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- Peter László Péri
Gegen die Schwerkraft
Das Kunsthaus Dahlem in Berlin zeigt das Werk des kommunistischen Bildhauers Peter László Péri
Zement ist ein gleichsam proletarisches Material. Aus Rohstoffen wie Kalkstein und Ton bestehend, hat es nichts Glamouröses oder Schmuckvolles an sich. Als preisgünstiger Baustoff diente Zement, zu Beton verarbeitet, Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts sowohl der Realisierung modernistischer Avantgarde-Architektur als auch zahlreicher Sozialbauten – mitunter wurde auch beides vereint.
Vielleicht war die graue Substanz deshalb das Lieblingsmaterial von Peter Lászlo Péri. Der jüdisch-ungarische Bildhauer entwickelte sogar ein eigenes Beton-Fertigungsverfahren, genannt »Pericrete« – ein Kompositum aus seinem Namen und dem englischen Wort für Beton, »concrete«. Dementsprechend viele Werke aus Beton sind auch gerade im Kunsthaus Dahlem zu sehen, das Péri eine große Einzelausstellung widmet. Das reicht von großen Porträtköpfen in verschiedenartigen Modellierstilen über kleine Figuren – Péris so genannte »Little People« – bis hin zu Reliefs mit teilweise bunt bemaltem Beton.
Dass die Wahl des Materials bei Péri mit seiner politischen Überzeugung korrespondierte, wird aus seiner Biografie ersichtlich. 1899 in die jüdische Familie Weisz hineingeboren – der Familienname wurde 1918 magyarisiert – war Péri seit seiner Jugend überzeugter Kommunist. Weil er sich auf verschiedene Weise politisch engagiert hatte und rege Kontakte zu kommunistischen Organen pflegte, musste er seine Heimatstadt Budapest nach dem Sturz der Ungarischen Räterepublik 1919 verlassen. Péri zog wie viele anderen politischen Künstler aus Ungarn nach Berlin. Dort machte er sich zunächst als Konstruktivist einen Namen. Arie Hartog, als Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses Bremen zusammen mit Dorothea Schöne vom Kunsthaus Dahlem für die dortige Schau verantwortlich, weist im zugehörigen Katalog darauf hin, dass die Hinwendung Péris zum Konstruktivismus auch vor dem Hintergrund seines politischen Engagements in Deutschland verstanden werden muss. Mit seinen radikalen Überzeugungen fand er in der deutschen Arbeiterschaft – die vorwiegend sozialdemokratisch und nicht kommunistisch eingestellt war – keine große Resonanz, verlegte sich auch deshalb auf einen formalen Avantgardismus als politisches Ausdrucksmittel: Der Konstruktivismus kam schließlich aus dem revolutionären Russland, sollte die ästhetische Instruktion für die Einrichtung einer neuen Welt sein.
Das allerdings konnte ihn nicht davor bewahren, auch von bürgerlichen Kräften aufgegriffen zu werden bzw. von Künstlern, die in den Augen der Kommunisten »bürgerliche Kunst« schufen. Péri begann, daran zu zweifeln, wie viel er mit seiner Kunst tatsächlich zur Erneuerung der Gesellschaft beitragen könne. Er entschied, sich der Architektur und damit etwas Handfesterem zuzuwenden, fertigte unter anderem zahlreiche Entwürfe für Arbeiterwohnungen an. Doch auch auf diesem Gebiet sah Péri seine politischen Anliegen letztlich nicht verwirklicht. Schon 1929 wandte er sich wieder der bildenden Kunst zu – nun arbeitete er jedoch nicht mehr konstruktivistisch, sondern gegenständlich. Nur eine gegenständliche Kunst könne wirklich menschliche Emotionen ausdrücken, war Péri fortan überzeugt.
Also schuf er von nun an vor allem menschliche Figuren – allerdings ohne seine Sensibilität und sein besonderes Interesse für geometrische Formen, Raumverhältnisse und verschiedene Größenordnungen aufzugeben. In Dahlem kann man im Hinblick darauf zum Beispiel vertikale Betonflächen begutachten, auf denen – der Schwerkraft zum Trotz – Figuren herumlaufen, -sitzen oder -liegen. Oder eine Konstruktion aus zahlreichen, durch Stäbe verbundenen runden Platten, auf denen sich ebenfalls Figuren in verschiedenen Körperhaltungen befinden, hinauf- oder hinabklettern und einander dabei helfen. Péris Interesse galt klar dem Menschen – jedoch stets im Verhältnis zur Umgebung, in der er sich befindet und wirken kann.
Obgleich Péri in London, wohin er kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 emigriert war, Fuß fasste und sich mit seinen künstlerischen Arbeiten über Wasser halten konnte, war es ihm nicht möglich, an seinen früheren Bekanntheitsgrad im Berlin der 1920er Jahre anzuschließen; von der Kunstkritik wurde er kaum zur Kenntnis genommen. Auch heute denkt man bei ungarischen Künstlern der Moderne, vor allem des Konstruktivismus, statt an ihn wohl eher an den mit ihm befreundeten Laszlo Moholy-Nagy, der ebenfalls in Berlin und London (sowie später in den USA) lebte und mit dem Péri schon zu Lebzeiten gemeinsam ausstellte. Die Dahlemer Ausstellung als umfangreiche Werkschau könnte dazu beitragen, das zu ändern. Beachtlich ist Péris Werk zweifellos. Wegen der ausgefeilten Formsprache und der breiten Spanne von Stilen und Techniken – Péri suchte eben längere Zeit nach dem adäquaten Ausdruck für seine politischen Überzeugungen –, ebenso wegen seiner idiosynkratischen Bestandteile: Nicht nur entwickelte der Künstler mit »Pericrete« ein eigenes Material, auch färbte er den Beton mitunter bunt ein – eine bis dato in der Kunst recht unbekannte Technik –, was der spröden Substanz eine neue Verspieltheit verlieh.
Wie zeitgenössische Künstler heute mit Zement bzw. Beton arbeiten, lässt sich im ersten Obergeschoss des Kunsthauses sehen: Dort sind Arbeiten von Friedemann Grieshaber, Bram Braam, Noa Heyne und Marta Dyachenko ausgestellt. Alle vier Künstlerinnen und Künstler haben sich einen eigenen Zugang zu dem Baustoff erarbeitet.
Eine kurze Google-Suche verrät der Journalistin: Beton ist nach wie vor beliebter Baustoff, sowohl im Wohnungs- als auch im Nichtwohnbau, in letzterem sogar die mit Abstand am meisten verwendete Substanz. Unsere Welt besteht also zu einem Großteil aus Beton – das sollte Grund genug sein, ihm auch künstlerisch Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Überzeugend wird das aber erst, wenn das Material mit menschlichem Leben, mit Begehren und Visionen in Beziehung gesetzt wird. Hier hat Peter Lászlo Péri, der 1967 in London starb, mit seinem Werk ein Exempel geschaffen.
»Péris People«, bis zum 28. Januar 2024, Kunsthaus Dahlem, Berlin
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