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Plastik ade: Berlin sucht Ideen für Handel
Senats-Umweltverwaltung zeichnet Ideen aus, die den Plastikmüll im Lebensmitteltransport verringern
Mehrwegeinkaufstaschen oder wieder auffüllbare Becher gehören für viele Menschen längst zum Standardbegleiter auf dem Weg zum Supermarkt oder ins Lieblingscafé. Um Plastikmüll zu vermeiden, werden oft Verbraucher*innen dazu angehalten, einen bewussten Umgang zu pflegen. Doch ein großer Teil von Plastikmüll fällt an, bevor Lebensmittel im Supermarktregal landen: nämlich beim Transport der Waren vom Hersteller bis in den Einzelhandel. Kartonagen, Wickelfolie, Luftpolster – all das sind Unmengen an Verpackung.
Um hierbei den Müll zu reduzieren, hat die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt zum Ideenwettbewerb »Re-Use im Lebensmitteltransport« aufgerufen. Die Gewinner des Wettbewerbs wurden am Dienstagabend im Neuköllner Impact Hub bekanntgegeben.
Umweltstaatssekretärin Britta Behrendt verkündete gemeinsam mit der Leiterin der Zero-Waste-Agentur Meike Al-Habash drei Gewinner, deren Ideen mehr Nachhaltigkeit in der Lebensmittellogistik versprechen. »Oft wird der Verbraucher dazu animiert, weniger Plastik zu verbrauchen, selten die Wirtschaft«, sagte Al-Habash während der Preisverleihung. Genau da setzen die Ideen der Gewinner*innen Stella Giuriato, Nadine Michailow und Michael Kappler an.
Der Drittplatzierte Kappler hat zusammen mit seinem Team-Kollegen Roland Große ein System zum Wiederauffüllen von Trockenlebensmitteln wie Hülsenfrüchten, Hafer oder Reis entworfen. Dazu gehört ein Mehrwegbecher, den auch Endverbraucher*innen nutzen können. »Auf Unverpackt-Stationen fehlt es Kund*innen meistens an Transportboxen, um die Ware abzufüllen«, sagte Große, der bei der Verleihung den Preis empfing. Im Bereich von Trockenlebensmitteln gebe es bereits Lösungen, um Verpackungen während des Transportweges bis in den Einzelhandel zu reduzieren. Mit wiederverwendbaren Bechern könnten auch Endkund*innen im Kreislauf eingeschlossen werden, so Große.
Den zweiten Platz erhielt Nadine Michailow mit dem »textilen Wickelmantel«. Mit dieser Idee soll die im Handel üblicherweise eingesetzte Wickelfolie ersetzt werden. Diese dient dazu, Waren beim Transportieren auf Paletten zusammenzuhalten. Der Einsatz von Wickelfolie stelle aus Umweltgründen eine ernstzunehmende Problematik dar, unterstreicht Michailow, die Naturschutz- und Landschaftsplanung studiert hat. 2018 seien rund 1,3 Millionen Tonnen Folie in ganz Europa verbraucht worden, sagt Michailow bei der Preisverleihung. Der von ihr kreierte Wickelmantel soll dabei Abhilfe schaffen: Bestehend aus recyclebarem und strapazierfähigem Material kann er beliebig oft geschlossen und geöffnet werden. Das Prinzip sei inspiriert vom Mechanismus einer Wickelbandage, erläutert Michailow.
Die 37-Jährige beschäftigt seit Langem, wie viel Müll trotz Recycling alleine im privaten Haushalt anfällt. Noch weniger Lösungen gibt es ihr zufolge jedoch im Supermarkt und in Unternehmen. Um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, müssten alle Bereiche in der Summe wirken, sagt Michailow im Gespräch mit »nd«. Doch noch gebe es zu wenige Firmen, die freiwillig über den gesetzlichen Rahmen hinaus umweltbewusster agieren wollten. »Unternehmen müssen aus ihrer Komfortzone herausgehen und über den Tellerrand schauen. Auch die Politik kann Anreize schaffen, damit Umwelt und Nachhaltigkeit in der Wirtschaft gefördert werden«, sagt Michailow. Die Zweitplatzierte hofft, mit dem Preisgeld ihren ersten Prototypen entwerfen zu können.
