Ritzen als Risikofaktor

KKH-Daten: Mehr psychische Leiden vor allem bei Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren

Von Depressionen über Angst- bis hin zu Essstörungen: diese ärztlichen Diagnosen haben zwischen 2012 und 2020 bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 18 Jahren deutlich zugenommen, das sagen jedenfalls Routinedaten der Krankenkasse KKH. Die stärksten Anstiege zeigten sich bei Mädchen: Depressionen haben bei den 15- bis 18-Jährigen um 122 Prozent zugenommen, Essstörungen bei der gleichen Gruppe um 62 Prozent, Angststörungen um 115 Prozent.

Nicht jedes psychische Problem zeigt sich in einer Diagnose, die sich in Kassenabrechnungsdaten widerspiegelt. Auch aus diesem Grund beauftragte die KKH das Umfrageinstitut Forsa, 2000 Eltern zu den psychischen Belastungen ihrer Kinder zu befragen. Vorgestellt wurden die Ergebnisse am Dienstag. Der positive Aspekt zu Beginn: Am geringsten belastet sehen die Eltern ihre 6- bis 10-jährigen Töchter und Söhne. Schon häufiger ist das ein Thema bei den 11- bis 18-Jährigen, so beobachtet von mehr als 30 Prozent der befragten Eltern. Seelischen Stress bei ihrem Nachwuchs sahen insgesamt 40 Prozent aller Mütter und Väter in den letzten zwei Jahren. Als häufigsten Grund vermuteten zwei Drittel der Eltern Leistungsdruck in Schule und Ausbildung, die Hälfte sahen Druck durch zu hohe Ansprüche an sich selbst, weiterhin durch zwischenmenschliche Konflikte oder Mobbing in Schule und Internet.

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Gefragt wurde weiter, wie die Kinder auf den Druck reagierten. Die Hälfte der Eltern hatte Traurigkeit und Rückzug beobachtet. Jeweils ein Drittel konnte Angst oder Wut und Aggressionen gegen andere bei den eigenen Sprösslingen beobachten. Bei einer Studie des Universitätsklinikums Würzburg wiederum wurden im vergangenen Jahr 880 Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 bis 14 Jahren zu ihrem psychischen Empfinden selbst befragt. Die Forscher um Studienleiter Marcel Romanos, der die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Würzburger Uni-Medizin leitet, fanden hier 11 Prozent der Befragten mit selbstverletzendem Verhalten, etwa durch das Ritzen.

»Selbstverletzendes Verhalten ist ein Ausdruck starker emotionaler Angstzustände und der mangelnden Fähigkeit, Gefühle adäquat zu regulieren«, erklärt Romanos. Außerdem: »Selbstverletzung ist ein Hochrisikofaktor für schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen und suizidales Verhalten.« Besonders alarmierend in der Würzburger Studie: Hier bekannten 30 Prozent der Kinder, dass sie schon einmal Suizidgedanken hatten.

Was sollten Eltern tun, wenn sie vermuten, dass ihr Kind psychischen Stress hat? Der Rat von Kinder- und Jugendpsychiater Romanos: »Das Risiko, dass Kinder eine psychische Krankheit entwickeln, steigt, wenn diese Krankheiten schon in der Familie bestehen. Also sorgen Sie dafür, dass Sie selbst gesund sind, wenn Sie etwas für Ihre Kinder tun wollen.« Der zweite Hinweis geht dahin, sich Hilfe zu holen, etwa bei Erziehungsberatungsstellen. Eine klassische Frage der Eltern sei zudem, so Romanos, wie es zu schaffen sei, dass Kinder von sich erzählen. »Meine Antwort lautet: Was erzählen Sie denn Ihren Kindern?« Ein Vertrauensverhältnis entsteht, wenn es auf Gegenseitigkeit basiert und Eltern auch von ihren täglichen (emotionalen) Erfahrungen etwa bei der Arbeit berichten.

Von schulischer Seite könnte ein neues Präventionsprogramm gegensteuern, das mit KKH-Unterstützung entwickelt wurde. Unter dem Motto Dude »Du und deine Emotionen« können Kinder der 6. und 7. Klassen in fünf Doppelstunden lernen, wie sie mit ihren Gefühlen besser umgehen. Erste Analysen lassen die Entwickler hoffen, dass auch auf diesem Weg Heranwachsende vor Selbstverletzung und Suizidalität geschützt werden können.

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