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Warten auf die richtige Welle

Auf einem Event von Diem25 sprachen Ece Temelkuran und Yanis Varoufakis über Europa und die Linke

Die Bewegung von Yannis Varoufakis (M.) setzt auf eine Demokratisierung Europas von unten.
Die Bewegung von Yannis Varoufakis (M.) setzt auf eine Demokratisierung Europas von unten.

Der Zustand des »alten Europas« war am Sonntagabend im Theater im Delphi im Berliner Ortsteil Weißensee Thema. Mehr als 300 vielsprachige und überwiegend jüngere Teilnehmer hatten durch den strömenden Regen zur Veranstaltung der linken Bewegung Diem25 in den Saal des einstigen Kinos gefunden, das seit seiner Wiedereröffnung als Kulturstätte Ende 2017 erneut den Charme der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verströmt.

Zur Frage »The EU is failing. What should we do?« (Die EU ist gescheitert. Was sollen wir tun?) teilten sich im Delphi die Rolle des Orakels die im Exil lebende türkische Oppositionelle Ece Temelkuran und Yannis Varoufakis, der 2015 als griechischer Finanzminister dem Diktat der Troika die Stirn geboten hatte und den Machtapparat der EU nah zu spüren bekam. Die paneuropäische Diem25 wurde von ihm mit initiiert, um einen echten sozial-ökologischen Wandel in Europa voranzutreiben, ihr von Varoufakis angeführter griechischer Ableger Mera25 verfehlte bei der Wahl im Mai überraschend den Wiedereinzug in das Parlament.

Das Event mit prominenten Gästen diente auch dazu, neue Mitstreiter für die kleine Partei zu gewinnen, die dank des Einsatzes ihrer Aktivisten im Mai in Bremen immerhin 8000 Stimmen erhielt, wie Mera25-Vorsitzende Juliana Zita (35) gegenüber »nd« betonte.

Seine Ausführungen auf der von der Berliner Journalistin Özge Inan moderierten Podiumsdiskussion leitete Varoufakis klassisch-griechisch mit einem Exkurs zur Geschichte der Demokratie von ihren antiken Anfängen bis zur liberalen als einer Form moderner Klassenherrschaft ein. Das Versagen der Europäischen Union angesichts manigfacher wirtschaftlicher und sozialer Krisen und des Kriegs in der Ukraine führt der Politiker darauf zurück, dass die Politik nicht für deren Bürger, sondern im Auftrag des Großkapitals die Strippen zieht. Dabei habe sich die Macht in den vergangenen Jahrzehnten von der Industrie zur Finanzwirtschaft und den Bankern und schließlich zu den Hightech-Konzernen verlagert, die sowohl an Arbeitenden als auch Mit-Kapitalisten enorm verdienen.

Als Ergebnis eines hinter der Fassade der Demokratie von Oligarchen regierten Europas sieht der ehemalige griechische Finanzminister auch die großen Programme der EU mit dem Ziel der Klimaneutralität. Auch hierbei gehe es in erster Linie um die Mobilisierung riesiger Geldmittel für die Oligarchen: »Der grüne Deal der EU-Kommission ist in Wirklichkeit eine gewaltige Übung in Greenwashing.« Dagegen stellt er mit seiner Bewegung die Idee eines Green New Deal, der wirtschaftlichen Transformation und der Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze, mit der progressive Kräfte in Europa dem Aufstieg des rechtsextremen Lagers etwas entgegensetzen sollen.

Die Schriftstellerin Ece Temelkuran treibt die Frage um, wo angesichts der objektiven Schwäche der Linkskräfte Hoffnung und Glaube herkommen können, dass Alternativen zum übermächtigen Neoliberalismus möglich sind. Nachdem eine Protestbewegung nach der anderen ohne Sieg verebbt sei, hätten sich zu viele Menschen »im Sessel zurückgelehnt«. Temelkuran beobachtet aber auch, dass junge Menschen ihre Lebensqualität nicht der Arbeit opfern wollen – als Bruch mit der herrschenden Ideologie. Den Kampf für soziale Gerechtigkeit will sie mit dem für menschliche Würde verbinden.

Für Antikapitalisten heute wählte Varoufakis das Bild eines Surfers, der lange im kalten Wasser steht. Historische Chancen wurden verpasst, etwa bei den Revolten 1968. Und vielleicht kommt sie ja noch, die Welle, die weit trägt.

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