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Der bessere Tory: Keir Starmer
Von halb links nach rechts: Beim Labour-Parteitag freut sich Keir Starmer über seine »schwierigen Entscheidungen«
Keir Starmer stimmt seine Partei beim Labour-Parteitag in Liverpool, der bis Mittwoch geht, auf die Machtübernahme ein. Die wird voraussichtlich nach den britischen Parlamentswahlen im nächsten Jahr stattfinden. Das ist allerdings nicht Starmers Verdienst, sondern dem desolaten Zustand der regierenden Tories geschuldet.
Starmer ist der bessere Tory. Auf dem Weg zur Macht hat er bereits mehrere Kehrtwendungen vollzogen und ein paar Labour-Prinzipien geopfert. Als er Parteichef werden wollte, gab er sich noch halb links. So verurteilte er zum Beispiel die Zwei-Kind-Politik der Tories, wonach Eltern nur für die ersten beiden Kinder Zuschüsse und Steuererleichterungen bekommen. Inzwischen findet er die Regelung, die 1,5 Millionen Kinder von dieser Unerstützung ausschließt, völlig in Ordnung.
Es war eine »schwierige Entscheidung«, sagt Starmer. Es sind immer »schwierige Entscheidungen«, wenn man jenen, die wenig haben, in die Taschen greift oder den Haushalt für Sozialleistungen kürzt. Steuererhöhungen für die oberen Einkommensschichten fallen nicht in diese Kategorie, denn solche stehen weder bei den Tories noch bei Labour auf der Tagesordnung.
Rachel Reeves, die Finanzministerin in Starmers Schattenkabinett, lehnt eine »Reichensteuer« kategorisch ab. Labour ist der Industrie und den großen Unternehmen zu Diensten und tut nichts, was sie brüskieren könnte – im Gegenteil: Starmer dient sich bei privaten Dinners rechten Milliardären an, die von ihm Garantien erwarten, dass ihr Reichtum unangetastet bleibt. Er setzt offenbar darauf, dass die Wählerschaft die Schieflage seiner Politik nicht bemerkt. Um gegen die langen Krankenhaus-Wartelisten, die bröckelnde Infrastruktur, die Wohnungsnot und den sinkenden Lebensstandard anzugehen, muss man sehr viel Geld ausgeben. Wie will Starmer dieses Geld auftreiben? Indem er die Zwei-Kind-Politik der Tories fortsetzt etwa?
Labours Probleme sind allesamt dem linken Parteiflügel anzulasten, behauptet Starmer. Die Wahlniederlage 2015 kreidet er dem damaligen Parteichef Ed Milliband an, der sich gegenüber der Wirtschaft nicht ehrerbietig genug zeigte. Umfragen belegen das Gegenteil: 42 Prozent der Wähler fanden damals, dass Labour zu nachsichtig mit der Industrie umgegangen sei.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Dennoch begann Starmer nach seiner Wahl zum Parteichef mit einer Säuberungsaktion in der Partei, die darin gipfelte, dass er seinen Vorgänger Jeremy Corbyn aus der Fraktion ausschloss. Darüber hinaus darf er bei den nächsten Wahlen nicht mehr für Labour in Islington North kandidieren, wo er 40 Jahre lang als Abgeordneter gewählt wurde. Der Parteivorstand, der diesen Schritt billigte, erklärte, dass Labours Aussichten, die nächsten Wahlen zu gewinnen, »erheblich eingeschränkt« wären, würde man Corbyn kandidieren lassen.
Dass Labours Anführer nach rechts rücken, sobald sie ihr Amt angetreten haben, ist die Regel. Corbyn war die Ausnahme. Er ist nach seiner überraschenden Wahl zum Parteichef 2015 seiner Linie treu geblieben. Und er war ja erfolgreich, auch wenn Starmer und seine Gefolgsleute die Wahl von 2017 gerne vergessen machen möchten. Damals fehlten Corbyn gerade mal 2227 Stimmen, um Premierminister einer Koalitionsregierung zu werden. Sieben entscheidende Sitze waren denkbar knapp an die Tories gefallen. 62 Prozent der 18- bis 24-Jährigen hatten Corbyn gewählt, Labour hatte zehn Prozentpunkte zugelegt. Der Erfolg kostete Theresa May die absolute Mehrheit. Sie hatte vorzeitige Neuwahlen einberufen, weil sie – wie auch der rechte Labour-Flügel – mit einer vernichtenden Niederlage Corbyns gerechnet hatte. Stattdessen setzte eine »Corbynmania« ein, wie die Medien das Phänomen nannten, dass der 68-Jährige fast wie ein Popstar gefeiert wurde.
Die Alarmglocken schrillten daraufhin nicht nur bei den Tories, sondern auch bei Starmer und seinen Gefolgsleuten sowie bei den konservativen Medien und sogar bei der BBC. Man startete eine beispiellose Hetzkampagne, mit der Corbyn zum Antisemiten gestempelt wurde, der er nie war, auch wenn er einige Fehler gemacht und das Thema nicht ernst genug genommen hat.
Der Rufmord hatte Erfolg. Bei den Wahlen 2019 fuhr Corbyn verheerende Verluste ein. Ein Faktor war der Brexit: Viele Labour-Wähler, die für den Austritt aus der Europäischen Union waren, fürchteten, dass Labour das Referendum wiederholen lassen würde – eine Befürchtung, die vom damaligen Brexit-Beauftragten der Partei befeuert wurde. Dieser Brexit-Beauftragte war Keir Starmer.
Unter Corbyn war die Zahl der Parteimitglieder drastisch gestiegen, sie erreichte zum Schluss einen Höchststand von 564 000. Inzwischen sind es keine 400 000 mehr. Reeves bezeichnete das als »positive Entwicklung«: Diese Leute hätten ohnehin niemals Mitglieder werden dürfen, sagte sie. Es ist eine Bankrotterklärung: Menschen sollen sich aus dem politischen Prozess heraushalten, wenn sie nicht mit dem rechten Labour-Flügel auf einer Linie liegen?
Labour wird heutzutage von einem rechten, autoritären Lager dominiert, das nicht nur gegen Corbyn agitiert, sondern gegen alle, die eine andere politische Meinung als die Parteiführung haben. Die Mitglieder des Schattenkabinetts müssen sich bei Streiks im Hintergrund halten, sonst drohen ihnen Konsequenzen. Sie dürfen sich nicht öffentlich für eine Reichensteuer und staatliche Investitionen einsetzen. Labour steht für die Ausweitung des Privatsektors in öffentliche Dienste und für das weitere Zurückfahren des Wohlfahrtstaates.
Als Premierminister Rishi Sunak im November vorigen Jahres im Unterhaus die Lügen verbreitete, Corbyns Wahlmanifest habe die Abschaffung der Armee und der Atomwaffen, den Austritt aus der Nato sowie die Stärkung der Beziehungen zu Hamas und Hisbollah vorgesehen, blieb Starmer stumm. Dabei hatte er an dem Wahlmanifest mitgearbeitet und hätte von Sunak eine Entschuldigung für die Unterstellungen verlangen müssen. Das überließ er Corbyn, der dafür von den rechten Medien verhöhnt wurde.
Starmer definiert sich als Gegner seines Vorgängers Corbyn und nicht als Gegner der Tories. Er muss aufpassen, dass Teile der traditionellen Labour-Klientel nächstes Jahr nicht lieber das konservative Original wählen.
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