Ähnlich motiviert ist der Lösungsansatz der Erstplatzierten, Stella Giuriato. Sie entwickelte mit ihrem Unternehmen G.Return ein sogenanntes Hochleistungstextil, das anstelle einer Einwegfolie im Lebensmitteltransport eingesetzt werden kann. Ihre Produktidee setzt an der gleichen Problematik an wie die von Michailow. Giuriato hatte mehrere Jahre als Assistentin der Produktionsleitung in der Automobilindustrie gearbeitet, mit Schwerpunkt Produktion und Logistik. Vor zwei Jahren begann sie die Idee eines wiederverwendbaren Textils zu entwerfen, um ihren Arbeitsbereich nachhaltiger und, wie sie zu »nd« sagt, »sinnvoller« zu gestalten. Das von ihr entworfene Produkt kann anstelle von Wickelfolie als Palettenverpackung zum Einsatz kommen. Giuriato zufolge ist das Textil, das aus Polyurethan besteht, besonders strapazierfähig.
Auf ihre Idee hat sie bereits Patente angemeldet, TÜV geprüft ist die Lösung auch: Zusammen mit dem TÜV Süd hat Giuriato das Hochleistungstextil mit einer Tonne Gewicht belastet – den Stresstest hat es bestanden. Das reale Gewicht von Beladungen liege durchschnittlich weit unter einer Tonne, sagt Giuriato. Ihr Produkt sei damit überdurchschnittlich »ladungsstabil«. Das einzige Manko: Polyurethan ist nicht recycelbar. Doch das hat Giuriato ebenfalls berücksichtigt. Zum einen sei das UV-beständige Material weniger anfällig gegen Verschleiß durch Sonnenlicht. Zum anderen lasse sich Polyurethan im Vergleich leichter wieder reparieren und sei dadurch langlebiger, so Giuriato. Was nicht wiederverwendet werden kann, nimmt ihr Unternehmen zurück und gibt es zum Upcycling weiter, wo es beispielsweise zu einer Plane umfunktioniert werden kann.
Giuriato ist überzeugt, dass ihr Ansatz durchschlagen wird: Ganze 40 Meter Wickelfolie benötigt die Absicherung einer Palette – die landet nach ihrem Gebrauch wieder auf dem Müll. Das von ihr entwickelte Textil könne bei einer Verwendung an jedem zweiten Tag bis zu acht Jahren halten. Neue Ansätze werden in der Branche dringend gebraucht: »Die Logistik ist der Bereich, in dem am wenigsten Innovationen geschehen. Da herrscht meistens das Motto ›Wir haben es noch nie anders gemacht‹«, sagt Giuriato »nd«. Als Vorwand gegen Veränderungen werde oft der hohe zeitliche Aufwand herangezogen – und auch einfach nur Bequemlichkeit.
Das dürfte sich ihrer Meinung nach jedoch bald ändern, denn der Druck auf Unternehmen wird in den kommenden Jahren wachsen: Die Europäische Kommission hat Ende November 2022 den Entwurf zu einer neuen Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle vorgelegt, der erstmals konkrete Ziele zur Vermeidung von Verpackungsabfällen sowie Quoten zum Einsatz von Mehrwegverpackungen enthält. Von Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wird der Vorstoß begrüßt, auch wenn die Maßnahmen als zu schwach bewertet werden. Noch stehen die Entscheidungen über den Gesetzentwurf an. Der DUH zufolge wird entscheidend sein, dass die EU dem Druck aus der Industrie, die enthaltenen Vorschläge noch weiter abzuschwächen, nicht nachgibt. Ideen, mit denen die Lebensmittelindustrie den beim Transport anfallenden Plastikmüll reduzieren könnte, gibt es jedenfalls reichlich – daran kann es nicht scheitern.
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