Mieterhöhungen bei den Landeseigenen: Blechen nach dem Moratorium

Berlins Große Koalition will die Mieten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften erhöhen – und sorgt so für Ärger

Es sind typische Kai-Wegner-Sätze, mit denen der Regierende Bürgermeister die Berliner Neubautour für das Jahr 2023 im Lichtenberger Ortsteil Rummelsburg eröffnet. »Ich freue mich, weil ich Baustellen liebe. Wenn Baustellen da sind, merkt man, dass etwas passiert, dass Menschen ein Zuhause finden«, sagt der CDU-Politiker Mitte der Woche, etliche Journalist*innen vor, das Gerüst eines künftigen Wohngebäudes hinter sich.

Hier, an einer Straße nahe dem Ostkreuz, hätte Wegner schon auf dem Weg zum Startpunkt der Neubautour sein Herz gleich mehrfach verlieren können: Wo vor rund zweieinhalb Jahren das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht geräumt wurde, reiht sich nun Baustelle an Baustelle. Nicht überall in der Nachbarschaft sollen auch Wohnungen entstehen, im Neubau der landeseigenen Howoge allerdings schon. Exakt 169 neue Heime, 85 davon WBS-Sozialwohnungen, sollen in dem achtgeschossigen Gebäude bis Herbst 2023 bezugsfertig gemacht werden. Hinzu kommen fünf Gewerbeflächen im Erdgeschoss sowie ein Kindergarten.

Der Kooperationsvereinbarung mit dem Land Berlin entsprechend werden die Sozialwohnungen an der Rummelsburger Bucht zu Einstiegsmieten ab 6,50 Euro pro Quadratmeter vermietet. Im Schnitt verlangen die Landeseigenen laut eigenen Angaben Nettokaltmieten von 6,39 Euro pro Quadratmeter bei den Bestandsmieten und somit 77 Cent unter dem durchschnittlichen Berliner Mietspiegel. Länger ist das nicht tragbar, findet Ulrich Schiller, Geschäftsführer der Howoge. »Wir haben hier 280 Bohrpfähle, doppelt so tief wie die Höhe des Hauses selbst«, sagt er. Der Aufwand, um in der Lage am Wasser bauen zu können, sei gewaltig gewesen, die Kosten erst recht. Schiller warnt: »Das ist eine Herausforderung, die wir so heute nicht mehr stemmen können.«

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Die Gründe dafür sind bekannt. Russlands Angriff auf die Ukraine und zuvor schon die Corona-Pandemie haben die Baukosten in den vergangenen Jahren deutlich steigen lassen. Mit einer Erhöhung der Bestandsmieten gegenzusteuern, ist den Landeseigenen seit Herbst 2022 nicht möglich. Ein Mietmoratorium, damals beschlossen durch den rot-grün-roten Senat, sollte Berliner Bürger*innen angesichts steigender Lebenshaltungskosten entlasten. Nun aber wird das Moratorium Ende des Jahres auslaufen. Die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen sehen sich am Zug und fordern von der Großen Koalition die aus ihrer Sicht fälligen Mieterhöhungen.

Bis Ende September wird das Land Berlin noch mit den sechs kommunalen Wohnungsgesellschaften sowie der landeseigenen Immobiliengesellschaft Berlinovo verhandeln. Dass der Regierende Bürgermeister dem Wunsch der Wohnungsunternehmen entgegenkommen will, macht er beim großen Schaulaufen am vergangenen Mittwoch klar – noch bevor von einer voraussichtlichen Mieterhöhung von mindestens zwei Prozent berichtet wird. Einerseits, so Wegner auf der Neubautour, wolle der Senat durch die Wohnungsbaugesellschaften steuernd in den Mietmarkt eingreifen. »Wir wissen, dass viele Menschen Ängste haben in der Stadt und sich ihre Mieten nicht leisten können.« Andererseits aber brauche man auch starke Gesellschaften, die gut finanziert und den aktuellen Herausforderungen gewachsen seien.

Knapp 360 000 Wohnungen verwalten Howoge, Degewo, Stadt und Land, Gewobag, Gesobau und WBM in Berlin. Von den höheren Mieten werden rund 648 000 Mieter*innen betroffen sein. Dass der Bund jüngst die KfW-Förderung im Neubaubereich abgeschafft habe, bezeichnet Wegner auch deshalb als »dezidiert falsch«. Das Land Berlin leide unter der Entscheidung. »Ich erwarte hier vom Bund, dass man nicht nur eine Wohnungsbauförderung auf Eis legt, sondern, wenn man es schon macht, auch neue Alternativen zu bieten.«

Damit der Senat sein Neubauziel von 20 000 Wohnungen pro Jahr erreichen kann, ist er auf die Landeseigenen angewiesen. Sie stecken laut eigenen Angaben hinter fast jeder zehnten neu gebauten Wohnung der Stadt. Nichtsdestotrotz blieb das Land bisher hinter seinem Ziel zurück. »Wir haben im vergangenen Jahr über 17 000 Wohnungen gebaut. Da verbietet sich jede Häme«, verteidigt sich SPD-Bausenator Christian Gaebler einmal mehr auf der Neubautour. Am Ende zählten die Menschen, die jetzt in einem neuen Zuhause leben könnten, woran auch die Privaten einen großen Anteil geleistet hätten. Das »Zerrbild des bösen Investors« sei vollkommen fehl am Platz.

