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»Mitte-Studie«: Jeder Zwölfte teilt rechtsextremes Weltbild
Laut Erhebungen der Friedrich-Ebert-Stiftung distanzieren sich immer mehr Menschen von der politischen Mitte. Meist an den rechten Rand
Die neue Großstudie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) bestätigt nun, was sich seit Monaten und vielleicht Jahren erahnen ließ: Immer mehr Menschen in Deutschland entfernen sich von der politischen Mitte – meist an den rechten Rand. Jede zwölfte Person teilt ein rechtsextremes Weltbild. Als Grund nennen die Forscher*innen die vielen Krisen der vergangenen Jahre.
Unter dem Titel »Die distanzierte Mitte« stellte eine Forschungsgruppe vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld am Mittwochmorgen die neue Studie zu rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen in Deutschland vor. Auf Basis einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage wurden in einer Reihe von Studien die Verbreitung, Entwicklung und Zusammenhänge sozialer und politischer Einstellungen analysiert. Die Ergebnisse sind erschreckend.
Deutschland rückt nach rechts
Die jüngsten Ergebnisse zeigen: Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Krisen und Konflikte distanziert sich ein deutlich größerer Anteil der Mitte der Gesellschaft von demokratischen Werten als in Erhebungen der Vorjahre. Genannt werden in der Studie beispielsweise die Klimakrise und der Ukraine-Krieg aber auch das Konkurrenzdenken der vorherrschenden Marktlogik und Einsamkeit. »Für komplexe Fragen der Zeit werden vermehrt einfache und autoritäre Lösungen gefordert«, heißt es in der Zusammenfassung der Studienergebnisse.
Die Zunahme demokratiegefährdender bis zu demokratiefeindlichen Einstellungen spiegele sich dabei insbesondere »in der Herabwürdigung von Minderheiten, der Anfälligkeit für Populismus sowie einem generellen Verschwörungsglauben wider.« Auch die Hinwendung zu »neurechten, nationalistischen, rechtsextremen und Gewalt billigenden Positionen« sei zu beobachten. Immer mehr Befragte verorteten sich zudem rechts der politischen Mitte.
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Allerdings stecke die Demokratie angesichts des Erstarkens antidemokratischer Kräfte, der hohen Anzahl an Nicht-Wähler*innen, des Misstrauens in staatliche Institutionen und Medien selbst in der Krise, wie es im Papier der FES heißt. Auch ein mangelndes Gefühl von Selbstwirksamkeit und fehlende Beteiligungsmöglichkeiten an politischen Prozessen seien laut den Forschenden für die demokratische Krise verantwortlich.
Zentrale Ergebnisse
Rechtsextreme Einstellungen sind stark angestiegen und weiter in die Mitte gerückt: Mit acht Prozent ist der Anteil von Befragten mit klar rechtsextremer Orientierung gegenüber dem Niveau von zwei bis drei Prozent in den Vorjahren erheblich angestiegen. Über sechs Prozent befürworten »eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland« (2014–2021: zwei bis vier Prozent). Über 16 Prozent behaupten eine nationale Überlegenheit Deutschlands, fordern »endlich wieder« Mut zu einem starken Nationalgefühl und eine Politik, deren oberstes Ziel es sein sollte, dem Land die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zustehe (2014–2021: neun bis 13 Prozent). 15,5 Prozent verorteten sich selbst rechts der politischen Mitte. In vergangenen Jahren lag der Anteil bei bis zu zehn Prozent.
Außerdem glauben immer weniger Menschen an die Demokratie: Laut den Erhebungen nur noch unter 60 Prozent der Befragten. Zudem vertrete ein erheblicher Teil »verschwörungsgläubige« (38 Prozent), »populistische« (33 Prozent) und »völkisch-autoritär-rebellische« (29 Prozent) Positionen. Im Vergleich zur Befragung während der Corona-Pandemie 2020/21 ist dies ein Anstieg um rund ein Drittel. 30 Prozent, etwa doppelt so viele Befragte wie noch vor zwei Jahren, stimmen der Aussage zu: »Die regierenden Parteien betrügen das Volk.« Ein Fünftel der Studienbefragten sei zudem der Ansicht, Deutschland gleiche mehr einer Diktatur als einer Demokratie.
Menschenfeindliche Ansichten sind zudem stark gestiegen: Jeder*r Zehnte in Deutschland ist laut der Erhebung verschiedenen Minderheiten gegenüber »feindselig und diskriminierend eingestellt.« 34 Prozent der Befragten meinten etwa, »Geflüchtete kämen nur nach Deutschland, um das Sozialsystem auszunutzen.« 16,5 Prozent unterstellen jüdischen Menschen, heute ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen zu wollen. Und auch die Quote an Befragten, die offen transfeindliche und mysogyne Positionen vertreten, liegt bei über zehn Prozent.
Wer gilt überhaupt als Mitte?
Was die Mitte einer Gesellschaft ist, kann verschieden definiert werden. Die FES-Studien haben die Teile der Bevölkerung, die »eine vermittelnde und stabilisierende Kraft in der Demokratie sein können«, als Mitte befragt. Die Mitte gelte als Garant für Demokratie, Vernunft und Ordnung und sei, so heißt es weiter, entsprechend umworben und umkämpft.
Die repräsentative Bevölkerungsumfrage wird im Zweijahresrhythmus durchgeführt. Dazu wird eine Stichprobe gezogen, die in ihrer Sozialstruktur (u.a. hinsichtlich Geschlecht, Alter, Bundesland und Bildungsstand) ungefähr der deutschen Wohnbevölkerung entspricht. Somit stelle sie ein Abbild der Gesellschaft dar.
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