Dreckige Industrie: Deutschlands dicke Luft

Schadstoffemissionen der deutschen Industrie verursachen EU-weit die meisten Kosten aufgrund von Belastungen des Gesundheitssystems

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

Duisburg gehört zu den Städten, die von 2007 bis 2021 deutschlandweit den größten CO2-Fußabdruck hatten. Mindestens 457,04 Milliarden Kilogramm des Treibhausgases wurden in der nordrhein-westfälischen Stadt produziert, der Großteil davon im Energiesektor. Allein 120,64 Milliarden Kilo Kohlenstoffdioxid stammen aus Wärmekraftwerken der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) GmbH; 29,06 Milliarden Kilo aus denen des Energiekonzerns RWE. Für 23,55 Milliarden Kilo sind Kohleöfen der Pruna Betreiber GmbH verantwortlich, vertreten durch die KBS GmbH Werk Schwelgern.

Die Zahlen stammen aus einer Recherche der gemeinnützigen Investigativmedien »Correctiv.Europe« und »Correctiv.Lokal« und basieren auf Daten der Europäischen Umweltagentur (EUA).

In einigen Duisburger Kraftwerken sind die jährlichen Durchschnittswerte innerhalb dieser 15 Jahre zurückgegangen, in anderen blieb er annähernd unverändert oder nahm sogar leicht zu. So schwankte der CO2-Ausstoß in einem der HKM-Kraftwerke 2007 bis 2021 zwischen 4,69 Milliarden und 4,98 Milliaden Kilogramm. Für einige Anlagen können die Jahreswerte gar nicht verglichen werden, da Emissionen nur gemeldet werden müssen, wenn sie gewisse Schwellenwerte überschreiten, sodass für manche Jahre, in denen die Schadstoffe unter diesem Grenzwert lagen, keine Daten vorliegen. Bei sämtlichen Zahlen handelt es sich daher um Mindestwerte.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Außerdem nicht einberechnet ist laut EUA die Luftverschmutzung, die zum Beispiel der Verkehr oder der Energieverbrauch von Privathaushalten verursachen. Die Daten decken lediglich industrielle Emissionen ab, die für rund 20 Prozent der gesamten Luftverschmutzung in der Europäischen Union verantwortlich seien. Neben Kohlenstoffdioxid (CO2) sind das unter anderem Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O), beides ebenfalls Treibhausgase, sowie die Luftschadstoffe Ammoniak (NH3), Stick- und Schwefeloxide. Treibhausgase sind für die globale Erwärmung relevant; Luftschadstoffe können bei Menschen und Tieren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Atemwegserkrankungen verursachen sowie Natur und Landwirtschaft schädigen.

Zwar hat Deutschland die Feinstaub-Grenzwerte der EU 2022 das fünfte Jahr in Folge nicht überschritten. Allerdings sind diese Grenzwerte seit 20 Jahren nicht angepasst worden und liegen weit über dem, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für vertretbar hält. Im Entwurf einer Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinie von Oktober 2022 schlägt die EU-Kommission deshalb deutlich schärfere Grenzwerte vor, die sich an den WHO-Richtlinien orientieren.

Laut EUA gibt es keinen Beweis dafür, dass es überhaupt einen Schwellenwert gibt, »unterhalb dessen die Luftverschmutzung keine Auswirkungen auf die Gesundheit hat«. Insgesamt seien der Schadstoffausstoß und die Gesundheitsrisiken für Menschen, die in emissionsreichen Gegenden wie Duisburg leben, zu hoch – und besonders Kinder davon gefährdet.

Die Kosten für die deutsche Wirtschaft, die durch luftverschmutzungsbedingte Krankheiten, Belastungen des Gesundheitssystems und vorzeitige Todesfälle entstanden sind, schätzt die EUA für das Jahr 2017 auf 60 Milliarden Euro. 8030 Millionen Euro führt die Umweltagentur auf den Duisburger Konzern HKM zurück, 390 Millionen auf das RWE-Kraftwerk Huckingen. Deutscher Negativ-Sieger ist das RWE-Kraftwerk Neurath in Grevenbroich mit 3,78 Milliarden Euro. EU-weit lag nur ein Kraftwerk im polnischen Rogowiec darüber, um rund eine weitere Milliarde.

Insgesamt befinden sich laut »Correctiv«-Recherche sechs von zehn Industriestandorten mit der höchsten Belastung für die Gesellschaft in Deutschland. Davon sind fünf den Konzernen RWE und Vattenfall zuzuordnen. Deutschlands Industrie ist demnach so dreckig wie keine andere in Europa.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation mit »Correctiv.Europe« und »Correctiv.Lokal«.
Beide Projekte fördern den Lokaljournalismus und stärken somit die Demokratie.
Mehr unter: correctiv.org/lokal

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.