Den Mieterhöhungen blickt der SPD-Politiker vergleichsweise gelassen entgegen. Neben Finanzspritzen durch die Wohnraumförderung, die man als neue Koalition »in Rekordzeit« beschlossen habe, sowie dem Sondervermögen Klimaschutz müsse auch die Eigenwirtschaftlichkeit der kommunalen Wohnungsunternehmen einen Anteil übernehmen. »Da, wo ein ordentlicher Service, eine ordentliche Leistung, eine gute Wohnung verlangt wird, da muss man auch einen angemessenen Preis für zahlen können«, argumentiert Gaebler. Unter den Mieter*innen der Landeseigenen sieht der Bausenator »ein breites Spektrum an Zahlungsfähigkeit«. Wer durch die Erhöhung in Schwierigkeiten gerät, könne nach wie vor einen Härtefall-Antrag stellen. Zudem, so Gaebler, müsse auch die Perspektive derjenigen Berliner*innen eingenommen werden, die bei privaten Vermietern hohe Preise zahlten, zugleich aber die niedrigen Mieten der Landeseigenen mitfinanzierten.

Niklas Schenker, mietenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, will das nicht gelten lassen. »Die Pläne des Senats legen die Axt an den sozialen Versorgungsauftrag der Landeseigenen an«, sagt er zu »nd«. Die Gründe für das unter Rot-Grün-Rot verhängte Mietmoratorium seien noch nicht entfallen. Nach wie vor hätten Mieter*innen mit Inflation und steigenden Kosten zu kämpfen. »Es kann nicht sein, dass die ärmsten Haushalte jetzt draufzahlen sollen.«

Auch der Linke-Politiker ist der Meinung, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gestärkt werden sollen. Der schwarz-rote Ansatz sei allerdings der »absolut falsche«. Stattdessen sollte der Senat den Wohnungsbau durch Eigenkapitalzuführungen direkt finanzieren. »Man würde ein echtes kommunales Wohnungsbauprogramm starten, das dann aber mit höheren Auflagen verbunden wäre«, führt Schenker aus. Aktuell gehe die Große Koalition den Weg des geringsten Widerstandes.

Dass die Härtefall-Regelung genügend Absicherung bietet, bezweifelt Schenker: »Betroffenen wird zu wenig bekannt gemacht, dass man diesen Antrag stellen kann. Deswegen wird das kaum in Anspruch genommen.« Das Argument, dass der Rest wiederum eine Erhöhung verkraften könne, sei schlichtweg eine Behauptung. »Es gibt dazu keine Zahlen. Das wird einfach so in den Raum gestellt.« In einer Erklärung kündigt die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus an, Protest und Widerstand gegen die Pläne unterstützen zu wollen.

Kritik übt auch Marcel Eupen vom Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbund Berlin. »Sich jetzt total von der rot-grün-roten Politik abzukehren, halte ich für falsch«, sagt er zu »nd«. Dass es auf die Dauer nicht ohne zusätzliche Gelder gehe, sei verständlich. Doch: »Man entscheidet sich mal wieder für eine grobschlächtige Pauschallösung, anstatt einmal fünf Minuten länger nachzudenken.« Regionale Unterschiede, etwa zwischen Steglitz und Marzahn-Hellersdorf, würden überhaupt nicht berücksichtigt.

Es mag, so Eupen, zwar stimmen, dass manche Mieter*innen moderate Erhöhungen aushalten könnten. Von den anderen könne allerdings nicht verlangt werden, sich vor dem Vermieter »nackt zu machen«, um die Unterstützung als Härtefall zu erhalten. »Nicht jeder Berechtigte stellt dann auch so einen Antrag. Weil er eben nicht möchte, dass der Vermieter mitbekommt, wie die Verhältnisse sind.« Dass Christian Gaebler dann noch eine Benachteiligung der Berliner*innen mit privaten Vermietern ins Feld führt, stößt Eupen auf. »So ist nun einmal das Zusammenleben in einem Sozialstaat«, erinnert er den SPD-Bausenator.

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