ÖPNV: In Kommunen kommt wenig Geld an

Auf dem Weg zum ÖPNV 2.0 ist auch die Frage der Finanzierung völlig ungeklärt

Wer auf dem Land wohnt, braucht viel Geduld oder einen ausgeklügelten Zeitplan, wenn er auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) setzt: Der Bus ist weit weg, verkehrt teils nur alle paar Stunden, dafür hat man mehrere Sitzreihen für sich. Ein dünnes Angebot schreckt die geringe Nachfrage zusätzlich ab. Ein konträres Bild bietet sich in Ballungsräumen, wo sich der Verkehr eben ballt und der gut ausgebaute ÖPNV für Entlastung sorgen soll. Hier rollen S- und U-Bahnen, Busse und Trams bis in die entlegensten Ecken, gut gefüllt.

Doch was beide Welten eint, ist die prekäre Finanzierung: Die Ticketeinnahmen decken nur knapp die Hälfte der Ausgaben, der Rest sind staatliche Zuschüsse, an denen es hapert. Im Jahr 2021 zahlte der Bund an die Länder 11,6 Milliarden Euro aus Regionalisierungsmitteln, die etwa für Infrastrukturvorhaben oder die Beschaffung neuer Straßenbahnen und Busse verwendet werden können. Da die Ampel im Koalitionsvertrag versprochen hatte, den ÖPNV zu stärken, wird die jährliche Dynamisierung seit 2023 von 1,8 auf 3,0 Prozent erhöht. Bis zum Jahr 2031 sollen so zusätzlich 17,3 Milliarden Euro zusammenkommen – für Erhalt, steigende Kosten und den Ausbau.

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In den Kommunen und Landkreisen kommt bisher viel zu wenig an. Selbst für den Erhalt reichen die Mittel oft nicht aus. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik besteht in 15 Prozent der ÖPNV-Netze aufgrund schlechten Zustands der Infrastruktur Handlungsbedarf. Die Experten gehen davon aus, dass zusätzlich zum bereits nicht ausreichend finanzierten Erhalt der Infrastruktur bis 2030 rund 39 bis 63 Milliarden Euro zur Realisierung der Verkehrswende benötigt werden, wobei es dann aber auch Sparpotenzial bei Straßen und Stellplätzen gebe. Zum Erhalt gehören, worauf die Gewerkschaften hinweisen, zudem ordentliche Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken, der bei Busfahrern bereits zu spüren ist.

Dass unter der Ampel-Regierung mehr Geld in den ÖPNV fließt, sorgt aber nicht für Entspannung. So floss die Erhöhung der Regionalisierungsmittel seit 2022 »größtenteils« in die Finanzierung des 9-Euro- beziehungsweise Deutschlandtickets, heißt es bei der Allianz pro Schiene. Es sei zudem »noch ungeklärt, ob die zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro pro Jahr bis 2025 ausreichen, um die Mehrkosten durch das Ticket zu decken«, kritisiert das Verbändebündnis. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ließ vor wenigen Tagen wissen, vom Bund sei nicht mehr zu erwarten.

Doch es mangelt nicht nur an Geld, sondern auch an Übersichtlichkeit bei der ÖPNV-Finanzierung. So stellt der Bund Mittel für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bereit, für den die Länder zuständig sind. Dazu zählen der Bahnverkehr mit Reiseweiten von bis zu 50 Kilometern oder Reisezeiten von unter einer Stunde. Für den Öffentlichen Straßenpersonenverkehr (ÖSPV) mit Bussen, U-Bahnen und Straßenbahnen, für den in der Regel die Kommunen sorgen, fließt wiederum Geld über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz an die Länder. Zudem erlaubt der Bund den Kommunen einen steuermindernden Querverbund des profitablen örtlichen Energieunternehmens mit dem defizitären ÖPNV-Betreiber. Auch auf der Empfängerseite ist es unübersichtlich: Dort gibt es SPNV- und ÖSPV-Unternehmen, die zudem häufig Verkehrsverbünde bilden.

Das Wirrwarr hat den Bundesrechnungshof auf den Plan gerufen. Der Bund gebe hohe Summen an die Länder, ohne einen Überblick zu haben, wie viel es genau ist und was damit angestellt wird, heißt es in einem Sonderbericht von 2022. Trotz Aufstockungen würden die Ziele des Bundes für Verkehr und Umweltschutz nicht umgesetzt. Eine weitere Kritik: Die Länder ließen viele Mittel ungenutzt.

Und tatsächlich ist dort die Bereitschaft oft nicht groß. Niedersachsen war im vergangenen Jahr bundesweit Schlusslicht bei der ÖPNV-Finanzierung mit 164 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Das Land steuerte zudem bei den insgesamt geringen Zuschüssen für den ÖPNV nicht einmal neun Prozent selbst bei. Selbst die finanzklammen Kommunen brachten fast dreimal so viel auf. Auf die Kritik nach der Veröffentlichung des Rankings erwiderte ein Sprecher des Verkehrsministeriums in Hannover, die Vorgängerregierungen hätten den ÖPNV gar nicht mit Landesmitteln gefördert.

Bedenkt man, dass der ÖPNV Landesaufgabe ist, ist dies natürlich Wasser auf die Mühlen derer, die eine andere Finanzierung fordern. Der Bundesrechnungshof etwa empfiehlt ein einheitliches ÖPNV-Gesetz für die Bundesmittel, die dann zwingend daran gekoppelt sind, dass die Länder die Grundfinanzierung des ÖPNV erbringen. Auch die Ampel wollte jenseits von barer Münze strukturelle Veränderungen: Im Koalitionsvertrag findet sich ein »Ausbau- und Modernisierungspakt«, bei dem sich Bund, Länder und Kommunen über die Finanzierung bis 2030 verständigen, und gemeinsam mit den Ländern definierte Qualitätskriterien und Standards für Angebote und Erreichbarkeit des ÖPNV. Zu hören ist von beidem nichts mehr.

Der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland wiederum hatte bereits vor Jahren ein neuartiges Finanzierungsmodell vorgeschlagen, um Kommunen als Aufgabenträger selbst Mittel in die Hand zu geben: mit einem zweckgebundenen »ÖV-Beitrag« für Privatleute und die örtliche Wirtschaft, der sich sozial gerecht an der Grundsteuer orientieren solle.

Klarheit über die langfristige Finanzierung ist auch deshalb notwendig, da große Aufgaben anstehen, die Verkehrsexperten unter dem Stichwort »ÖPNV 2.0« zusammenfassen: Es geht um den Ausbau bestimmter Strecken und die Elektrifizierung der Busflotten genauso wie um die Digitalisierung und die Vernetzung mit anderen Verkehrsträgern und privaten Mobilitätsdiensten. An Bahnhöfen werden mehr Fahrradstellplätze oder gar Fahrradparkhäuser benötigt, auf dem Land sind On-Demand-Taxis oder Rufbusse auf der letzten Meile der Schlüssel zur besseren Mobilität. Unklar ist dabei das künftige Passagieraufkommen: Die Politik, die mehr Menschen zum Umsatteln von Auto auf ÖPNV bewegen möchte, erwartet eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030. Gleichzeitig wirkt die Veränderung in der Arbeitswelt mit Homeoffice und Coworking-Arbeitsplätzen dem entgegen. Manche Experten halten große Steigerungen nur bei den neuen Diensten für realistisch, insbesondere in ländlichen Gegenden.

Und so ist in beiden Welten des deutschen ÖPNV nicht nur unklar, woher das Geld für die künftigen Aufgaben kommen soll. Sondern auch, wie viel eigentlich benötigt wird.

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