- Berlin
- Schulplatzmangel
Alte Schulen in Berlin wieder nutzen
GEW Friedrichshain-Kreuzberg fordert Reaktivierung leerstehender oder umgewandelter Schulen
»Diese Schule steht leer«, das steht auf einem großen Transparent, das an der Fassade eines Backsteingebäudes in Kreuzberg hängt. Die Bildungsgewerkschaft GEW Friedrichshain-Kreuzberg hat es am vergangenen Montag an der ehemaligen Kurt-Held-Grundschule aufgehängt, um auf den fortbestehenden Leerstand des Gebäudes aufmerksam zu machen. »In Berlin fehlen 20 000 bis 25 000 Schulplätze und gleichzeitig stehen Schulen leer, das kann doch nicht sein«, sagt Gewerkschafter Gökhan Akgün zu »nd«.
Die GEW möchte, dass Schulen wie diese, die entweder gänzlich leerstehen oder zu anderen Zwecken verwendet werden, reaktiviert werden. »Für uns im Bezirk ist das der beste Weg, um Schulplätze zu schaffen«, sagt Akgün. Denn nur in den Schulbau zu investieren, funktioniere in den innerstädtischen Bezirken nicht. »Wo soll denn hier noch eine Schule hin? Es gibt die Baugrundstücke dafür überhaupt nicht.« Und die Kinder quer durch die Gegend zu Schulgebäuden in angrenzenden Bezirken fahren zu lassen, hält er auch nicht für eine gute Option. »Kinder sollen doch mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft zusammen zur Schule gehen, sich nach der Schule auch noch verabreden können«, sagt der Gewerkschafter.
Auch warteten noch 1100 geflüchtete Schüler*innen auf einen Platz in den Willkommensklassen und auch dafür brauche es die Nutzung der Schulgebäude. »Ein weiterer Punkt ist, dass sehr viele Schulen marode sind, Asbest ist da ein großes Thema. Vor allem in Kreuzberg ist die Situation ganz schlimm«, sagt Akgün. Die notwendigen Sanierungsmaßnahmen würden aufgeschoben, weil es keine alternativen Unterbringungsmöglichkeiten für die Schüler*innen gebe. »Das sagen wir: Schickt sie in die Kurt-Held-Schule.«
Der Gewerkschafter beklagt, dass der Verkauf der Schule sowie die Schließungen anderer Schulen von Anfang an eine schlechte Idee gewesen sei. Die Kurt-Held-Grundschule wurde 2007 aufgrund rückläufiger Schüler*innenzahlen stillgelegt und an einen privaten Eigentümer verkauft, dann 2017 nochmals verkauft. »Schulen wurden aufgrund von marktwirtschaftlichen Kriterien geschlossen. Die Kurt-Held-Schule war unwirtschaftlich. Das ist doch vollkommen absurd«, sagt Akgün.
Im Fall der Kreuzberger Grundschule wünscht sich Akgün einen Rückkauf des Gebäudes. »Das Land muss dafür Gelder bereitstellen, damit der Bezirk die Schule zurückkaufen und reaktivieren kann.«
Auch Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgordnetenhaus, ist unzufrieden mit der Situation der ehemaligen Grundschule. »Niemand versteht, wieso beispielsweise die ehemalige Kurt-Held-Grundschule, die an einen privaten Investor verkauft wurde, aktuell leersteht. Diese Schule muss schnell zurück in die öffentliche Hand und das Gebäude wieder für die Kinder und als Schule genutzt werden«, teilt sie mit.
Die Bildungspolitikerin hatte selbst im vergangenen Monat eine Schriftliche Anfrage an den Senat gestellt, um herauszufinden, welche Schulstandorte in Berlin seit 2000 stillgelegt wurden und wofür diese aktuell genutzt werden. Aus der Antwort der Senatsbildungsverwaltung geht hervor, dass in dem Zeitraum in allen Bezirken außer Neukölln, Spandau und Charlottenburg-Wilmersdorf Schulen aufgrund »rückläufiger Schülerzahlen« geschlossen worden sind.
Die meisten Schulschließungen aus jedweden Gründen fanden dabei in Marzahn-Hellersdorf statt, gefolgt von Lichtenberg und Pankow. In Marzahn-Hellersdorf wurden von 40 Schulen 30 aufgrund der rückläufigen Zahlen geschlossen, bei den anderen zehn ist kein Grund angegeben. Hier stehen die Gebäude allerdings nicht leer: 37 der Schulen sind abgerissen worden. Die »ehemaligen (vollständigen) Schulstandorte, die sich nicht mehr in schulischer Nutzung befinden« könnten nur durch »Schulneubaumaßnahmen wieder einer schulischen Nutzung zugeführt werden«, führt der Bezirk dazu aus.
Nur sieben der seit 2000 geschlossenen Schulen in Marzahn-Hellersdorf werden inzwischen wieder als Schulen genutzt. Elf der Grundstücke sind laut Angaben der Bildungsverwaltung unbebaut, sechs weitere werden als Grünfläche benutzt. Zu etwaigen Reaktivierungsplänen liegen in der Antwort in keinem der 40 Fälle Angaben vor.
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In Friedrichshain-Kreuzberg wurden 15 Schulen stillgelegt, alle unter der Begründung der »rückläufigen Schülerzahlen«. Bis auf die Kurt-Held-Grundschule werden alle ehemaligen Schulgebäude inzwischen genutzt, in den beiden anderen an Privateigentümer*innen verkauften Häusern befinden sich Wohnungen. Ein paar der anderen Gebäude werden auch aktuell als Schulen genutzt, andere etwa als Bibliothek, Obdachlosenunterkunft, Familienzentrum oder von der Volkshochschule.
Tatsächlich ist die Kurt-Held-Grundschule die einzige der 132 in ganz Berlin stillgelegten Schulstandorte, deren Nutzungsart in der Antwort der Bildungsverwaltung als »Leerstand« beschrieben wird. Allerdings wird in 24 Fällen keine Angabe zur aktuellen Nutzung gemacht, zusätzlich zu den unbebauten Standorten in Marzahn-Hellersdorf.
Bildungspolitikerin Franziska Brychcy schließt aus den Angaben der Bildungsverwaltung, dass es in Berlin durchaus einiges an Potenzial zur Schaffung von Schulplätzen an stillgelegten Schulstandorten gibt. »Natürlich muss die Schulbauoffensive dringend vorangetrieben werden, aber auch im Bestand können ehemalige Schulgebäude wieder als Schulen genutzt werden«, sagt sie zu »nd«. Die Standorte würden sich besonders anbieten, weil sie städteplanerisch in die Wohngebiete eingepflegt sind. »Bei Grundschulen gibt es zum Beispiel die Regel, dass sie nicht mehr als einen Kilometer vom Wohnort entfernt sein sollen.«
Deshalb muss aus ihrer Sicht die Verfügbarkeit von wohnortnahen Schulplätzen Priorität auch über etwaige kulturelle Nutzungen haben. »Wenn da in einer ehemaligen Schule jetzt eine Bibliothek oder die Volkshochschule drin ist, dann muss man eben verhandeln. Die Volkshochschule kann viel einfacher umziehen als eine Grundschule, auch wenn das schade ist«, sagt Brychcy.
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