kinder können hier für einen kurzfristigen Aufenthalt unterkommen. »Wir nehmen Personen auf, die keinen Platz im Frauenhaus finden oder sich noch nicht sicher sind, ob ein Frauenhaus der richtige Ort für sie ist«, sagt Ina Queissner, Leiterin der BIG-Clearingstelle.

Wie hoch der Bedarf ist, zeigen die Zahlen: Bereits wenige Tage nach der Eröffnung ist die Clearingstelle voll belegt, teilt BIG-Geschäftsführerin Doris Felbinger »nd« mit. Aktuell könnten keine weiteren Personen aufgenommen werden. Gleichzeitig mit der Clearingstelle eröffnete ein neues Frauenhaus des AWO-Kreisverbandes Mitte. »Damit gibt es in der Stadt nun insgesamt 462 Plätze in acht Frauenhäusern. Hinzu kommen noch 30 Plätze in sogenannten Frauennotwohnungen«, sagt Felbinger. Ein neuntes und zehntes Frauenhaus sollen laut Felbinger perspektivisch hinzukommen. Wann genau, ist nicht absehbar.

Trotz der neuen und geplanten Eröffnungen ist der Bedarf an Schutzplätzen weit höher als das Angebot: »Basierend auf dem Schlüssel der Istanbul-Konvention würde Berlin 963 Plätze benötigen, das heißt, wir haben aktuell noch nicht einmal die Hälfte ohne Notwohnungen«, so Felbinger. Die Istanbuler Konvention ist eine Vereinbarung, die 2011 von 46 Mitgliedstaaten des Europarats beschlossen wurde, und gilt als der bisher umfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Deutschland hat die Konvention im Jahr 2017 ratifiziert, und mit dem Inkrafttreten 2018 müssen deutsche Gesetze entsprechend der Konvention ausgelegt werden. Die Prävention häuslicher Gewalt durch öffentliche Bildung sowie die Förderung von Hilfsdiensten und Frauenhäusern ist dabei ein besonderer Schwerpunkt.

Doch einem Bericht der Expert*innenkommission Grevio (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) zufolge weist Deutschland bei der Umsetzung erhebliche Mängel auf. Es fehle an einer nationalen Koordinierungsstelle sowie an einer langfristigen umfassenden Strategie, die landesweit wirksame und koordinierte Maßnahmen biete, heißt es im Bericht der Grevio. Auch in Berlin sieht die BIG Verbesserungsbedarf. So beinhaltet der Doppelhaushaltsentwurf für 2024/25 im Bereich Bildung, Jugend und Familie Mittelkürzungen im Bereich der Präventionsarbeit zum Thema häusliche Gewalt an Grundschulen. Und das trotz der gerade erst veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 zu häuslicher Gewalt. In Berlin erhöhte sich die Zahl der Opfer von partnerschaftlicher Gewalt demzufolge um 1633 auf 17 263. Das entspricht einer Steigerung von rund 10 Prozent.

Für die BIG deuten die Zahlen auch darauf hin, dass mehr Mittel in die Prävention von häuslicher Gewalt fließen müssen. Anlaufstellen wie Frauenhäuser oder die Clearingstelle seien nur geeignet zur Bekämpfung der Symptome, nicht der Ursachen von Gewalt, sagt Geschäftsführerin Doris Felbinger. Patriarchale Strukturen bestünden unabhängig von den Angeboten in den gesellschaftlichen Strukturen fort. »Es braucht präventive Angebote, damit Frauen nicht erst ins Frauenhaus gehen müssen«, so Felbinger.

Die vollständige Umsetzung der Konvention sei erklärtes Ziel des Senats, teilt ein Sprecher auf Anfrage von »nd« mit. 2024 stehen dafür 7,2 Millionen Euro im Doppelhaushalt zur Verfügung, 2025 rund 9,6 Millionen. Berlin habe seit 2020 rund 191 neue Schutzplätze in Frauenhäusern und der neuen Clearingstelle aufgebaut. Man werde sich auch weiterhin dafür einsetzen, neue Frauenhausplätze zu schaffen, so der Sprecher. Das sei in den Richtlinien der Regierungspolitik vorgesehen.

Der BIG zufolge ist die Situation um den Schutz von Betroffenen häuslicher Gewalt dennoch in einem kritischen Zustand. Nicht nur, weil immer noch zu wenig Schutzplätze zur Verfügung stehen. Viel zu oft müssten Betroffene auch länger in den Häusern bleiben als vorgesehen, sagt Geschäftsführerin Felbinger. Der Wechsel in eigenen Wohnraum sei durch den angespannten Wohnungsmarkt zusätzlich erschwert. »Frauenhäuser sollen Schutzräume sein, aus denen Betroffene im Anschluss in ein selbstbestimmtes Leben gehen können«, so Felbinger.

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